Skar beugte sich zu ihr hinüber, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. Für einen Moment versteifte sich ihr Körper, dann erwiderte sie seine Umarmung, stürmisch und mit einer Kraft, die ihm mehr als alle Worte sagte, daß sie die ganze Zeit darauf gewartet hatte, daß er genau dies tat.
Es dauerte lange, bis sie sich wieder voneinander lösten, beide außer Atem und fast überrascht von ihrem eigenen Tun.
»Nimm mich so, wie du willst«, flüsterte sie. »Als Freund, als Kamerad oder als Frau, aber sag nie wieder, daß -«
Skar legte ihr sanft den Finger über die Lippen. »Nicht«, murmelte er. »Sprich es nicht aus. Ich habe schon zuviel dummes Zeug geredet.«
»Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn wir aufhören würden, uns ständig gegenseitig um Vergebung für irgend etwas zu bitten«, schlug Coar vor. »Dabei geht viel zuviel Zeit verloren.« Sie ließ sich zurücksinken, zog ihn mit sanfter Gewalt zu sich herab und küßte ihn noch einmal, sanfter diesmal und voller Zärtlichkeit.
Skars Finger glitten scheu über ihren Körper. Er spürte, wie sie unter der Berührung erschauerte, zog die Hand zurück und streichelte sie dann erneut. Coar schlang die Arme um seinen Oberkörper und preßte ihn eng an sich.
Eine Bewegung unter der Tür ließ ihn zusammenzucken. Skar fuhr herum, setzte sich hastig auf und tauschte einen verwirrten Blick mit Coar.
»Was ...?« machte sie. Sie folgte seinem Blick und lächelte flüchtig, als sie die Gestalt unter der Tür erkannte. Es war der Knabe, dem Skar bereits am Tage begegnet war. Er hatte nicht gehört, wie er das Haus betreten hatte.
»Besharin!« sagte Coar streng. »Toman gesh kah twest? Besh!«
Cornec trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und sah abwechselnd Skar und Coar an. Er versuchte etwas zu sagen, aber Coar unterbrach ihn fast sofort und machte eine eindeutige Geste zur Tür. Der junge hob trotzig den Kopf, wandte sich aber dann doch um und verließ, wenn auch provozierend langsam, den Raum.
»Sei ihm nicht böse, Skar«, bat Coar, als der Junge endgültig gegangen war. »Er ist ein Kind. Und er wartet seit Tagen auf eine Gelegenheit, dich näher kennenzulernen.«
Skar lächelte gequält. »Ich habe bereits mit ihm gesprochen«, sagte er. »Gestern.«
»Ich weiß«, nickte Coar. »Er hat es mir erzählt. Er ist sehr stolz darauf, weißt du?«
»Wer ist er?« fragte Skar, durch Coars Worte neugierig gemacht.
Coar lächelte. »Mein Sohn.«
»Dein - Sohn?!« echote Skar verblüfft. »Du hast einen ... ein Kind? Du bist verheiratet?«
Coar stemmte sich auf die Ellbogen hoch und überlegte einen Moment. »Verheiratet? Was meinst du damit?«
»Aber du hast ein Kind, und ... ich meine ... wer ... wer ist der Vater?«
»Bernec«, erklärte Coar ruhig.
»Bernec!« ächzte Skar. »Bernec ist dein Mann?«
»Mein Mann?« wiederholte Coar ungläubig. »Ich verstehe dich nicht, Skar. Was meinst du damit - mein Mann? Wie kann ein Mensch einem anderen gehören? Ist das in deiner Heimat so Sitte?«
»Natürlich nicht«, versicherte Skar hastig. »Ich dachte nur ... verzeih, wenn ich verwirrt bin. Aber Bernec und du ...«
»Wir mögen uns«, erklärte Coar ruhig. »Und wenn man sich gern hat, lebt man eine Weile zusammen, so wie wir, vielleicht. Ich wollte ein Kind, und Bernec ist jung und gesund, so daß ich deine Verwunderung nicht verstehe.«
»Aber Cornec ist schon so alt«, murmelte Skar hilflos.
»Er ist neun«, sagte Coar, »und ich war sechzehn, als ich ihn bekam. Ein normales Alter.«
»Dann bist du jetzt fünfundzwanzig. Ich hielt dich für jünger.«
Coar seufzte, griff nach seinen Schultern und zog sich daran hoch. »Laß uns später darüber reden, Skar«, sagte sie leise. »Morgen ist Zeit genug, über Bernec und Cornec und alle anderen Dinge zu reden.«
Skar resignierte und gab sich ihrer Umarmung hin.
Für die nächsten zwei Stunden vergaß er fast, daß er überhaupt reden konnte.
10.
Während der nächsten Tage lernte er den Wald von Cearn und seine Bewohner besser kennen als jemals ein Land zuvor. Coar und er verbrachten jede Minute des Tages miteinander. Seit jenem ersten Morgen lebte er bei ihr, ohne daß es eines weiteren Wortes der Erklärung bedurft hätte, und so, wie sie beide ihr neugewonnenes Verhältnis wie selbstverständlich hinnahmen, schienen es auch die anderen Bewohner Wents zu akzeptieren, ohne jemals in seiner Gegenwart auch nur ein Wort darüber zu verlieren.
Auch Dels Genesung machte rasche Fortschritte. Die Narbe an seiner Schulter verheilte zusehends, und seine Haut nahm allmählich wieder eine gesunde, kräftige Farbe an, wenn er auch noch immer hager und ausgemergelt wirkte. Trotzdem beharrte Thoranda darauf, ihn in seinem künstlichen Schlaf zu belassen, und Skar wagte es nicht, ihr offen zu widersprechen. Auf ihre stille, sanftmütige Art besaß die Heilerin eine Autorität, gegen die nicht einmal er sich aufzulehnen wagte, und so beließ er es dabei, Del mehrmals täglich zu besuchen und sich nach seinem Zustand zu erkundigen - so lange, bis Thoranda seine ständigen Fragen auf die Nerven gingen und sie ihn kurzerhand hinauswarf.
Aber die Wirklichkeit holte ihn rasch ein; schneller, als ihm lieb war. Am dritten Morgen nach der Beerdigung weckte ihn ein Trompetensignal, ein heller, nicht einmal sonderlich lauter Ton, der aber so durchdringend war, daß er erschrocken von seinem Lager hochfuhr und neben sich griff, an die Stelle, wo er normalerweise seine Waffen aufbewahrte.
Coar hob verschlafen den Kopf. »Was ist los?« murrte sie. Sie blinzelte, richtete sich unsicher in eine halb liegende, halb sitzende Stellung auf und gähnte ungeniert. Skars unsanfte Berührung hatte sie geweckt, aber sie schien für einen Moment Schwierigkeiten zu haben, in die Wirklichkeit zurückzufinden.
Skar wollte antworten, aber in diesem Moment wiederholte sich das Trompetensignal, und jenseits der dünnen Wände wurden hastige Schritte laut. »Was bedeutet das?« fragte er.
Statt einer Antwort schlug Coar die dünne Decke zurück, stand auf und schlüpfte hastig in ihr Kleid. »Zieh dich an«, sagte sie. »Rasch.«
Skar drehte verwundert den Kopf. Vor den schmalen Fenstern lastete noch graue Dämmerung, aber den Geräuschen nach zu schließen mußte Went bereits erwacht sein. »Was ist los?« fragte er noch einmal. »Werden wir angegriffen?«
Coar zog den Gürtel um die Taille zusammen, band ihr Haar im Nacken zu einem Knoten und schöpfte sich hastig ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht. »Das Signal«, sagte sie prustend. »Hast du es nicht gehört?«
»Doch«, erwiderte Skar. »Vor dir, wenn ich dich erinnern darf. Aber ich hätte auch ganz gerne gewußt, was es bedeutet.«
»Reiter«, erklärte Coar, während sie sich ungeduldig nach seinen Kleidern bückte und ihm Lendenschurz, Wams und Sandalen vor die Füße warf. »Reiter aus Ipcearn. Die Boten der Könige. Du solltest dich besser beeilen.«
Skar runzelte verwundert die Stirn und bequemte sich endlich dazu, aufzustehen und zur Waschschüssel hinüberzuschlurfen. Das eisige Wasser vertrieb den dumpfen Druck hinter seiner Stirn ein wenig. Er wusch sich gründlich, fuhr sich anschließend in Ermangelung eines Kammes mit den gespreizten Fingern durch das Haar und zog sich dann unter Coars ungeduldigen Blicken an.