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»Schweig, Skar!« donnerte Seshar. »Ich will nichts mehr hören! Wir haben uns getäuscht. Du bist nicht der Mann, auf den wir gewartet haben. Verzeih, wenn ich falsche Hoffnungen in dir geweckt habe, doch auch ein König ist nur ein Mensch und kann sich irren. Du kannst auf Ipcearn bleiben, solange du willst, doch im Augenblick bitte ich dich, dich zurückzuziehen und uns allein zu lassen.« Skar schluckte mühsam. Für den Bruchteil einer Sekunde verzerrte sich sein Gesicht vor Haß. Seine Hände begannen zu zittern. Er bückte sich, hob seine Waffe und den Gurt auf und band beides mit wütenden Bewegungen um. Dann riß er den Umhang von seiner Schulter, knüllte ihn zusammen und fuhr sich damit über den blutigen Kratzer an der Seite. »Wie Ihr wollt, König«, sagte er in einer Art, die ihn an einem anderen Ort leicht den Kopf hätte kosten können. Er warf den Umhang wütend zu Boden, fuhr herum und stapfte aus dem Raum. Die Tür fiel hinter ihm so wuchtig ins Schloß, daß der gesamte Turm für einen Augenblick zu beben schien.

12.

Er verlief sich dreimal auf dem Weg zu seinem Zimmer. Ipcearn mochte nicht sonderlich groß erscheinen, aber durch die zahlreichen über- und ineinander geschachtelten Ebenen, aus denen es aufgebaut war, wurde sein Inneres für einen Fremden wie ihn zu einem Labyrinth, in dem er sich hoffnungslos verirren mußte. Schließlich griff er sich einen x-beliebigen Soldaten, der ihm irgendwo in den unteren Ebenen über den Weg lief, und fauchte ihn an, ihn zu seinen Gemächern zu führen. Der Mann schien durch den unerwartet gereizten Ton perplex und starrte ihn sekundenlang verständnislos an, bis Skar mit einem derben Rippenstoß dafür sorgte, daß er endlich begriff, was er von ihm wollte.

Die Spannung fiel erst von ihm ab, als er die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte und allein war. Mit einemmal fühlte er, wie ihn der Kampf erschöpft hatte. Seine Oberarme schmerzten von den unzähligen wuchtigen Hieben, die er ausgeteilt und aufgefangen hatte, und die Wunde an seiner Seite brannte wie Feuer. Für einen winzigen Augenblick, das spürte er, war der Kampf echt gewesen. Mergell hatte ihn töten wollen - und er war ein verdammt gefährlicher Gegner.

Er blieb einen Moment lang gegen die Tür gelehnt stehen, ging dann zum Bett und ließ sich der Länge nach in die weichen Dekken fallen und blieb zehn, fünfzehn Minuten lang vollkommen reglos liegen. Er schlief nicht, aber er war auch nicht mehr ganz wach, sondern befand sich in einer Art Dämmerzustand, als hätte sein Bewußtsein die Bedürfnisse seines Körpers auf ein Minimum reduziert, um den Fluß seiner Gedanken möglichst frei von störenden Einflüssen zu halten. War der Ausdruck, den er auf Seshars Gesicht gesehen hatte, wirklich nur Verachtung gewesen? Oder war es mehr? Die Worte, die Seshar am vergangenen Abend benutzt hatte, gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. Manche überlebten die Entbehrungen nicht, die sie auf dem Weg hierher überstehen mußten. Andere wieder gingen nach kurzer Zeit, um den Rückweg zu suchen. Keiner von ihnen fand ihn. Und wieder andere wurden getötet, von mir oder denen, die vor mir die Verantwortung für Cearn innehatten. Welches dieser drei Schicksale würde - wenn überhaupt - auf ihn warten?

Jemand klopfte gegen die Tür, zuerst leise und zaghaft, dann, als Skar nicht gleich antwortete, ungeduldiger und fordernder. Er setzte sich auf, runzelte überlegend die Stirn und rief leise: »Herein.«

Die Tür ging auf, und Mergell betrat den Raum. Er sah nicht gut aus. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, die Hand war seltsam verkrümmt, als hätte er einen Krampf. Sein Gesicht wirkte verschwollen und war blau und rot angelaufen. Er humpelte. Er schob die Tür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und betrachtete Skar zehn, fünfzehn Sekunden lang schweigend.

»Was willst du?« fragte Skar unfreundlich.

Mergell lächelte. »Eigentlich«, sagte er ruhig, »ist es zu früh, zu dir zu kommen, aber ich kenne Ipcearn wie kein anderer, und ich glaube kaum, daß mich jemand gesehen hat.« Er trat einen Schritt näher und versuchte zu lächeln, aber sein angeschwollenes Gesicht ließ eher eine Grimasse daraus werden.

Skar setzte sich widerwillig auf. »Was willst du?« fragte er noch einmal.

Mergell blieb stehen und blickte unsicher auf seine verkrümmte Hand. »So, wie es aussieht, sollte ich mich vielleicht bei dir bedanken, daß du mir nicht alle Knochen im Leib gebrochen hast«, murmelte er.

Skar betrachtete sekundenlang den blutigen Schnitt an seiner Seite und lächelte säuerlich.

»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Mergell hastig. »Aber mir blieb keine Wahl. So, wie du mich verdroschen hast, hätte mir niemand geglaubt, daß ich dich doch noch besiege. Ich mußte zum Schwert greifen.«

»Du kämpfst besser, als ich gedacht hatte«, sagte Skar, ein wenig freundlicher, aber keineswegs versöhnt.

»Ich hoffe, es hat echt gewirkt«, sagte Mergell.

Skar schnaubte. »Es war echt, nicht wahr?«

Mergell zögerte einen Moment, versuchte vergeblich Skars Blick standzuhalten und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Für einen Moment - ja«, bekannte er. »Aber ich weiß, daß du mich hättest umbringen können, wenn du gewollt hättest. Ihr Satai seid wirklich gute Krieger.«

Skar stand auf, trat ans Fenster und schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht auf Satai-Art mit dir gekämpft, Mergell«, sagte er ruhig und ohne sich umzuwenden. »Ein wirklich ernstgemeinter Kampf dauert selten länger als wenige Sekunden. Du hast es schon ganz richtig ausgedrückt - ich habe dich verdroschen, mehr nicht.« Er versuchte vergeblich, seinen Worten einen scherzhaften oder wenigstens versöhnlichen Klang zu verleihen. Vielleicht hätte jeder andere von der Situation erwartet, daß Mergell und er nun plötzlich zu Freunden geworden oder wenigstens ihre offene Feindschaft vergessen hätten, aber das war nicht so. Er mochte Mergell weniger denn je, und Mergells Gefühle ihm gegenüber schienen ähnlicher Natur zu sein.

»Du wirst Ipcearn verlassen«, stellte Mergell fest.

Skar nickte. »So rasch wie möglich. Meine Aufgabe hier ist beendet. Ich hoffe, ihr wart zufrieden mit mir.«

Mergells Stimme klang plötzlich verändert, beinahe sanft. »Es muß sehr schwer für einen Mann wie dich gewesen sein, so zu handeln«, sagte er plötzlich. Skar wandte sich um, lehnte sich gegen den Fenstersims und musterte ihn kühl. »Wie kommst du darauf?« fragte er. »Ich bin es gewohnt zu kämpfen, und es war nicht der erste Kampf, den ich verloren habe.«

»Aber der erste, den du absichtlich verloren hast«, sagte Mergell.

»Verloren?« Skar lachte leise. »Was bedeutet das schon, Mergell? Was heißt überhaupt verloren? Wer von uns ist der Sieger in diesem Kampf? Du siehst aus, als wärst du mehr tot als lebendig, und du wirst wahrscheinlich noch auf Wochen hinaus jeden einzelnen Hieb spüren, den ich dir versetzt habe. Und du weißt, daß ich dich absichtlich gewinnen ließ. Die anderen mögen denken, daß du mich wirklich bezwungen hast, Mergell, aber du und ich, wir beide wissen, wie es wirklich war. Du wirst es nie zugeben, aber die Demütigung, die ich dir beigebracht habe, ist größer, als hättest du wirklich verloren. Wenn ich du wäre, würde ich mich hassen, Mergell. Und ich habe erreicht, was ich wollte. Es lag nie in meiner Absicht hierzubleiben. Der Sieger in diesem Kampf war ich, Mergell. Ich habe mein Ziel erreicht, du nicht.«

Mergell schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und wandte sich mit einem Ruck ab. Er war blaß geworden. »Ich soll dir etwas von Seshar ausrichten«, murmelte er tonlos. »Er läßt dir danken für das, was du getan hast. Wenn du ... irgendeinen Wunsch hast, so wird er dir erfüllt.«

»Den habe ich«, sagte Skar. »Nämlich hier wegzukommen, so rasch wie möglich. Gebt mir ein Pferd, damit ich zurück nach Went reiten kann.«

»Du wirst bis morgen warten müssen. Es ist schon zu spät, um Went noch vor Sonnenuntergang zu erreichen.«