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Er setzte sich auf, trank - wider besseres Wissen - einen Schluck der warmen, schal schmeckenden Flüssigkeit und verschloß den Beutel sorgfältig wieder. Sein Blick wanderte zum Himmel. Die Sonne hatte den Horizont im Westen berührt und verwandelte die Dünen und den Himmel in ein Meer rotglühender Flammen. Trotzdem würde es noch eine Stunde dauern, bevor die Temperaturen merklich fielen. Und dann würde es rasch so kalt werden, daß sie in Bewegung bleiben mußten, um nicht zu erfrieren.

Er seufzte hörbar, stand auf und wandte sich nach Osten. Irgendwo dort hinten, verborgen hinter dem monotonen Auf und Ab der braungemusterten Dünen, verbarg sich Cearn - ein halber Tagesritt, allerhöchstens, und doch fast unerreichbar fern. Skar machte sich in diesem Punkt nichts vor. Wenn sie den rettenden Wald nicht bei Sonnenaufgang erreicht hatten, war es aus. Sie würden keine Stunde in dieser Hölle aushalten. Er griff mit einer wütenden Bewegung unter seinen Mantel, nahm den Wasserbeutel hervor und leerte ihn mit großen, gierigen Schlucken.

Sein Blick begegnete dem Bernecs, als er den Schlauch absetzte. Der junge Cearner hatte die Stirn gerunzelt und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Glaubst du, daß das klug war?« fragte er.

»Glaubst du, es ist klüger, jede Stunde einen winzigen Schluck zu trinken und schluckweise zu verdursten?« gab Skar gereizt zurück. Er wandte sich ab, schleuderte den leeren Wasserschlauch verärgert von sich und rannte mit raumgreifenden Schritten den Hang der nächsten Düne empor.

Eine Windhose tanzte vor ihm über den Boden, ein winziges, vergängliches Gebilde aus hochgewirbeltem Staub und heißer Luft, kaum einen Meter hoch und von brauner, halbdurchsichtiger Farbe, ein Gebilde wie aus gesponnenen Träumen, schön und bedrohlich zugleich. Skar sah ihr nach, bis sie im Wind zerfaserte. Der Anblick dieses dünnen, grazilen Gebildes hatte etwas ungemein Beruhigendes, vielleicht, weil es ihm auf subtile Weise die Vergänglichkeit alles Bestehenden vor Augen führte. Es spielte für die Geschichte Enwors keine Rolle, ob er oder Del oder einer der anderen überlebten oder nicht. Es spielte nicht einmal eine Rolle, ob es ein Gebilde wie Cearn dann noch geben würde. Vielleicht überlebten sie den Marsch durch die Wüste, und vielleicht gelang es ihnen sogar, Bernec zu bremsen, bevor er ganz Cearn in Brand setzte. Aber auch wenn nicht, würde es für den weiteren Verlauf der menschlichen Geschichte kaum einen Unterschied machen.

Obwohl Skar solchen Überlegungen sonst eher spöttisch gegenüberstand, beruhigte ihn der Gedanke in diesem Moment. Er schloß für einen Moment die Augen, drehte sich herum und begann den Weg wieder zurückzugehen, den er gekommen war. Sein Blick blieb an einem flachen, halb unter dem Sand verborgenen Umriß hängen. Es war ein Pferd. Eines der Tiere, auf denen sie hierhergekommen waren, vielleicht auch Chaimes oder das eines seiner Begleiter. Es war tot. Der Sand hatte es bereits halb zugeweht und eine barmherzige Decke über seinen verstümmelten Körper gebreitet, aber auch so konnte Skar noch sehen, wie grausam die Hoger die wehrlose Kreatur zugerichtet hatten. Eine so fette Beute hier draußen, dicht bei ihren Höhlen, mußte die geflügelten Mörder zu Dutzenden angelockt haben. Skar hatte bis zu diesem Moment immer noch insgeheim die Hoffnung gehegt, vielleicht doch noch eines oder mehrere der Tiere einfangen zu können, aber er mußte sich jetzt eingestehen, daß es sinnlos war, sich länger an diesen Gedanken zu klammern.

Er wandte sich von dem toten Pferd ab und ging langsam zurück zu Bernec und den anderen, die sich am Rande des Schachtes versammelt hatten und gedämpft miteinander redeten.

Die Situation kam ihm auf bedrückende Weise bekannt vor, und für einen Moment überlegte er ernsthaft, ob es vielleicht nicht nur Zufall, sondern Warnung war, eine letzte, schweigende Mahnung, umzukehren und der Katastrophe, auf die er zusteuerte, zu entfliehen. Er hatte schon einmal auf einer solchen Düne gestanden und in die Wüste hinausgestarrt. Aber diesmal, das spürte er, würde hinter dem Horizont nicht die Rettung, sondern etwas anderes lauern. Etwas, das er nicht in Worte zu fassen vermochte und das mit dem Bösen, jenem finsteren, schwarzen Bruder, den der Geist der Höhle tief in ihm geweckt hatte, verwandt schien. Und für einen winzigen Augenblick wußte er, daß alle seine Anstrengungen letztlich umsonst sein würden, daß - egal, was er tat - das Ende anders, ganz anders und grausamer sein würde, als er sich jetzt schon vorstellen konnte.

Irgendwann, nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam, ging die Sonne unter, und für einen flüchtigen Moment verwandelte sich die Wüste in ein verwirrendes Mosaik aus Schatten und Hügeln und schwächer werdendem Licht.

Sie brachen auf. Zu Anfang redeten sie noch miteinander, aber ihre Gespräche wurden mit jeder Meile, die sie zurücklegten, flacher und leiser, bis sie schließlich schweigend nebeneinander hermarschierten, jeder allein mit sich und seinen Gedanken, voller Furcht oder Wut und Haß oder auch beidem. Aber auch das verging, und nach einer Weile mußten sie ihre ganze Kraft darauf konzentrieren, zu laufen, nichts weiter zu tun, als zu laufen und mechanisch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Skar wußte, daß sie es nicht schaffen würden. Sie kamen gut voran, aber es war noch nicht Mitternacht, und schon jetzt war die Tatsache nicht mehr zu übersehen, daß die Kräfte der Männer mit jedem Schritt mehr schwanden. Irgendwann, vielleicht in zwei, drei Stunden, vielleicht schon in wenigen Minuten, würde der erste aufgeben und zusammenbrechen, um zu sterben. Vermutlich würden er und Del als letzte übrigbleiben; vielleicht noch Bernec. Aber auch sie würden sterben, sobald die Sonne aufging. Hier, in der Nonakesh, hatte ihre Geschichte begonnen, und hier würde sie auch enden.

Skar hob müde den Kopf und blickte nach oben. Der Himmel war leer; eine blauschwarze Ebene, von der das kalte Licht der Sterne wie die unzähligen Augen einer gefühllosen Gottheit zu ihnen herabzublicken schien. Es erschien Skar fast wie ein böser Hohn, daß sie bisher wenig mehr als den Schatten eines Hogers gesehen hatten. Ihm wäre fast wohler gewesen, wenn die schwarzen Bestien sie angegriffen hätten. Gegen einen Feind aus Fleisch und Blut konnte man wenigstens kämpfen.

Er versuchte, einen Blick von Coar zu erhaschen, aber ihr Gesicht war leer: eine starre Fläche, die von verkrustetem Sand und Staub in eine bizarre Totenmaske verwandelt worden war. Ihre Bewegungen waren monoton und hölzern. Vielleicht, dachte er, würde sie gar nicht mehr aufhören können zu laufen, selbst wenn sie den rettenden Wald erreichten. Er wollte etwas sagen, aber seine Kehle war trocken und taub vor Durst und Erschöpfung.

Bernec blieb plötzlich stehen und hob die Hand. »Wartet!« krächzte er. »Ich ... ich glaube, ich höre etwas. Reiter. Das sind ... Reiter.«

Skar lauschte ebenfalls, aber er hörte nichts außer dem monotonen Gesang des Windes und die mühsamen, schleppenden Schritte der anderen. »Ich höre nichts«, sagte er.

»Reiter«, beharrte Bernec. »Viele Reiter.« Er schien zu schwach zu sein, um noch zusammenhängende Sätze zu bilden. Er machte einen Schritt, wankte und brach mit einem wimmernden Laut in die Knie. »Flieht«, keuchte er. »Ihr müßt ... weg.« Skar wollte ihm auf die Füße helfen, aber Bernec schüttelte seine Hand mit erstaunlicher Kraft ab. »Flieh, Skar«, keuchte er. »Du und Coar. Ihr ... müßt euch in Sicherheit bringen. Wir halten sie auf. Vielleicht ... suchen sie nicht weiter, wenn sie uns hier finden.«

Skar setzte zu einer scharfen Antwort an, stockte und legte verblüfft den Kopf auf die Seite. Der Wind trug ein dumpfes, hämmerndes Geräusch mit sich. Pferde! »Du ... du hast recht!« keuchte er. »Das sind Pferde! Reiter! Verdammt, Bernec, du hast recht! Wir sind gerettet!«

»Es sind Reiter«, sagte Bernec spröde. »Aber Reiter aus Ipcearn. Seshars Reiter, Skar. Sie ... werden uns töten.«

Skar fuhr geduckt herum und versuchte, die Dunkelheit vor ihnen mit Blicken zu durchdringen.