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Skar nickte wortlos. Er ertappte sich dabei, wie seine Hand instinktiv zum Schwertgriff glitt. Ohne einen konkreten Grund dafür nennen zu können, spürte er einfach, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Es war nicht nur dieser tote Wald, der ihm Unbehagen und Furcht einflößte. Da war noch etwas anderes, etwas, das mit Worten nicht zu beschreiben, aber von fast greifbarer Intensität war, beinahe, als wäre zwischen ihnen und der dunklen Wand des Waldes noch etwas, eine unbestimmbare, stumme Bedrohung, die schlimmer als der Tod war. Del versetzte dem Wurzelstück, über das er gestolpert war, einen wütenden Fußtritt und ging weiter. Skar folgte ihm. Del ging jetzt merklich langsamer und sah sich immer wieder nach rechts und links um. Seine Hände fingerten nervös am Griff des Tschekal, des zweischneidigen Satai Schwertes, das von seinem Gürtel hing. Er spürte es also auch.

Das Geflecht aus abgestorbenen Bäumen und ineinander verwachsenen Ästen wurde dichter, je weiter sie sich der Baumgrenze näherten. Die anfangs nur einzeln dastehenden, verkohlten Baumstrünke rückten enger zusammen. Die Stämme ragten wie große, skurril geformte Hände rings um sie aus dem Sand; Hände mit dünnen, gierigen, vielfach gegliederten Fingern, die nach ihnen griffen, über ihre Harnische schrammten, ihre Haut zerrissen und sich um ihre Beine zu winden suchten, so daß ihr Marsch mehr und mehr zu einem mühsamen Vorwärtsstolpern wurde. Schließlich sahen sie sich gezwungen, mit den Schwertern eine Gasse durch das wild wuchernde Unterholz zu hauen.

Skar war nicht sonderlich wohl dabei. Das Splittern und Krachen des trockenen Holzes mußte meilenweit zu hören sein. Wenn dieser Wald Bewohner hatte, dann waren diese spätestens jetzt über ihr Kommen informiert. Aber sie hatten beide weder Zeit noch Kraft, umzukehren und nach einem leichteren Weg zu suchen. Er warf Del einen besorgten Blick zu. Der Jüngere hielt sich dicht neben ihm und hieb mit verbissener Wut auf Wurzeln und Äste ein. Seine Klinge fuhr splitternd durch das Holz. Er legte mehr Kraft in seine Hiebe, als nötig gewesen wäre. Mehr, als er sich leisten konnte, dachte Skar besorgt. Dels Muskeln spannten sich bei jedem Schlag, als gelte es, die Rüstung eines schwergepanzerten Gegners zu durchschlagen anstelle ein paar dünner Luftwurzeln.

Aber er sagte nichts. Er verstand Del nur zu gut. Für ihn war der tote Wald in diesem Moment mehr als eine Ansammlung abgestorbener Holzstücke und Wurzeln. Es war ein Feind; ein böses, vieltausendfach gegliedertes Ungeheuer, ein Netz gierig ausgestreckter Fangarme und Krallen, das ihn vor der zum Greifen nahe gerückten Rettung abzuhalten suchte.

Dann, von einem Augenblick zum anderen, waren sie durch. Der letzte Baumstrunk fiel unter einem wütenden Hieb, und vor ihnen lag eine vielleicht fünf Meter breite, sorgsam gerodete Fläche schwarzverbrannten Bodens. Dahinter erhob sich eine mannshohe, ebenmäßig geformte Düne, hinter der der eigentliche Wald begann.

Del rammte sein Schwert in die Scheide zurück und gab ein erleichtertes Seufzen von sich. Er wollte die Düne hinaufstürmen, aber Skar hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Warte!«

Del grunzte etwas Unverständliches. Seine Lippen formten Worte des Protestes, aber die ausgedörrte Kehle und die unförmig angeschwollene Zunge ließen ein unverständliches Gebrabbel daraus werden. Er versuchte sich loszureißen, aber Skar hielt ihn mit eisernem Griff zurück.

»Mach jetzt keinen Fehler«, sagte er warnend. Unwillkürlich senkte er die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. Das Gefühl der Gefahr, des Fremden, Bedrohlichen, wurde mit jeder Sekunde stärker. Die Wüste und die Dunkelheit hinter ihnen waren nicht so leer, wie es den Anschein hatte. Skar hatte plötzlich den Eindruck, von unzähligen winzigen, boshaften Augen beobachtet zu werden. Er sah Del durchdringend an und deutete mit der Waffe auf den Kamm der Düne. »Der Wald ist bewohnt«, sagte er bestimmt. »Wir müssen vorsichtig sein. Möglich, daß man uns erwartet. Diese Düne wurde künstlich angelegt.«

Dels Blick folgte widerwillig der mit mathematischer Präzision angelegten Kammlinie. In seinem Gesicht arbeitete es. Er schwankte, machte einen zögernden Schritt und blieb erschöpft stehen. »Wir müssen hinüber«, sagte er leise. »Wir müssen, Skar!«

Skar nickte. »Ja. Und das werden wir auch. Aber vorsichtig. Ich habe keine Lust, so kurz vor dem Ziel noch in eine Falle zu laufen.«

Vorsichtig setzten sie sich in Bewegung. Der Sand und der krumige, zu schwarzer Asche verdorrte Boden schienen überlaut unter ihren Sandalen zu knirschen, als sie den steil ansteigenden Hang erklommen. Nach dem Höllenlärm, den sie vorher gemacht hatten, kam Skar ihre übertriebene Vorsicht schon beinahe albern vor. Irgendwie war es lächerlich, sich zuerst wie eine Herde tollwütiger Wasserbüffel durch das Unterholz zu hauen und dann auf Zehenspitzen zu gehen und möglichst flach zu atmen, um nur ja kein unnötiges Geräusch zu verursachen. Aber ihre über Jahrzehnte hinweg antrainierten Reflexe behielten die Oberhand.

Auf dem Kamm des Hügels blieben sie stehen. Der Wald lag scheinbar in Armeslänge vor ihnen - eine massive, dunkelgrüne Mauer, aus der ein Gemisch leiser Geräusche und das unbeschreibliche Aroma feuchter Erde und frischen Grüns zu ihnen hinaufwehten. Skar hatte nie gewußt, wie süß frische Walderde riechen konnte. Aber er sah auch noch mehr. Zwischen der Baumgrenze und der Düne schlängelte sich ein schmaler, sorgfältig von Unkraut und Wurzelwerk befreiter Fußpfad entlang. Und die diesseitige Steigung der Düne war nicht einfach ein Sandhügel wie die gegenüberliegende, sondern eine künstliche Anlage. Jemand hatte sie mit großer Mühe begradigt und mit einem raffinierten System von Balken und engmaschigen, einander überlappenden Netzen gesichert. Wenn er noch einen Beweis für seinen Verdacht, daß der Wald bewohnt war, benötigt hätte - hier war er.

Del bewegte sich unruhig. Sein Schwert glitt schabend aus der Scheide.

»Verschwinden wir von hier«, sagte er. »Wir bieten eine prachtvolle Zielscheibe.« Skar nickte stumm, duckte sich und sprang mit einem federnden Satz den Hang hinunter. Der weiche Boden dämpfte seinen Aufprall, und die Dunkelheit schien das Geräusch zu verschlukken wie ein Schwamm, der nach langer Trockenheit wieder ein paar Tropfen Wasser aufsaugt. Del folgte ihm wenige Sekunden später etwas langsamer. Seine verwundete Schulter zwang ihm ein mäßigeres Tempo auf. Einen Moment lang blieben sie geduckt nebeneinander stehen, sahen sich aufmerksam um und huschten dann lautlos über den Weg. Der Wald war nicht so dicht, wie es von oben den Anschein gehabt hatte. Die Bäume standen fast auf Manneslänge auseinander, und es gab überraschend wenig Unterholz. Eigentlich, verbesserte sich Skar in Gedanken, gar keines, wenn man von einigen wenigen, für einen natürlichen Bewuchs schon fast zu regelmäßig stehenden Büschen absah. Er ließ sich auf das rechte Knie niedersinken, fuhr mit den Fingerspitzen über den moosbedeckten Boden und stand vorsichtig wieder auf. Der Wald gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

Neben ihm ließ sich Del schweratmend gegen einen Baum sinken. Sekundenlang starrte er aus roten, entzündeten Augen vor sich hin, dann verkrallte er die Linke in einen tiefhängenden Ast, riß ein Büschel Blätter ab und stopfte es in den Mund. Er schmatzte genüßlich und verzog das Gesicht, als hätte er niemals etwas Köstlicheres gegessen. Dann hustete er, krümmte sich zusammen und übergab sich würgend.

Skar schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du solltest das lassen«, sagte er lakonisch. »Irgendwo hier muß es Wasser geben. Komm.«

Nebeneinander drangen sie in den Wald ein. Hinter ihnen blieben die nächtliche Wüste und ihre Stille zurück, aber dafür schienen sie plötzlich von einer anderen Art des Schweigens umgeben. Der Wald war erfüllt von Geräuschen - das Knacken von Ästen, ein dumpfes Rauschen und Heulen, mit dem sich die mächtigen Baumkronen der Kraft des Windes beugten, die vielfältigen Geräusche der Tiere, die in dieser schattigen Oase lebten - aber im gleichen Maße, in dem sie weiter in den Wald vordrangen, schienen die Laute vor ihnen zu erlöschen, als marschiere mit ihnen ein unsichtbarer Keil des Schweigens, eine dunkle, unsichtbare Schleppe, das Schweigen der Wüste, das sie gleich einem anstekkenden schleichenden Gift in ihre Körper aufgenommen hatten und nun in diesen stillen, friedlichen Wald hineintrugen. Mehr als alles andere machte dieser sonderbare, sicher nur in seiner Einbildung stattfindende Effekt Skar deutlich, daß sie Fremde waren, Eindringlinge, unwillkommene Eindringlinge dazu, die in diesem Wald nichts zu suchen hatten.