»Ich ... wollte dir nur sagen, wie leid es mir tut«, begann Skar unsicher. »Nicht nur das mit Cornec und Larynn ... alles.«
Coar lachte leise; ein Laut, so vollkommen ohne Hoffnung, daß Skar einen schmerzhaften Stich in der Brust zu verspüren glaubte. »Ich weiß«, murmelte sie tonlos. »Aber jetzt laß uns weitergehen.«
Skar vertrat ihr hastig den Weg. »Bitte, Coar«, sagte er hilflos. »Wahrscheinlich kann ich das, was in dir oder Bernec oder den anderen vorgeht, gar nicht verstehen, aber ich ...« Er stockte, suchte einen Moment lang hilflos nach den passenden Worten und fing dann noch einmal von vorne an. »Vielleicht kommen wir nie wieder nach Went zurück«, sagte er ernsthaft. »Vielleicht sterben wir hier unten oder bei dem Versuch, die Wüste zu Fuß zu durchqueren, aber vorher möchte ich dir etwas sagen.«
»So?« Coar sah auf, schlug mit einer fast andächtigen Bewegung ihre Kapuze zurück und atmete hörbar ein. Ihr Gesicht war im schwächer werdenden Licht der Fackel kaum mehr zu erkennen, aber Skar sah trotzdem, daß sie weinte, still und ohne den geringsten Laut. Mit einemmal schien alles, was er sich zurechtgelegt hatte, jedes Wort, das er auf seinem Weg hier herauf sorgsam überlegt und abgewogen hatte, aus seinem Gedächtnis verschwunden. Er hielt ihrem Blick sekundenlang stand, senkte dann den Kopf und ballte hilflos die Fäuste. »Ich ... ich glaube, ich liebe dich«, murmelte er.
Coar schwieg sekundenlang. Dann berührte sie scheu seine Schulter, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn, kurz und flüchtig, aber ganz, ganz anders als bisher. »Ich weiß«, flüsterte sie.
»Es ist vielleicht ein seltsamer Ort, um so etwas zu sagen«, stotterte Skar. »Und sicher nicht die passende Gelegenheit, aber ... aber ich wollte, daß du es weißt. Und ich will auch, daß du noch etwas weißt. Wenn ... wenn du zu Bernec zurückwillst, werde ich mich nicht zwischen euch stellen. Ich ...«
Coar legte ihm den Zeigefinger über die Lippen, schüttelte unmerklich den Kopf und preßte sich für Sekunden an ihn. »Nicht«, flüsterte sie. »Sprich nicht weiter. Bitte.«
»Skar!«
Dels Schrei schnitt gellend durch die Stille. Skar fuhr herum und riß in einem Reflex seine Waffe aus dem Gürtel. Die anderen hatten sich während der wenigen Augenblicke, die er mit Coar gesprochen hatte, bereits ein gutes Stück entfernt. Skar zögerte eine halbe Sekunde, packte Coars Hand und lief los, die Rechte mit der quergehaltenen Waffe tastend vorgestreckt, um nicht im Dunkeln gegen ein Hindernis zu laufen. Er rannte, Coar hinter sich herzerrend, auf die Männer zu und blieb abrupt stehen, als er den verkrümmten Körper zu ihren Füßen erkannte. Es war einer der beiden Krieger, die sie oben am Höhleneingang zurückgelassen hatten. Seine Glieder waren verrenkt und wirkten seltsam falsch, als wäre jeder einzelne Knochen in seinem Leib gebrochen, und der Boden unter seinem Kopf war dunkel von eingetrocknetem Blut. Seine Augen waren im Tode weit geöffnet, und auf seinen erstarrten Zügen lag ein Ausdruck ungläubigen, entsetzten Staunens. Das Seil, an dem sie herabgestiegen waren, lag wie der Körper einer zusammengeringelten braunen Schlange neben ihm.
»Was ... ist passiert?« keuchte Skar.
Bernec zuckte die Achseln, trat zurück und hob die Fackel hoch über den Kopf. Aber der Lichtschein reichte nicht bis zum Höhleneingang hinauf, sondern verlor sich irgendwo auf halber Höhe.
»Er muß abgestürzt sein«, murmelte Del. Er kniete neben ihm nieder, untersuchte ihn flüchtig und drehte ihn vorsichtig herum. »Kein Verletzungen«, stellte er fest. »jedenfalls keine, die nicht vom Sturz stammen könnten.«
Bernec schwenkte die Fackel ein paarmal hin und her, legte den Kopf in den Nacken und formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Heda!« schrie er. »Vornash! Melde dich! Wir sind zurück!«
Aber die einzige Antwort war das verzerrte Echo seiner eigenen Stimme. Er rief noch einmal, wartete sekundenlang auf eine Reaktion und schüttelte den Kopf. »Sinnlos«, sagte er. »Da oben ist niemand mehr.«
»Du glaubst, er ist auch tot?« fragte Del.
»Tot oder geflohen. Irgend etwas ist passiert. Horum ist nicht von selbst abgestürzt. Ich kenne ihn. Er ist ein vorsichtiger Mann. Jemand hat ihn gestoßen.«
»Die Hoger?«
»Nein. Hoger schlagen ihre Beute und nehmen sie mit oder verzehren sie an Ort und Stelle, aber sie töten nicht aus reiner Mordlust und lassen das Opfer dann liegen.«
»Das mag für Went gelten«, gab Skar zu bedenken. »Aber wir sind hier in ihrem Gebiet, vergiß das nicht. Vielleicht greifen sie alles an, was sich hier hereinwagt.« Bernec schüttelte entschieden den Kopf. »Nein«, beharrte er. »Du kennst die Wunden, die Hogerkrallen und Schnäbel schlagen. Was immer Horum getötet hat - es war etwas anderes.«
»Nicht unbedingt. Er könnte das Gleichgewicht verloren und abgerutscht sein.«
»Er könnte ...«, mischte sich Del ein. »Es interessiert mich ehrlich gesagt im Moment wenig, was ihn umgebracht haben könnte. Ich fürchte, das werden wir noch eher feststellen, als uns lieb ist. Aber vielleicht hat irgend jemand einen Vorschlag, wie wir jetzt hier herauskommen.« Er schürzte die Lippen, sah zuerst Bernec, dann Skar abschätzend an und trat dann wortlos an die Wand. Seine Finger glitten über Vorsprünge und Risse und suchten nach Halt, aber das lockere Erdreich gab sofort nach, als er versuchte, sich daran emporzuziehen.
»Du bist zu schwer«, sagte Coar. Sie schlug ihren Mantel zurück, schob Del zur Seite und versuchte ebenfalls, an der Wand emporzusteigen. Aber obwohl sie wahrscheinlich nicht einmal halb soviel wog wie der junge Satai, gelang es ihr ebensowenig.
»Es hat keinen Sinn«, sagte Del. »Wir müssen einen anderen Weg suchen.« Er drehte sich einmal um seine Achse und blinzelte zu der unsichtbaren Decke über ihren Köpfen empor, als könne er die Dunkelheit mit Blicken durchdringen. »Dieses Rattenloch muß noch mehr Ausgänge haben.« Er zögerte einen Moment und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf das schwarze Gewebe. »Was ist mit dem Zeug? Man müßte daran emporklettern können. Es sieht stabil genug aus, das Gewicht eines Mannes zu tragen.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern trat entschlossen auf einen der armdicken schwarzen Stränge zu und rüttelte daran. »Fest ist es jedenfalls«, murmelte er.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Bernec.
Del lachte kurz und hart auf. »Mir auch nicht. Aber hast du vielleicht eine bessere Idee, wie wir hier herauskommen?«
»Es muß Hunderte von Gängen geben. Der Stollen, den wir entdeckt haben, war sicher nicht der einzige.«
»Natürlich«, antwortete Del ernsthaft. »Wahrscheinlich hast du recht, und es gibt sogar Tausende von Stollen. Aber ich habe keine Lust, sie der Reihe nach zu erkunden. Das Zeug hier«, fuhr er mit einer Geste auf das schwarze Gewebe fort, »führt auf zwei oder drei Meter an den Stollen heran. Wenn ich hoch genug komme, kann ich springen.«
»Und wenn du es nicht schaffst?«
»Dann fängst du mich auf«, grinste Del. Er rüttelte noch einmal prüfend an dem Strang, trat dann zurück und begann mit raschen Bewegungen, Harnisch und Stiefel auszuziehen. »Das Seil«, verlangte er. Skar bückte sich und gab es ihm. Del wickelte die Lederschnur um seinen Oberkörper, verknotete das Ende sorgfältig und streckte die Hand nach einer Fackel aus. »Wenn ich oben bin«, sagte er, »dann kommt als erstes der leichteste Mann. Zu zweit können wir die anderen dann leicht heraufziehen.« Er schob das Ende der Fackel unter die Lederschnur, die seinen Oberkörper umgab, legte die Hände auf den schwarzen Strang und begann mit sicheren Bewegungen nach oben zu steigen. Die Flammen leckten kaum eine Handbreit neben seinem Gesicht in die Höhe, aber die Hitze schien ihm nichts auszumachen.