Sie verließen das Haus und schlossen sich der Menge an, die ungeduldig dem westlichen Tor entgegenströmte. Halb Went schien sich bereits vor der Dornenbarriere versammelt zu haben, und die Handvoll Soldaten, die das Tor abschirmten, hatten alle Mühe, die aufgeregte Menge zurückzudrängen und eine Gasse freizuhalten. Coar rief etwas, aber ihre Worte gingen im Lärm der Menge unter. Schließlich versetzte sie dem Mann vor sich einen derben Rippenstoß und drängte sich mit purer Gewalt durch die dichtgedrängt stehenden Menschen. Logar und ein knappes Dutzend Berittener erwarteten sie ungeduldig, als sie sich endlich zum Tor durchgeschubst und gedrängelt hatten. »Endlich«, sagte er mit einer ungeduldigen Geste auf zwei zusätzliche reiterlose Pferde deutend, die - aufgescheucht und nervös gemacht durch die lärmende Menschenmenge ringsum - an ihrem Zaumzeug zerrten und von einem schwitzenden Soldaten nur mehr mit Mühe gehalten werden konnten. »Sitzt auf. Sie müssen gleich hier sein.«
Skar wollte eine Frage stellen, aber Logar hatte sich bereits umgewandt und brüllte Befehle. Er zuckte die Achseln, griff nach dem Zaumzeug und schwang sich in den Sattel. Das Tier schnaubte erregt, aber er brachte es mit sanftem Schenkeldruck und ein paar leisen, gemurmelten Worten zur Ruhe.
Wieder erscholl das Trompetensignal, und als Skar im Sattel herumfuhr, erkannte er jenseits des Tores eine Gruppe von vielleicht drei Dutzend Berittenen, die in scharfem Tempo näher kam. Selbst auf die große Entfernung glaubte er zu erkennen, daß Menschen und Tiere erschöpft und am Ende ihrer Kräfte waren. »Sie scheinen es verdammt eilig zu haben«, murmelte Coar neben ihm.
»Was soll dieser Auftritt eigentlich?« fragte Skar halblaut.
Logar warf ihm einen warnenden Blick zu, und Coar legte den Finger über die Lippen. »Nicht«, flüsterte sie. »Sag jetzt nichts. Ich hätte dich vorbereitet, aber sie sind eher gekommen, als ich geglaubt habe. Ich dachte, es wäre noch genügend Zeit.«
Skar zuckte resignierend mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf die näherkommenden Reiter. Die Kolonne zog sich auseinander, als sie sich dem Tor näherte. Die Reiter preschten mit unvermindertem Tempo durch die schmale Öffnung in der Dornenhecke, jagten durch den Verteidigungsgürtel und galoppierten weiter. Ein letzter Trompetenstoß erklang, und für einen kurzen Moment schien die Erde zu beben, als die Männer ihre Tiere unnötig hart und brutal zum Stehen brachten. Staub wallte hoch, und nicht nur ein Tier stieg, vor Schmerz und Unmut kreischend, auf die Hinterläufe, als die Trense in sein Maul biß.
Skar runzelte mißbilligend die Stirn. Die Szene mochte auf die Cearner beeindruckend wirken, aber für ihn war sie nicht mehr als eine überflüssige und zudem dumme Machtdemonstration, die ihn höchstens wütend machte. Er schluckte die spitze Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, hinunter und beließ es statt dessen bei einem abfälligen Lächeln.
Logar straffte sich. Seine schmalen Hände umklammerten die Zügel so stark, daß die Knöchel weiß hervortraten, und sein Gesicht schien von einem Augenblick auf den anderen zu Stein zu Vierstarren. Er ritt langsam vor und hob die Hand zum Gruß.
»Was soll das Ganze eigentlich?« wiederholte Skar seine Frage. »Ist irgend etwas passiert?«
»Nein«, antwortete Coar im Flüsterton. »Sie kommen wegen dir.«
»Meinetwegen?« entfuhr es Skar so laut, daß ein paar der Reiter unwillig zu ihm herübersahen. Er fuhr zusammen, musterte die verstaubte Kolonne mit neu erwachtem Interesse und fragte noch einmal, wenn auch wesentlich leiser: »Sie sind meinetwegen hier?«
Coar nickte. Sie schien es aufgegeben zu haben, ihn zur Ruhe ermahnen zu wollen. »Wegen dir und Del«, wiederholte sie. »Ich sagte dir doch, daß die Könige daran interessiert sind, euch ken;nenzulernen. Schweig jetzt. Sie kommen.«
Logar hatte mittlerweile sein Pferd herumgedrängt und kam im Schrittempo zu ihnen zurück. In seiner Begleitung befanden sich zwei der neu angekommenen Reiter. Sie unterschieden sich in Kleidung und Aussehen kaum von den Bewohnern Wents - braune, bis über die Waden reichende Hosen, offene Sandalen und lose fallende Hemden, die über der Taille mit dünnen schwarzen Gürteln geschnürt waren, dazu zerbrechlich wirkende Lederhelme, die eher der Zierde als dem Schutz zu dienen schienen. Ihre Bewaffnung bestand aus schmalen, leicht gekrümmten Säbeln, die ohne Hülle im Gürtel steckten. Skar konnte nichts Königliches an ihnen entdecken; im Gegenteil. Das einzige, was ihre Haltung auszudrücken schien, war Hochmut.
Trotzdem neigte er den Kopf, als Logar mit seinen beiden Begleitern dicht vor ihm stehenblieb.
»Das sind Mergell und Chaime, die Herolde Ipcearns«, erklärte er mit einer entsprechenden Geste. »Mergell, Chaime - Skar.«
Skar lächelte unverbindlich und kühler, als notwendig gewesen wäre. Logar warf ihm einen fast flehenden Blick zu. Er schien genau zu spüren, was hinter Skars Stirn vorging.
»Du bist also dieser Skar«, sagte Mergell nachdenklich. Sein Blick tastete mit schon fast unverschämter Neugierde über Skars Gestalt. Was er sah, schien seinen Erwartungen nicht zu entsprechen, und er gab sich keine Mühe, seine Gefühle zu verbergen. »Ich hatte mir dich größer vorgestellt«, sagte er.
Skar hob beiläufig die Schultern. »Wenn du einen Riesen erwartet hast, muß ich dich enttäuschen, Mergell.«
Logar begann nervös an der Mähne seines Pferdes zu zupfen. »Ich ... muß für Skar um Vergebung bitten«, sagte er hastig. »Er kennt unsere Umgangsformen noch nicht, und ...«
Mergell brachte ihn mit einer beiläufigen Geste zum Verstummen. »Schon gut, Logar«, sagte er. »Ich bin nicht gekommen, um mich über Fragen der Etikette zu unterhalten.« Er lächelte, aber auf eine Art, die Skars vorgefaßte Meinung über ihn noch bestärkte. »Wo ist der andere?«
Logar wollte antworten, aber diesmal war Skar schneller. »Wenn du mit dem anderen meinen Kameraden meinst«, sagte er spitz, »muß ich dich abermals enttäuschen, Mergell. Del ist noch ohne Bewußtsein. Ich hielt es nicht für notwendig, ihn zu wekken.«
Logar erbleichte. Er schluckte mühsam, schloß die Augen und wirkte plötzlich wie ein Mann, der sich am liebsten in irgendeiner finsteren Ecke verkrochen hätte. Aber Mergell schien auch diese Bemerkung nicht übelzunehmen. Er seufzte, tauschte einen raschen Blick mit seinem Begleiter und schüttelte den Kopf. »Ich sehe, man hat mich nicht umsonst vor dir gewarnt«, sagte er.
Skar lächelte herausfordernd. »Hat man das?«
Mergell nickte. »Man sagte mir, ich würde einen Barbaren vorfinden«, antwortete er ernsthaft. »Ich habe es nicht geglaubt, aber ich fürchte, ich muß mich eines Besseren belehren lassen. Bist du immer so freundlich deinen Rettern gegenüber?« Skar grinste noch breiter. »Normalerweise nicht«, sagte er. »Doch da, wo ich herkomme, gibt es ein Sprichwort, Mergelclass="underline" Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus. Kennst du es?«
Mergell lächelte. »Nein. Aber ich verstehe es trotzdem. Doch ich bin nicht gekommen, um mich mit dir zu streiten und Sprichworte auszutauschen, Skar. Ich kam, euch die Grüße unserer Könige auszurichten. Auch in lpcearn ist bekanntgeworden, was du unserer Garde getan hast, und die Könige von Cearn verwehn keinem, der sein Leben für ihre Untertanen riskiert, ihre Dankbarkeit. Ich soll dir ihre Grüße ausrichten und dich wissen lassen, daß ganz Cearn tief in deiner Schuld steht.« Er neigte spärich das Haupt, senkte den Blick und tätschelte versonnen den Hals seines Tieres.
Skar sah, daß die Flanken des Tieres zitterten und seine Haut an zahlreichen blutigen Kratzern bedeckt war. »Ihr habt einen scharfen Ritt hinter euch«, sagte er. Mergell sah auf. »Das stimmt. Du bist ein aufmerksamer Beobchter, Skar. Wir wurden angegriffen, auf halbem Wege zwischen Hier und Ipcearn.«