»Das ist mein Problem«, sagte Skar rüde. »Ein einzelner Mann kann wohl in der Dunkelheit kaum so auffallen wie eine ganze Truppe. Und wenn ich einem Hoger zum Opfer falle, so seid ihr alle Sorgen los.«
»Du würdest die Könige beleidigen, wenn du jetzt gingst.«
Skar lachte. »Ein passender Abschluß für meine kleine Vorstellung, findest du nicht? Gebt mir ein Pferd.«
Mergell nickte. »Wie du willst. Vielleicht ist es wirklich am besten so. Aber wenn, dann mußt du sofort aufbrechen, sonst wird es zu spät. Ich gebe dir zwei Reiter als Geleit mit.«
»Die brauche ich nicht. Allein bin ich schneller.«
Mergell schüttelte den Kopf. »Du würdest den Weg nicht finden oder in irgendeiner Falle umkommen, Skar«, sagte er ruhig. »Ich suche die schnellsten Reiter aus meiner Garde heraus. Kurz nach Sonnenuntergang bist du in Went. Grüße Logar von mir.« Er nickte, wandte sich vollends ab und ging mit raschen Schritten zur Tür.
13.
Der Wald lag wie eine kompakte schwarze Masse vor ihnen. Das dumpfe Dröhnen der Pferdehufe begleitete sie seit Stunden in monotonem Gleichklang, aber mit jeder Meile, die sie weiter nach Westen kamen, mehrten sich die Momente, in denen das hämmernde Stakkato aus dem Rhythmus geriet und die Atemzüge der Tiere plötzlich mühsam und hektisch wurden. Skar wußte, daß die Pferde das mörderische Tempo nicht mehr lange würden durchhalten können, aber seine beiden Begleiter schienen nicht gewillt, ihre Geschwindigkeit auch nur für einen Augenblick herabzusetzen. Sie hatten Angst, offene, panische Angst, die wie die Spuren eines schleichenden Giftes in ihre Gesichter gegraben war, und selbst Skar war nicht mehr so ruhig, wie er es gerne gewesen wäre. Der Himmel über dem Wald war leer, und sie hatten weder am Tage noch nach Einbruch der Dämmerung auch nur die Spur eines Hogers gesehen, aber er hatte schon einmal erlebt, wie rasch diese Bestien auftauchen und zuschlagen konnten. Und die Hoger waren nicht die einzige Gefahr. Er spürte, daß Cearn noch ein anderes, vielleicht schrecklicheres Geheimnis barg, etwas, das wie ein übler Geruch, ein unsichtbarer, alles durchdringender Nebel zwischen den Bäumen lastete, ein Gefühl, als würde jede ihrer Bewegungen von unsichtbaren, bösen Auge belauert.
Er vertrieb den Gedanken mit einem ärgerlichen Achselzucken und versuchte sich ganz auf den Weg zu konzentrieren. Die Bäume standen in diesem Teil Cearns dichter als weiter östlich, und sie mußten sich tief über die Hälse ihrer Tiere beugen, um nicht von einem niedrig hängenden Ast verletzt oder aus dem Sattel gehoben zu werden. Keiner der beiden Krieger, die ihn begleiteten, hatte bisher auch nur ein Wort mit ihm gewechselt. Sein Auftritt in Ipcearn schien sich rasch herumgesprochen zu haben. Aber vielleicht war es auch nur die Furcht, die sie so schweigsam bleiben ließ.
Sie preschten auf eine Lichtung hinaus, wandten sich nach einem raschen, sichernden Blick in den Himmel nach Süden und jagten eine Zeitlang parallel zum Waldrand dahin. Der Reiter neben Skar deutete auf einen dunklen, keilförmigen Einschnitt wenige hundert Schritte vor ihnen. »Dort hinein«, rief er. »Das ist der kürzeste Weg nach Went. Die Garde wird uns entgegenreiten.«
Skar nickte und beugte sich tiefer über den Pferderücken. Das Tier raffte noch einmal alle Kräfte zusammen und fiel in einen langgestreckten Galopp, als spüre es die Nähe der sicheren Stadt.
Etwas Dunkles, Massiges und Formloses griff aus dem Wald heraus nach dem Reiter neben Skar und schleuderte ihn aus dem Sattel. Der Mann schrie: ein unmenschlich spitzer, gellender Schrei, der sich mit dern berstenden Geräusch seines Aufpralles mischte und dann mit erschreckender Plötzlichkeit abbrach. Skars Tier kreischte vor Angst und Panik und stieg auf die Hinterläufe. Skar wurde aus dem Sattel gehoben, segelte im hohen Bogen durch die Luft und schlug hart im Gras auf. Ein greller Schmerz zuckte durch seinen Rücken und erlosch wieder, und für den Bruchteil eines Herzschlages blieb er benommen liegen, halb betäubt vor Schmerz und Schock über den unglaublichen Anblick, der sich ihm bot. Als wären die dräuenden Schatten zwischen den Bäumen plötzlich zu blasphemischem Leben erwacht, quoll eine schwarze, von ekelhaftem, glitzerndem, schleimigem Leben erfüllte Masse wie eine finstere Woge aus dem Wald. Ein dumpfes Rascheln und Schaben wie das Geräusch unzähliger kleiner, horniger Füße verschluckte das Raunen des Waldes, und etwas wie Raubtiergestank, vermischt mit einem fremden, beunruhigenden Aroma, wehte zu Skar hinüber. Der Reiter schrie nicht mehr. Er lebte, aber aus seiner Brust drang nur mehr ein röchelndes, qualvolles Stöhnen, das kaum mehr etwas Menschliches an sich zu haben schien. Seine Glieder zuckten, und die Hände krallten sich hilflos in den weichen Boden. Auch sein Pferd war gestürzt und unter einem Teil der schwarzen, kochenden Masse begraben.
Skar sprang auf die Füße und riß die Waffe aus dem Gürtel.
»Skar! Khtaäm! Skar! Flieh! Du kannst ihm nicht helfen!«
Die Stimme des Gardisten kippte um und wurde zu einem irren, panikerfüllten Kreischen. Sein Pferd schrie, stieg auf die Hinterläufe und schlug in blinder Furcht in die Luft. Und immer noch quoll diese schwarze, widerwärtige Masse aus dem Wald, flutete über den Leib des gestürzten Pferdes hinweg und schwappte wie eine träge, ölige Woge auf den Gardisten zu.
Skar packte sein Schwert mit beiden Händen und stürmte los.
»Nein, Skar! Nicht! Es ist ein Khtaäm-Nest!«
Skar lief unbeeindruckt weiter. Aus dem Wald erscholl jetzt ein hoher, vibrierender und unangenehmer Laut. Irgend etwas löste sich von den untersten Zweigen eines Baumes und landete mit einem schleimigen Geräusch im Gras, und etwas Dünnes, Hartes fuhr über seine Wade und verschwand, als er danach trat.
Skar blieb abrupt stehen, als er das Ding sah, das auf dem Gesicht des Gardisten hockte.
Im ersten Augenblick hatte er den Eindruck, eine riesige, schwarzglänzende Spinne zu sehen, auch wenn sie zu viele Beine hatte und ihre Glieder zu lang und zu biegsam waren, dann glaubte er, eine gigantische schwarze Hand hätte den Mann gepackt, aber auch das stimmte nicht. Nach dem Bild, das Coar ihm gezeigt hatte, und dem Anblick der gigantischen Hoger hatte er unbewußt angenommen, daß die Khtaäm ebenso groß sein müßten. Aber das war ein Irrtum. Sie waren nicht wesentlich größer als eine kräftige Männerhand und schienen, soweit er überhaupt etwas erkennen konnte, einzig aus einer ekelhaften Masse sich windender, peitschender Arme und Tentakeln zu bestehen: ein Nest dünner, züngelnder Vipern, die aus einem schleimigen, unsichtbaren Zentrum ständig nach außen quollen, pulsierten und bebten. Aber es waren Tausende.
Skar begriff beinahe zu spät, in welcher Gefahr er sich befand. Die Front der schwarzen Nachtmahre hatte das Pferd überrannt und war nur noch wenig mehr als eine Armeslänge von ihm und dem reglosen Gardisten entfernt. Skar warf einen gehetzten Blick über die Schulter zurück, richtete sich auf und schlug nach dem Khtaäm, der auf dem Gesicht des Gardisten hockte und ihm langsam die Luft abzuschnüren begann. Die Klinge aus gehärtetem Sternenstahl fuhr mit einem widerlichen, reißenden Geräusch durch den Leib des Ungeheuers. Eine Fontäne aus schwarzem Blut und Schleim besudelte Skar. Das Monster zuckte, schlug noch einmal mit unzähligen dünnen, peitschenden Armen in die Luft und sackte dann reglos von seinem Opfer herunter. Skar schleuderte den zuckenden Kadaver angeekelt mit der Schwertspitze davon. Er wechselte das Schwert von der Rechten in die Linke, packte den Bewußtlosen am Arm und zerrte ihn in verzweifelter Hast vor der näherkriechenden schwarzen Woge her.
»Hilf mir!« brüllte er. »Schnell!«
Aber der andere Gardist rührte sich nicht. Sein Pferd wieherte ängstlich und wich rückwärtsgehend davon, und das Gesicht des Mannes war zu einer Maske reiner Panik erstarrt. »Flieh!« keuchte er. »Er ist tot! Laß ihn! Flieh endlich!« Seine Stimme vibrierte vor Grauen.