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Er warf Del einen aufmunternden Blick zu und ging mit raschen Schritten auf das Floß zu. Das Heck des Fahrzeuges war mit Kisten und bauchigen, hölzernen Fässern beladen, die sorgsam mit Stricken und ledernen Riemen vertäut waren, und als er näher kam, erkannte er eine Anzahl schwerer Eisenringe, die offensichtlich zum Befestigen weiteren Frachgutes dienten.

Er blieb stehen und sah sich neugierig um. Das Floß lag in einer winzigen Bucht, so daß es nicht von der vollen Wucht der Strömung getroffen werden konnte. An der Wand neben ihm hingen zwei eiserne Fackelständer. Der Fels darüber war schwarz von Ruß. Offensichtlich wurde die Stelle nicht das erstemal als natürlicher Hafen benutzt. Der Stein zu seinen Füßen hatte einen schleimigen, leicht klebrigen Überzug.

Seshar hatte mittlerweile zusammen mit seinem Pferd das Floß betreten und wartete nun voll sichtlicher Ungeduld, daß sie ihm folgten. Er winkte und sagte irgend etwas, aber seine Worte gingen im Toben und Brüllen des Flusses unter. Skar hob resignierend die Schultern und trat neben ihm auf das Floß. Er fror plötzlich.

25.

Die Strömung trug sie in phantastischer Geschwindigkeit nach Westen. Skar wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, seit sie die Haltetaue gelöst und sich dem Fluß anvertraut hatten, aber es mußten Stunden sein. Die beiden Fackeln, die sie mitgenommen hatten, waren schon nach kurzem erloschen, und das gewaltige Dröhnen und Brausen des Flusses machte jede Unterhaltung von vornherein unmöglich. Sie hatten die Pferde und sich selbst an den eisernen Ringen, die in die Stämme des Floßes genagelt worden waren, festgebunden, um nicht abgeworfen und in den Fluß geschleudert zu werden, aber die Fahrt verlief ruhiger, als Skar angenommen hatte. Das Floß schien kaum ins Wasser einzutauchen, sondern wie ein flach geworfener Stein über die Oberfläche des Flusses zu schießen.

Nach einer Weile nahm die Geschwindigkeit der Strömung merklich ab, und Skar vermutete, daß der unterirdische Fluß hier breiter oder tiefer wurde. Er setzte sich vorsichtig auf, lockerte den Strick um seine Hüfte ein wenig und versuchte, in der pechschwarzen Finsternis vor ihnen irgend etwas zu sehen. Irgendwo, sehr weit vor ihnen, schien ein trüber grauer Fleck in der Dunkelheit zu schwimmen. Er blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und blinzelte noch einmal. Aber er konnte trotzdem nicht mehr erkennen. Seine Augen schmerzten, und sein Herz begann plötzlich und völlig grundlos rasend schnell zu hämmern. Er tastete, von einer plötzlichen, sinnlosen Angst erfüllt, um sich und berührte eine Hand. Eine schmale, zartgliedrige Hand, sanfte Finger, benetzt mit eisiger Feuchtigkeit und trotzdem auf sonderbare Weise warm und beschützend. Coars Hand. Die Berührung hatte etwas ungemein Beruhigendes. Er drückte sie, kurz und so fest, daß es sie schmerzen mußte, und ließ sich dann wieder zurücksinken. Seine Furcht war verschwunden. Die kurze, flüchtige Berührung hatte gereicht, seine Angst zu vertreiben und ihn im Gegenteil mit einer tiefen, wohltuenden Ruhe zu erfüllen. Was immer auch geschehen mochte, wohin immer dieser Fluß und Seshar sie bringen würden - er wußte plötzlich, daß es sich gelohnt hatte; wenigstens für ihn.

Der graue Schimmer vor ihnen wurde allmählich zu einem verwaschenen Kreis, und ein neues Geräusch mischte sich in das Dröhnen des Flusses: ein tiefes, grollendes Donnern, ein Laut wie von einem mächtigen, weit entfernten Wasserfall. Die Strömung nahm weiter ab, und das Floß wurde langsamer, begann aber gleichzeitig zu bocken und zu schütteln. Skar setzte sich wieder auf und griff haltsuchend nach dem eisernen Ring neben seiner Hüfte. Ein kurzer, heftiger Schlag ließ das Floß erbeben. Eine eisige Welle spülte über seinen Rand und durchnäßte Skar. Das Floß zitterte, legte sich in eine unsichtbare Kurve und kam mit einem berstenden Schlag in die Waagerechte zurück. Die Pferde begannen unruhig zu werden und zu stampfen. Jemand schrie.

Skar klammerte sich verzweifelt fest und wartete darauf, daß das Schütteln und Beben aufhörte, aber es wurde im Gegenteil noch schlimmer. Das Licht vor ihnen begann wie irr auf und ab zu hüpfen, und Welle auf Welle überspülte das Deck, durchtränkte ihn mit eisiger, klammer Nässe und ließ ihn keuchend nach Atem ringen. Eines der Pferde riß sich los, stieg, kreischend vor Panik, auf die Hinterläufe und stürzte in den Fluß. Die Strömung drückte es in Sekundenschnelle unter die Wasseroberfläche und riß es davon. Skar bäumte sich auf. Ein schmerzhafter Schlag traf seinen Rücken und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er schrie, schluckte Wasser und griff in sinnloser Panik um sich. Seine Hände scharrten verzweifelt über die rauhen Balken, versuchten sich festzuklammern und glitten ab. Seine Fingernägel brachen. Ein ganzer Hagel dumpfer, dröhnender Schläge traf das Floß und ließ es in seinen Grundfesten erbeben.

Und dann war es vorbei.

Das Floß erzitterte unter einem letzten, fürchterlichen Aufprall, schoß in die Flußmitte hinaus und kam dann schaukelnd zur Ruhe.

Skar blieb sekundenlang auf dem Rücken liegen und schnappte verzweifelt nach Luft. Sein Schädel dröhnte, als würde hinter seiner Stirn ununterbrochen ein gigantischer Gong anschlagen, und jeder einzelne Schlag seines Herzens schickte einen schmerzhaften Stich durch seinen Leib. Neben ihm stöhnte jemand, aber das Geräusch schien nur wie durch eine dichte, dämpfende Nebelwand an sein Bewußtsein zu dringen.

Skar hob schützend die Hand vor die Augen, wälzte sich auf den Bauch und stemmte sich hoch.

Es war hell; ein trübes, graues Licht, das ihm nach der stundenlangen Dunkelheit unerträglich grell und schmerzhaft vorkam. Das Floß war nur noch ein Wrack. Das Heck hatte sich in ein einziges Gewirr zerborstener und gebrochener Stämme verwandelt. Ein Großteil der Ladung war verschwunden oder wie von einem gigantischen Hammer zertrümmert. Aus einem zersplitterten Faß quoll dunkelroter, zähflüssiger Wein und breitete sich in Schlieren im Wasser aus. Es sah aus, als triebe das Floß in einer langsam größer werdenden Wolke von Blut. Skar tastete mit klammen Fingern nach dem Seil um seiner Hüfte und versuchte, den Knoten zu öffnen. Das Floß zitterte und begann sich langsam, dem Zug der Strömung folgend, um seine Achse zu drehen.

Neben ihm richtete sich Coar schwankend auf die Knie. Sie stöhnte, verkrampfte die Hände über dem Leib und erbrach würgend Wasser und Schleim. Aus einem gezackten Riß an ihrer Stirn sickerte Blut und vermischte sich mit dem Wasser auf ihrem Gesicht.

Skar gelang es endlich, den Knoten zu lösen. Er stand auf, blieb einen Moment schwankend stehen und beugte sich besorgt zu Coar hinab.

»Nicht«, murmelte sie. »Laß mich ... Es ... geht. Kümmere dich um Bernec.« Sie schob seine Hand beiseite, versuchte sich hochzustemmen und sank mit einem wimmernden Schmerzlaut auf die Knie zurück. Ihr Körper bebte wie unter einem Krampf.

Skar betrachtete sie sekundenlang besorgt und wandte sich dann unwillig ab, um nach Bernec zu sehen. Er war ohne Bewußtsein, aber er lebte. Skar kniete neben ihm nieder, drehte ihn vorsichtig herum und legte seinen Kopf in den Nacken. Bernec stöhnte. Seine Augenlider flackerten, aber er schien nicht die Kraft zu haben, sich vollends zu heben. Skar löste nach kurzem Zögern den Umhang von seiner Schulter, knüllte ihn zusammen und schob ihn behutsam unter Bernecs Kopf. »Bleib liegen«, flüsterte er. »Wir sind durch.«

Bernec wimmerte leise. Seine Hände zuckten. Aber Skar wußte nicht, ob es eine Reaktion auf seine Worte war oder nur ein weiterer schmerzhafter Krampf, der seinen Köprer schüttelte. Er stand auf, strich sich in einer unbewußten Geste über seine schmerzenden Schultermuskeln und versuchte, mehr von ihrer Umgebung zu erkennen.