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Skar griff nach dem dargebotenen Becher und setzte ihn an die Lippen. »Ich bin nicht wählerisch«, sagte er. Er nippte vorsichtig, trank einen kleinen Schluck und rasch einen größeren. Der Wein war herb und hatte einen leicht bitteren Nachgeschmack, aber er löschte ausgezeichnet seinen Durst. Er leerte den Becher, griff nach dem Krug und füllte erneut ein. Er spürte erst jetzt, wie durstig und hungrig er war. Sie waren die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, ohne auch nur einmal zu essen oder zu trinken. Er griff nach dem Fleisch, biß hinein und kaute ausgiebig. Coar lächelte. Wie jeder Frau schien es ihr zu schmeicheln, daß ihrem Gast ihre Küche so offenkundig mundete.

»Greif ruhig zu«, sagte sie aufmunternd. »Es ist noch mehr da.«

»Ich möchte dir nicht deine ganzen Vorräte wegessen«, sagte Skar, während er nach einer weiteren Fleischscheibe griff.

»Das tust du nicht, keine Sorge. Ich freue mich, wenn es dir schmeckt. Es kommt selten genug vor, daß ich Gelegenheit habe, jemanden zu bewirten. Aber ich fürchte, ich bin nicht gerade eine Meisterköchin.«

Skar schüttelte erneut den Kopf und biß wieder in sein Fleisch. »Ich habe schon Schlimmeres gegessen«, sagte er mit vollem Mund. Dann stockte er, lächelte verlegen und kratzte sich in einer linkischen Geste hinter dem Ohr. »Verzeih«, murmelte er. »Das ... war wohl nicht sehr höflich von mir, fürchte ich.« Coar seufzte. »Nein, das war es nicht. Aber ich kann die Wahrheit ganz gut vertragen. Ich koche nur selten für mich, weißt du?«

»Du lebst allein hier?« fragte Skar, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Meistens. Manchmal wohnt eines der Mädchen hier, aber die meiste Zeit bin ich allein. Wenn ich hier bin, heißt das. Die Garde ist oft unterwegs. Manchmal wochenlang.«

»Da ist etwas, was ich dich schon lange fragen wollte«, sagte Skar. »Königliche Garde - was bedeutet das? Nur ein Titel, oder mehr?«

»Nur ein Titel, fürchte ich«, antwortete Coar. »Und nicht einmal ein besonderer. Von Zeit zu Zeit reiten wir nach Ipcearn, um den Königspalast zu besuchen oder sonst etwas Überflüssiges zu tun. Aber die meiste Zeit verschwenden wir damit, durch den Wald zu streifen und unsere Rüstungen zu polieren.«

»Den Eindruck hatte ich nicht«, widersprach Skar.

Coar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du meinst den Kampf gegen die Hoger«, sagte sie. »Laß dich davon nicht täuschen, Skar. Hat Logar dir nichts über sie erzählt?«

»Sicher«, nickte Skar. »Doch nach allem, was ich bisher erlebt habe, kann ich seine Worte kaum glauben.«

»Ihr habt euch eine unglückliche Zeit ausgesucht, um nach Cearn zu kommen. Die Hoger brüten, und während dieser Zeit sind sie wie von Sinnen. Normalerweise würden sie es nicht wagen, einen Menschen so tief im Wald anzugreifen. Schon gar nicht eine bewaffnete Gruppe wie die unsere.«

Skar schluckte den letzten Bissen Fleisch herunter, spülte mit einem Schluck Wein nach und langte nach einem weiteren Stück. Der Teller leerte sich zusehends, aber die wenigen Happen schienen seinen Hunger erst richtig geweckt zu haben. »Wie gut, daß ihr kein abergläubisches Volk seid«, sagte er leichthin. »Sonst wärt ihr noch auf die Idee gekommen, unser Auftauchen mit dem Verhalten der Hoger in Zusammenhang zu bringen.«

Für den Bruchteil eines Lidzuckens schien ein Schatten über Coars Züge zu huschen, aber sie hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Trotzdem war Skar sicher, daß sie seine Worte nicht nur als belanglose Konversation aufgefaßt hatte. Sie stand plötzlich auf, griff hastig nach dem leeren Teller und dem Tablett und trug beides hinaus. Als sie zurückkam, wirkte ihr Gesicht wieder gefaßt und beherrscht wie immer. »Wenn du möchtest«, sagte sie, »zeige ich dir später etwas von Went und der Umgebung.«

»Gern. Ich hätte dich sowieso darum gebeten, aber ich dachte, du müßtest mit der Garde ausreiten.«

Coar ließ sich wieder neben ihm nieder. »Sie wird auch ohne mich zurechtkommen«, meinte sie achselzuckend.

»Und Logar hat nichts dagegen?«

Diesmal war Coars Zögern nicht mehr zu übersehen. Für einen Moment erkannte Skar den inneren Kampf, den sie durchs:and. Dann straffte sie sich und sah ihm ernst ins Gesicht. »Ich dürfte es dir nicht verraten«, begann sie, »aber ich mag dich nicht belügen, Skar. Logar hat mir den ausdrücklichen Befehl gegeben, mich um dich zu kümmern.«

»Oh«, machte Skar enttäuscht. »So ist das. Du bist eine Art Kindermädchen.« Coar schüttelte traurig den Kopf. »Wenn du so willst. Aber ich habe mich nicht lange gesträubt, den Auftrag anzunehmen. Hätte ich mich geweigert, wäre ein anderer dazu ausersehen worden, vielleicht sogar Bernec. Wäre dir das lieber?«

»Natürlich nicht. Nur ...« Skar zögerte, setzte den Becher zwischen seinen Füßen auf den Boden und sah Coar nachdenklich an. »Warum das alles, Coar?«

»Warum? Ihr seid Fremde, und ...«

»Das ist es nicht«, unterbrach Skar sie sanft. »Ich gebe zu, ich bin noch nicht lange hier, und eure Sitten und Gebräuche sind mir so fremd wie am ersten Tag, aber so, wie ihr uns behandelt, das ist nicht normal. Auch nicht für ein so gastfreundliches Volk wie das eure. Warum?«

»Wäre es dir lieber, wenn wir euch in Ketten legen würden?«

Skar schürzte verärgert die Lippen. »Du weißt ganz genau, was ich meine, Coar. Als du mich hierhergebracht hast, da waren wir Gefangene, und Logar hätte mich am liebsten am höchsten Baum von Went aufgeknüpft, von Bernec ganz zu schweigen. Und jetzt, kaum drei Tage später, seid ihr alle wie ausgewechselt. Erzähl mir jetzt bitte nicht, ich hätte euch gegen die Hoger beigestanden, denn das ist es nicht, nicht allein. Ihr behandelt mich wie ... wie einen König, und ich möchte endlich wissen, warum!«

Coar hielt seinem Blick einen Moment lang stand, senkte dann den Kopf und begann mit den Fingerspitzen imaginäre Linien auf den Boden zu zeichnen. »Das bildest du dir ein«, sagte sie, doch ihre Worte klangen nicht sehr überzeugend. »Und selbst wenn es so wäre - was wäre so schlimm daran? Wir bekommen nicht oft Besuch, und wir sind ein gastfreundliches Volk ...«

»Quatsch«, sagte Skar ruhig. »Ausgemachter Blödsinn.«

Coar seufzte. Sie hob den Kopf, zog die Beine an den Körper und stützte das Kinn auf die Knie. »Logar hat seine Meinung nicht von ungefähr so rasch geändert«, sagte sie so leise, daß Skar Mühe hatte, die Worte überhaupt zu verstehen. »Die Nachricht von eurer Ankunft ist rasch bis nach Ipcearn vorgedrungen. Logar handelt auf direkten Befehl der Könige. Er - das heißt, wir alle haben Order, euch so zuvorkommend wie möglich zu behandeln und euch jeden Wunsch zu erfüllen.«

»Und warum?« fragte Skar verwirrt. »Eure Könige kennen uns nicht einmal!«

»Sie kennen dich nicht, Skar, aber sie kennen Männer wie dich. Ich dürfte es dir nicht sagen, aber es ist ein Befehl, euch mit aller Macht zum Bleiben zu überreden. Wir ... brauchen euch. Dich!« Sie senkte erneut den Blick und fuhr fort, unsichtbare Linien über den Lehmboden zu ziehen. Ihre Bewegungen wirkten fahrig und nervös. »Du wolltest es wissen«, flüsterte sie.

Skar nickte matt. Ihre Worte hatten wie eine kalte Dusche auf ihn gewirkt. Das sanfte, vertraute Gefühl der Geborgenheit, das bisher in ihm gewesen war, war erloschen wie eine Kerzenflamme, über die der Wind bläst, und zurück blieben nur Leere und Enttäuschung. Aber was hatte er erwartet? Er hä tte sich mit dem zufriedengeben sollen, was er hatte, aber er hätte weiter fragen und bohren und graben müssen, lange genug, um sich selbst alles zu zerstören.

»Hast du mich ... deshalb mitgenommen?« fragte er stockend. »Hierher?« Coars Kopf flog mit einem zornigen Ruck in den Nacken. Ihre Lippen bebten, und für einen winzigen Moment glaubte Skar einen feuchten Schimmer in ihren Augen zu entdecken. Aber ihre Stimme klang beherrscht, als sie antwortete. »Nein, Skar. Ich habe versprochen, mich um dich zu kümmern, das stimmt. Doch man kann einen Befehl auch mit Freude ausführen, und es gibt Befehle, die sich mit den eigenen Wünschen decken. Ich dachte, ich könnte die Pflicht mit ... mit ...« Sie brach ab, ballte in stummer Wut die Faust und murmelte ein Wort in ihrer Heimatsprache. Dann schüttelte sie den Kopf und raffte sich zu einem matten Lächeln auf. »Wir sitzen da und reden und reden und machen mehr kaputt, als vielleicht jemals zwischen uns existiert hat«, murmelte sie. »Ich benehme mich wie ein kleines Mädchen, und -«