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Das Seil spannte sich.

»Ich bin unten!« drang Bernecs Stimme seltsam hohl und verzerrt zu ihnen hinauf. »Ihr könnt nachkommen! Hier ist alles ruhig.«

»Wenn er weiter so rumbrüllt«, murrte Del, »wird es die längste Zeit ruhig gewesen sein.«

Skar lächelte flüchtig, griff nach dem Seil und schwang sich, Bernecs Beispiel folgend, rückwärts über den Schachtrand.

Die Finsternis schien wie eine schwarze Woge über ihm zusammenzuschlagen, als er mit dem Abstieg begann. Die Wände des Schachtes bestanden nicht aus Fels, wie er erwartet hatte, sondern aus zusammengebackenem Sand und trockener, krumiger Erde, die unter seinen Füßen immer wieder nachgab und abbröckelte, so daß er eher am Seil hinunterrutschte, als daß er wirklich stieg. Ein unablässig rieselnder Strom von Sand und kleinen Steinen begleitete seinen Abstieg, und aus der Tiefe drangen helle, klackende Echos zu ihm hinauf. Die Höhle unter ihm mußte gewaltig sein.

Der helle Kreis über seinem Kopf schmolz zu einem winzigen, grellorangenen Fleck zusammen, und die Wände wichen weiter auseinander, so daß sich das Seil schließlich über dem Schachtrand spannte und er fast frei in der Luft hing. »Spring«, sagte Bernec unter ihm. »Es sind nur noch zwei Meter. Der Boden ist weich.«

Skar ließ das Seil los. Er stürzte, prallte auf weichem, federndem Untergrund auf und rollte sich ab. Eine Hand tastete nach seinem Arm und wich wieder zurück, als er aufstand.

»Alles in Ordnung?« fragte Bernec.

Skar nickte, obwohl der andere die Geste in der absoluten Schwärze hier unten nicht sehen konnte. »Ja«, sagte er. Er hörte, wie Bernec sich neben ihm bewegte und nach dem Seil griff.

»Der nächste!« brüllte er.

Die unsichtbaren Wände um sie herum warfen den Klang seiner Stimme verzerrt zurück, und irgendwo hinter ihnen löste sich ein Stein von der Decke und fiel polternd zu Boden. Ein warmer Luftzug strich durch die Höhle, nicht die trockene, würgende Luft der Wüste, sondern feuchtwarmer Wind, der einen seltsamen, unangenehmen Geruch mit sich brachte.

Das Seil bewegte sich, und am Rande des hellen Kreises hoch über ihren Köpfen erschien ein winziger schwarzer Umriß.

»Zu langsam«, sagte Bernec gepreßt. »Wir sind zu langsam.«

Skar legte unwillkürlich den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Das Licht über ihnen schien bereits schwächer geworden zu sein. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

»Ist das der einzige Eingang?« fragte er.

Bernec schüttelte den Kopf. »Es gibt Dutzende. Wenn wir etwas Glück haben, kommen wir rechtzeitig hinein.«

»Und dort unten?« Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf die nachtschwarze Finsternis hinter ihnen.

Bernec lachte leise. »Das weiß ich ebensowenig wie du, Skar. Es ist noch keiner zurückgekommen, der es bis hierher geschafft hat.«

»Gibt es einen Eingang, der näher bei Cearn liegt?«

»Sicher«, murmelte Bernec. »Aber dies ist der einzige, den ich kenne. Ganz davon abgesehen, daß es dir einigermaßen schwerfallen dürfte, hier unten die Himmelsrichtung zu finden. Aber darüber sollten wir uns den Kopf zerbrechen, wenn wir hier heraus sind. Jetzt müssen wir erst einmal eine Möglichkeit finden hineinzukommen.« Er trat zur Seite, als der nächste Mann den Überhang erreichte und sich die letzten Meter in die Tiefe fallen ließ.

Sie warteten ungeduldig, bis die Cearner nacheinander zu ihnen hinabgestiegen waren. Das Licht am oberen Ende des Schachtes war nun merklich schwächer geworden, und mehr als nur einmal bildete sich Skar ein, das Rauschen mächtiger Schwingen zu hören.

Aber sie wurden nicht behelligt. Del war der letzte, der sich am Seil zu ihnen hinabhangelte. Auch er sprang die letzten Meter, rollte sich ab und starrte dann nachdenklich nach oben. »Hat einer von euch zufällig eine Idee, wie wir wieder hinaufkommen?« sagte er ruhig. »Das Pferd wird kaum ruhig stehenbleiben, wenn unsere geflügelten Freunde auftauchen.«

»Es gibt andere Ausgänge«, sagte Bernec ungeduldig. »Wir werden einen Weg finden, an die Oberfläche zu gelangen. Aber nur«, fuhr er nach einer winzigen Pause fort, »wenn wir allmählich machen, daß wir hier verschwinden, statt noch lange zu reden. Wer hat die Fackeln?«

»Ich.« Ein heller Funke glomm auf, erlosch und flammte nach Sekunden erneut auf, um zum rotgelben Flackern einer Fackel zu werden.

Skar blinzelte. Nach der absoluten Finsternis erschien ihm das Licht der Fackel ungewöhnlich grell und schmerzhaft. Die Gestalten der Männer schienen vom roten Licht wie mit Blut übergossen. Bernec entzündete eine zweite Fackel, hob sie hoch über den Kopf und sah sich neugierig um. Der unsichere Lichtschein verlor sich rechts und links in flackernder Finsternis. Die Höhle war nicht so hoch, wie Skar bisher geglaubt hatte. Die Decke krümmte sich ein wenig mehr als einen Meter über ihm herab, berührte hier und da den Boden oder endete in bizarren, an Stalagtiten erinnernden Formen.

»Ein Gang«, stellte Coar verwundert fest.

Bernec nickte und umklammerte seine Fackel fester. »Gehen wir. Und keinen Laut mehr.« Er schlug seinen Mantel zurück, zog den Säbel aus dem Gürtel und ging gebückt und vornübergebeugt los. Auch Skar und die anderen zogen ihre Waffen, obwohl sie genau wußten, wie wenig sie ihnen nutzen würden, sollten sie von den Hogern entdeckt und angegriffen werden. Sie waren nicht gekommen, um zu kämpfen. Aber es war ein beruhigendes Gefühl, sich wenigstens wehren zu können.

Der Stollen fiel in sanfter Neigung ab und erweiterte sich allmählich, und in unregelmäßigen Abständen zweigten Nebengänge nach rechts und links ab. Noch immer war keine Spur von den Hogern zu sehen oder zu hören, aber Skar fühlte sich keineswegs beruhigt. Im Gegenteil - das Gefühl, mitten in das Gebiet eines unheimlichen Feindes hineinzumarschieren, ohne auch nur das geringste von seiner Anwesenheit zu bemerken, ängstigte ihn. Wäre der Gedanke, den Ungeheuern soviel Intelligenz zuzubilligen, nicht zu erschreckend gewesen, hätte er geglaubt, mitten in eine Falle hineinzumarschieren.

Der Gang endete schließlich in einer runden, kuppelförmig gewölbten Höhle, von der ein Dutzend oder mehr weitere Stollen abzweigten.

Bernec blieb stehen und hob seine Fackel. Flackernde rote Lichtreflexe liefen über Wände und Boden und schufen Leben und Bewegung, wo keine waren. Wieder spürten sie den warmen, feuchten Wind, der sie bereits beim Betreten des unterirdischen Labyrinths begrüßt hatte. Der Boden unter ihren Füßen schien sanft zu beben, und manchmal bildete sich Skar ein, ein fernes, unablässiges Donnern zu vernehmen.

»Wohin jetzt?« fragte einer der Krieger.

»Rechts«, sagte Bernec nach kurzem Überlegen. »Solange wir keine konkrete Spur haben, halten wir uns immer rechts. Auf diese Weise finden wir wenigstens den Rückweg, sollte uns etwas zustoßen.«

Skar lächelte anerkennend. Bernec drehte sich halb herum und sah ihn sekundenlang an, fast, als erwarte er Zustimmung oder Lob, hob die Fackel dann noch höher und winkte mit der freien Hand. »Weiter.«

Hintereinander drangen sie in den niedrigen Stollen ein. Die Wände waren hier stark geneigt, so daß der Gang einen beinahe dreieckigen Querschnitt aufwies, und ihre Struktur erinnerte Skar irgendwie an organische Formen, wenn sie auch mit nichts vergleichbar waren, was er jemals gesehen hatte. Je weiter sie sich in die Tiefe bewegten, desto wärmer wurde es; wärmer und feuchter, so daß ihnen unter den Mänteln bald der Schweiß ausbrach. Von der niedrigen Decke tropfte jetzt Wasser, und der Boden unter ihren Füßen fühlte sich schwammig und weich an und federte spürbar. Der Gang endete nach einer Strecke, die ihnen allen viel weiter vorkam, als sie wahrscheinlich war, in einer weiteren Höhle.