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Skar zuckte die Achseln und trat langsam auf die Tür zu. Mergell und Chaime blieben zurück, warteten jedoch, bis er den Riegel zurückgeschoben und die Tür halb geöffnet hatte, ehe sie sich umwandten und gingen.

Skar trat langsam in den dahinterliegenden Raum und schob die Tür mit dem Fuß ins Schloß. Das Zimmer war kleiner, als er erwartet hatte, und entbehrte jeglicher königlicher Pracht - ein niedriger, rechteckiger Raum ohne Fenster, dessen gesamte Einrichtung aus einem Tisch und einer Anzahl dreibeiniger Hocker bestand. Eine einzelne Fackel verbreitete flackerndes rotes Licht, und in der Luft lag ein kaum wahrnehmbarer Duft, der ihn an Blumen und frisch gemähtes Gras erinnerte. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine zweite, durch einen in schweren roten Falten fallenden Vorhang verschlossene Tür.

»Du bist also Skar«, sagte eine Stimme.

Skar fuhr erschrocken herum und gewahrte erst jetzt den Mann, der auf einem Hocker in einer Ecke des Raumes saß.

»Ich ... bin Skar«, antwortete er überrascht. »Und Ihr ...«

»Ich bin Seshar, der König von Ipcearn«, antwortete der Mann. Er stand auf, lächelte flüchtig und kam mit gemessenen Schritten auf ihn zu. Er war nur wenig älter als Skar, aber kleiner und von gebeugter Statur. Sein Haar war grau und dünn und ebenso mühsam wie vergeblich so gekämmt, daß es die beginnende Stirnglatze verbergen sollte.

»Einer der Könige«, schränkte er ein, nachdem er vor Skar stehengeblieben war und ihn eine Weile gemustert hatte. »Meine Gemahlin läßt sich entschuldigen, für den Moment. Sie wird dich später begrüßen.« Er deutete einladend auf einen der Stühle. »Setz dich, Skar. Du mußt müde von der anstrengenden Reise sein. Ich hoffe, ihr seid nicht behelligt worden?«

Skar schüttelte den Kopf und ging zögernd hinter Seshar her. Der König ließ sich mit einem leisen Seufzer auf einen der Stühle sinken, stützte die Unterarme auf der Tischplatte auf und legte die Hände übereinander.

»Du hast dich gut erholt, wie ich sehe«, sagte er. »Und auch deinem Kameraden geht es besser?«

»Er ist gesund«, bestätigte Skar. »Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft und die Hilfe, die Euer Volk ...«

Seshar blinzelte unwillig und machte eine rasche, ungeduldige Handbewegung. »Morgen«, sagte er, »werden wir dir zu Ehren ein Bankett geben. Dann kannst du dich bedanken, soviel du willst. Im Augenblick haben wir Dringenderes zu besprechen.« Er lächelte, als er den überraschten Ausdruck auf Skars Miene sah. »Es wird dich vielleicht verwundern, wenn ich so direkt und ohne Umschweife zur Sache komme«, fuhr er fort, »doch ich möchte, daß du alle Einzelheiten kennst, ehe du dich entscheidest.«

Skar wollte etwas sagen, aber Seshar schüttelte erneut den Kopf und sprach weiter: »Ich weiß, was wir von dir verlangen, Skar. Und ich kenne auch deine Antwort. Du bist nicht der erste, der den Weg nach Cearn findet.« Er stand auf, sah Skar für die Dauer von drei, vier Herzschlägen durchdringend an und winkte dann mit der Hand. »Komm mit mir, Skar.«

Skar erhob sich und folgte Seshar in den Nebenraum. Das Zimmer war größer als das, in dem sie bisher gewesen waren, und reichhaltiger möbliert. Kisten und schwere, geschnitzte Truhen reihten sich entlang der Wände, und links von der Tür stand ein gewaltiger, ovaler Tisch mit einer safranbraunen Platte und einem grünen, unregelmäßig geformten Aufbau. Seshar deutete darauf und hieß Skar mit einer auffordernden Geste näherzutreten.

Skar warf dem König einen verblüfften Blick zu, als er erkannte, was er vor sich hatte. Es war ein miniaturisiertes, mit unendlicher Geduld angefertigtes Modell Cearns. Das braune Material der Tischplatte stellte die Nonakesh dar, komplett mit der vorgelagerten, ringförmigen Düne, die Cearn wie ein natürlicher Wall vor dem Ansturm der Wüste und des Windes beschützte. Skar trat langsam näher und blickte fasziniert auf das winzige Modell des Waldes. Jeder einzelne Baum, jeder Tümpel und jeder Teich schienen vorhanden zu sein, jeder Fußbreit Boden war mit unendlicher Geduld und Kunstfertigkeit nachgebaut. Es gab ein Modell Wents, in dem er bei genauem Hinsehen sogar die Häuser Coars und Thorandas wiederzuerkennen glaubte.

»Das ist ... phantastisch«, murmelte Skar.

Seshar nickte. »Aber es ist mehr als ein Spielzeug«, sagte er, Skars Frage vorwegnehmend. »Und ich habe es dir nicht nur gezeigt, um dich zu beeindrucken.« Er trat näher und strich mit der Hand dicht über den Wipfeln des Miniaturwaldes durch die Luft. »Was du hier siehst, Skar«, sagte er, »ist ein Plan. Der Plan unseres Lebens, unserer Vergangenheit und unserer Zukunft. Das Leben unseres Volkes, wenn du so willst. Es hat Jahrtausende gedauert, Cearn in seiner jetzigen Form erstehen zu lassen. Und es liegt in deiner Hand, es zu retten oder zu zerstören.«

»In... meiner Hand? Wie meint Ihr das?«

Seshar zögerte sichtlich. Sein Blick bohrte sich in Skars Augen, aber es schien, als sehe er etwas ganz, ganz anderes. »Ich habe dich nicht hierhergebeten, um dich zu überreden, in unseren Dienst zu treten, Skar«, sagte er leise.

»Aber Mergell sagte doch ...«

»Ich weiß, was Mergell gesagt hat«, lächelte Seshar. »Doch es gibt Dinge, die ich nicht einmal meine engsten Vertrauten wissen lassen darf - oder denen, die sich dafür halten. Hat man dir die Geschichte unseres Volkes erzählt?«

Skar nickte.

»Du wirst sie nicht geglaubt haben«, vermutete Seshar. »Doch sie stimmt. Cearn ist nicht unsere Heimat. Unser Volk stammt ursprünglich aus eineue Land, das sehr, sehr weit im Westen liegt. Weiter, als ihr gewandert seid, um zu uns zu gelangen, vielleicht weiter, als überhaupt ein Mensch zu gehen imstande ist.«

»Ich glaube Eure Geschichte, Seshar«, sagte Skar ruhig. »Ich habe gesehen, wie Ihr den Wald von Cearn pflegt, und ich sah die Dünen und den neuen Wald.« Er deutete auf die kaum fingerbreite Mulde, die den westlichen Rand von Cearn wie ein nach vorne gerichteter Keil einfaßte. »Aber wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte ... es ist unglaublich.«

»Vielleicht«, bestätigte Seshar. »Doch es war der einzige Weg für unser Volk, zu überleben. Wir wurden in die Nonakesh getrieben, und die einzige Möglichkeit zu überleben war die, das Unmögliche möglich zu machen.«

»Aber warum?« fragte Skar. »Warum dieses ungeheure Vorhaben? Warum habt Ihr Euch nicht damit zufriedengegeben, in Cearn zu leben und -?«

»Weil wir es nicht können«, sagte Seshar. »Du machst dir ein falsches Bild von uns, Skar. Du hältst uns für friedlich, für ein Volk von Gärtnern und Blumenzüchtern, aber das sind wir nicht. In jedem einzelnen von uns brennt das Feuer der Rache. Nur der Gedanke, eines Tages die fruchtbaren Ebenen Urcs zurückzuerobern, gab uns die Kraft, die Wüste zu besiegen und diesen Wald zu erschaffen. Cearn war nicht immer so groß wie heute. Als wir unsere Wanderung begannen, war es nicht mehr als eine kümmerliche Oase, ein winziger Fleck fruchtbarer Erde, durch eine Laune der Natur inmitten der tödlichen Wüste erhalten geblieben. Kannst du dir vorstellen, Skar, welche Kraft, welch unbeugsamer Wille unser Volk beseelt haben muß, dies alles zu erschaffen und zu erhalten?«

Skar nickte stumm. Der Gedanke betäubte ihn fast. Er blickte auf den Tisch mit dem Modell - dem Plan - Cearns herab, und für einen winzigen Moment stieg eine Vision in ihm empor, wie es gewesen sein mußte, damals. Ein Volk, vertrieben und gejagt, die Handvoll Überlebender, die der Verfolgung eines grausamen Feindes entronnen war und die tödliche Hitze der Wüste überstanden hatte. Irgendwann, nach Tagen oder vielleicht Wochen einer Wanderung, auf der die meisten von ihnen einen grausamen Tod gestorben waren, hatten sie eine Oase gefunden. Und sie hatten Cearn geschaffen, vielleicht das größte Wunder, das es auf ganz Enwor gab. »Ja«, sagte er leise. »Ich glaube, ich weiß, was Ihr mir sagen wollt ...«