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»Was tust du jetzt?« fragte Coar, als Skar müde vom Pferd stieg und dem Tier einen freundschaftlichen Klaps auf das Hinterteil gab. Er hatte beobachtet, daß längst nicht alle Cearner ihre Tiere in einen der Ställe oder die große Koppel am westlichen Ende der Stadt zurückbrachten - die meisten ließen sie einfach laufen, als wüßten sie, daß die Tiere ihren Weg auch allein finden würden, und auch Coar schien an seinem Verhalten nichts Außergewöhnliches zu finden.

»Ich bin müde«, sagte er achselzuckend. »Ich denke, ich werde nach Del sehen und mich dann noch ein paar Stunden hinlegen und ausruhen. So viel wie hier habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschlafen.«

»Wäre ich boshaft«, sagte Coar, »dann würde ich das jetzt so auffassen, daß du Went zum Einschlafen langweilig findest. Oder auch mich.« .

Skar grinste und unterdrückte ein Gähnen. »Im Gegenteil, Coar. Aber der Ritt war anstrengend, und ich bin noch nicht wieder bei Kräften. Auch ein Held«, versuchte er Thorandas Tonfall nachzumachen, »braucht von Zeit zu Zeit Erholung.« Er lächelte, half Coar aus dem Sattel und wurde übergangslos wieder ernst.

»Bestattet ihr eure Toten alle so?«

»Dort draußen?« Coar nickte. »Ja. Normalerweise beerdigen wir ihre Körper, doch wenn dies nicht möglich ist, so reicht es auch, ihre Seelenknospen beizusetzen.«

»Seelen ... was?« machte Skar.

»Eyhaka«, sagte Coar in ihrer Heimatsprache. »Der richtige Ausdruck dafür ist Eyhaka. Doch ich fürchte, das Wort läßt sich nicht übersetzen. Vielleicht wäre Same das passende Wort.«

»Trägt... jeder von euch einen solchen Samen in sich?« fragte Skar zögernd. Coar nickte und griff mit der Rechten unter ihre Brust. »Ja. Wir sind Geschöpfe des Waldes, Skar. Cearn ist unsere Mutter, und jeder, der hier geboren wird, trägt ein Stück von ihr in sich. Nicht immer ist es möglich, einem Toten die Ehre zuteil werden zu lassen, die ihm zukommt. Aber niemand von uns ist allein. Der Geist von Cearn ist bei ihm, ganz egal, wohin er geht. Es ist nur ein winziger Schnitt, von dem ein Neugeborenes kaum etwas merkt, und doch sichert es seiner Seele den Frieden mit Cearn, ganz egal, welches Schicksal ihm einst zuteil werden wird.« Der Gedanke erschien Skar im ersten Moment befremdlich. Und doch hatte er etwas ungemein Tröstliches, auch wenn ihm sonst fast jegliches Gefühl für Religionen und Glauben abging. Skar war niemals religiös gewesen, und ein guter Grund für seine Entscheidung, Satai zu werden, hatte darin bestanden, daß dies die einzige Kaste auf Enwor war, in der kein Mann nach seinem Glauben gefragt wurde. Und trotzdem glaubte er für einen Moment zu spüren, was dieser winzige Same, den jeder Cearner vom Tag seiner Geburt an unter dem Herzen trug, für diese Menschen bedeuten mochte. Für einen Menschen, dessen Religion der Wald war, mußte es eine ungeheure Sicherheit sein, zu wissen - nicht zu glauben, sondern zu wissen, das seine Seele eins mit dem Geist Cearns werden würde, ganz egal, was ihm zustieß. Es war ein schöner Brauch, fand er.

»Wenn du ... willst«, sagte Coar zögernd, »trinken wir noch einen Becher Wein miteinander. Bei mir.«

Skar konnte ihr Gesicht in der grauen Dämmerung nicht erkennen, aber er war sicher, so etwas wie ein schüchternes Lächeln auf ihren Zügen wahrzunehmen. Für einen Moment fühlte er sich verwirrt. Aber er mußte sich wohl allmählich an den Gedanken gewöhnen, daß Coar nicht mit den Frauen zu vergleichen war, die er bisher getroffen hatte. Er nickte, mehr vor Überraschung als aus wirklicher Zustimmung, zupfte verlegen an seinen Kleidern und folgte Coar in geringem Abstand. Sie bewegten sich ein Stück weit parallel zur inneren Dornenhecke und betraten dann eine kleine, ebenerdig liegende Hütte, die wie fast alle Gebäude Wents zum Großteil aus Holz und lebenden grünen Ranken gefertigt war und eher gewachsen als gebaut wirkte.

Coar führte ihn in einen weitläufigen, niedrigen Raum und machte eine einladende Handbewegung. »Setz dich, Skar. Ich bin sofort zurück.« Sie fuhr herum und verschwand mit eiligen Schritten im Nebenzimmer, und Skar blieb unschlüssig unter der Tür stehen.

Der Raum war überraschend groß und mußte - bedachte man die relativ kleinen Abmessungen des ganzen Hauses - einen Großteil des vorhandenen Platzes beanspruchen. Wie bereits in den übrigen Gebäuden, die er gesehen hatte; war die Einrichtung sparsam und auf das Allernotwendigste beschränkt. Die Cearner schienen nicht viel Wert auf materiellen Besitz zu legen. Es gab weder Tische noch Stühle, sondern nur zwei flache Truhen, die offenbar zur Aufbewahrung von Kleidern dienten, sowie ein knapp mannshohes, aus Bast geflochtenes Regal, in dem eine Anzahl tönerner Krüge und Becher, dazu einfaches Geschirr aus Holz und Steingut standen. Von der Decke hing eine Öllampe in Form einer Taube mit weit geöffnetem Schnabel. Eine Anzahl grob gewobener Kissen aus bunten Stoffen war in loser Unordnung auf dem Boden verteilt, und in einer Ecke gab es ein einfaches Lager aus Bastmatten und Fellen - und Lederdecken.

Skar ging mit einem Achselzucken zur Bettstelle hinüber und ließ sich darauf nieder. Die unbequem anmutende Anhäufung von Kissen und Decken erwies sich als überraschend weich, und für einen Moment mußte er mit aller Macht gegen das plötzliche Verlangen ankämpfen, sich einfach zurücksinken zu lassen und die Augen zu schließen.

Er reckte sich, gähnte ungeniert und fuhr sich erneut mit der Hand über die Augen. Coar hantierte irgendwo im Nebenraum mit Töpfen und Geschirr. Er hörte ein leises Klirren, dann ein Geräusch, als würde Flüssigkeit von einem Behälter in einen anderen umgefüllt. Die Geräusche erfüllten ihn auf eine seltsame, sanfte Art mit Wohlbehagen. Es war etwas, was er noch nie kennengelernt hatte - irgendwo zu sein, einfach dazusitzen und zu lauschen, wie eine Frau im Nebenzimmer das Essen vorbereitete oder sonst eine häusliche Tätigkeit verrichtete, zu Hause zu sein. Irgend etwas schien sich in ihm zu verändern, seit er Cearn betreten und dieses seltsame Volk getroffen hatte, fast als hätte die Begegnung mit den Cearnern - und vor allem, wie er sich eingestand, mit Coar - das Tor zu einem Bereich seiner Seele aufgestoßen, von dem er bisher nicht einmal gewußt hatte, daß es ihn gab. Vielleicht lag es an der Form dieses Raumes, an der lebenden, atmenden Materie, aus dem er gefertigt war, vielleicht auch nur an seiner Müdigkeit, aber mit einem Male hatte er das Gefühl, schon eine Ewigkeit hier zu sein, jeden Quadratzentimeter seiner Umgebung genau zu kennen. Er fühlte sich sicher und geborgen.

Er schrak hoch, als Coar, beladen mit einem hölzernen Tablett, auf dem ein bauchiger Krug und ein flacher Teller mit dünn geschnittenem Fleisch standen, unter dem Eingang erschien. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt wieder ein einfaches, braunes Gewand, wie es hier in Went üblich zu sein schien, und ihr Haar fiel in offenen gelben Wellen über Nacken und Schultern. Skar wollte aufstehen und ihr helfen, aber sie schüttelte ablehnend den Kopf und kam mit raschen Schritten auf ihn zu. Sie setzte das Tablett vor ihm ab, ließ sich neben ihm auf das Lager sinken und sprang dann noch einmal auf, um zwei Becher zu holen. »Ich hoffe, der Wein schmeckt dir«, sagte sie, während sie vor ihm niederkniete und mit geübten Bewegungen eingoß. »Man sagt, unser Wein sei sehr gut, doch ich muß gestehen, daß ich nicht viel davon kenne. Für mich schmeckt der eine wie der andere. Hier - trink.«