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Skar schwieg beharrlich, obwohl er genau spürte, daß Bernec auf irgendeine Äußerung von ihm wartete. Seine offen zur Schau getragene Ruhe schien Bernec noch mehr zu reizen. Er starrte ihn sekundenlang wütend an, stieß ein abgehacktes Wort hervor und riß sein Pferd brutal an den Zügeln herum.

Coar blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Verzeih ihm, Skar«, sagte sie leise. »Er ist manchmal sehr aufbrausend, aber er meint es nicht so.«

Skar lächelte säuerlich. »Ich habe sowieso nichts verstanden«, bekannte er. »Und was ich nicht verstehe, kann mich auch nicht beleidigen. Außerdem beginne ich mich langsam daran zu gewöhnen, daß man über mich redet. Auch«, fügte er spitz hinzu, »wenn ich zufälligerweise dabei bin.«

Coar lachte leise. »Bernec spricht deine Sprache besser als ich«, sagte sie amüsiert. »Aber ich sehe, daß er sein Ziel erreicht hat, als er Cerano sprach. Er wollte dich verletzen.«

»Und warum?« fragte Skar. »Ich meine ... so dann und wann interessiert es mich, wenigstens zu wissen, warum man mich haßt.«

»Bernec haßt dich nicht, Skar. Ich glaube nicht, daß er überhaupt fähig ist, jemanden wirklich zu hassen. Er ist verstimmt, das ist alles.«

»Wegen der Szene am Tor?«

Coar verneinte. »Um es mit deinen Worten auszudrücken«, antwortete sie nach kurzem Überlegen, »lauft ihr ihm den Rang ab. Del und du stehlt ihm die Schau. Bernec galt bisher als unser größter Krieger, und ich glaube, er war es wohl auch. Keiner kann so reiten und fechten und Bogen schießen wie er. Viele von uns - gerade die Jüngeren - sehen ihn ihm so eine Art Held, und ich fürchte fast, daß er sich in dieser Rolle gefallen hat. Er ist zu stolz, um es offen zuzugeben, aber es wird wohl so sein, daß er schlicht und einfach eifersüchtig auf euch ist.«

»Blödsinn«, sagte Skar impulsiv. »Nichts liegt mir ferner, als ihm den Rang streitig zu machen.«

»Ich weiß«, nickte Coar, »und Bernec weiß es auch. Aber manchmal läßt sich das, was man weiß, nicht mit dem, was man fühlt, in Einklang bringen. Er wird darüber hinwegkommen, früher oder später. Vielleicht«, sagte sie nachdenklich, »könnt ihr sogar Freunde werden, irgendwann. Warte, bis du ihn richtig kennst. Er wird dir gefallen. Ihr ähnelt euch in vielem.«

Skar bezweifelte das, zog es aber vor zu schweigen. Neid und Eifersucht waren Wesenszüge, die ihm fremd waren. Er hatte viele Männer getroffen, die ihm auf die eine oder andere Weise überlegen gewesen waren, aber er hatte selten deswegen so etwas wie Mißgunst in sich verspürt, und wenn doch, so hatte er das Gefühl stets mit aller Macht bekämpft.

»Du kennst ihn gut?« fragte er.

Coar zögerte merklich. »Ja«, sagte sie dann. »Went ist nicht groß. Wir kennen uns alle untereinander. In deiner Heimat mag das anders sein. Die Städte sind dort sicher so groß, daß man unmöglich alle Bewohner kennen kann.«

»Manche sicher«, sagte Skar. »Aber in vielen Städten kennen die Menschen nicht einmal ihre direkten Nachbarn. Es ist ... nicht überall auf Enwor so wie hier bei euch.«

Coar sah ihn verblüfft an. »Aber wie kann das angehen?« fragte sie. »Ein Mensch, der seinen Nachbarn nicht kennt?«

Skar lachte leise, aber es klang unecht und bitter. »Enwor ist nicht Went«, wiederholte er. Er zügelte sein Pferd, sah Coar lange und nachdenklich an und fügte, leiser und sanfter, hinzu: »Ich habe auf dem Weg hierher über die Geschichte, die du mir erzählt hast, nachgedacht. Vorhin habe ich darüber gelacht, aber jetzt glaube ich fast, daß sie stimmt. Ich habe niemals Menschen getroffen, die so sanft und friedvoll sind wie ihr.«

Coar schien verwirrt, und auch Skar fragte sich unwillkürlich, warum er diese Worte überhaupt ausgesprochen hatte. Trotzdem spürte er, daß es die Wahrheit war. Er hatte nicht viel mehr als einen Tag bei Bewußtsein hier verbracht, aber er spürte schon jetzt, daß er niemals zuvor einem friedliebenderen und sanfteren Volk begegnet war. Es war eine Erkenntnis, die nicht vieler Worte oder langer Beobachtungen bedurfte. Selbst Logar und Bernec mit ihrer absichtlichen Ablehnung waren im Grunde gütige und weiche Menschen. Hier, isoliert von der Welt mit all ihren Kriegen und Fehden, schien sich ein winziger Rest jener alten Zeit erhalten zu haben, von der Legenden und Mythen berichteten, ein Artefakt aus einer Epoche, in der Frieden und Menschlichkeit regiert hatten statt Gewalt und Haß. Aus einer Epoche, fügte er in Gedanken hinzu, die vielleicht niemals existiert hatte.

»Aber das ist ... unmöglich«, sagte Coar nach einer Weile »Du ... du meinst, dort draußen herrsche ununterbrochen ...?«

»Krieg«, nickte Skar. »Vielleicht nicht ununterbrochen, aber oft unterscheidet sich der Frieden nicht sehr von dem, was ihr unter Krieg verstehen mögt. Es ... es tut mir leid, wenn ich deine Illusion zerstören muß, Coar, aber die Welt dort draußen ist nicht schön. Enwor ist hart. Hart und grausam.«

»Aber ...«, stotterte Coar verwirrt, »du ... du und Del ...«

»Ich und Del wurden so, wie wir sind, weil die Welt so ist, wie sie ist«, fuhr Skar ruhig fort. »Dort draußen herrscht Gewalt, Coar, Gewalt und das älteste Recht der Welt, das des Stärkeren. Nur die Stärksten überleben, und selbst sie nicht immer. Enwor würde dir nicht gefallen. Ein Volk wie das eure könnte dort nicht überleben, Coar.« Er brach erschöpft ab. Die wenigen Worte schienen seine gesamte Kraft aufgebraucht zu haben, und er spürte erst jetzt so richtig, wie sehr ihn die Erlebnisse der letzten Tage aufgewühlt hatten. »Nun habe ich dir eine Geschichte erzählt«, sagte er abschließend, »aber ich fürchte, sie war nicht so schön wie deine.«

Coar sah verwirrt weg. »Das ... macht nichts«, sagte sie stokkend. »Vielleicht ist die Welt dort draußen wirklich so, wie du sie geschildert hast, vielleicht auch nicht. Es bleibt sich gleich. Ich werde sie nie kennenlernen, und du bist ihr entronnen. Du wirst hier Frieden finden.«

»Aber wir können nicht bleiben«, sagte er sanft.

»Ihr werdet einen Platz finden, an dem ihr leben könnt«, wiederholte sie, seine Worte ignorierend. »Du kannst Kommandant der Garde werden, oder du kannst nach Ipcearn gehen und dich in den Dienst der Könige stellen. Für einen Mann wie dich ...«

»Es ist sinnlos«, unterbrach sie Skar sanft. »Du solltest dir nicht selbst etwas vormachen. Wir bleiben, bis Del sich vollkommen erholt hat. Vielleicht warten wir auch den Winter ab, doch wir können nicht auf ewig hierbleiben. Weder ich noch Del.«

»Und warum nicht?« fragte Coar. Ihre Hände spielten nervös am Sattelknauf, und ihre Stimme bebte. »Du hast mir erzählt, wie es dort draußen ist. Krieg, Gewalt und Tod. Was reizt dich an einer solchen Welt? Was ist besser daran als an Went, an Cearn? Was lockt dich an diesem Leben?«

Skar lächelte traurig. Die Stille des Waldes schien sich plötzlich in seiner Umgebung zu verdichten, und für einen Moment fühlte er sich trotz all der Menschen um sich herum unendlich einsam und isoliert, eingesponnen in einen dichten, unsichtbaren Kokon aus Schwärze und Alleinsein.

»Vielleicht«, sagte er nach einer Weile, »weil es mein Leben ist, Coar. Ich gebe zu, daß Went ein Paradies ist, trotz der Hoger, aber ...«

»Dann bleib hier!« sagte Coar flehend. »Du ... du bist erst seit wenigen Tagen hier. Wie willst du wissen, ob es dir hier gefällt oder nicht? Du wirst hier alles finden, was du dir wünschst. Du wirst Ruhm erlangen, Macht, Reichtum -«

»Aber Enwor ist meine Heimat«, führte Skar den begonnenen Satz zu Ende. Diesmal schwieg Coar.

9.

Der Morgen dämmerte, als sie zurück nach Went kamen. Skar fühlte sich nach der durchwachten Nacht müde und fiebrig. Sein Rücken schmerzte, und seine Muskeln waren vom langen Reiten steif und verspannt. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, legte die Hand in den Nacken und versuchte, seine schmerzenden Muskeln zu massieren. Es half nichts. Die Spannung blieb und schien im Gegenteil noch stärker zu werden. Thoranda hatte wohl recht - es würde noch Wochen dauern, bis er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war. Sie ritten durch das gleiche Tor wie beim ersten Mal nach Went hinein. Die Cearner begannen sich zu verteilen, um nach der anstrengenden Nacht zurück in ihre Quartiere zu gehen und noch ein paar Stunden zu schlafen.