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Er schüttelte unwillig den Kopf, um die bedrückenden Gedanken zu verscheuchen, und konzentrierte sich ganz auf seine Umgebung. Ihm fiel auf, wie regelmäßig die Bäume wuchsen. Es gab keinen Weg oder Pfad, aber sie kamen trotzdem gut voran. Die Bäume standen in präzisen, schräg gegeneinander versetzten Reihen, die wie die Linien eines tiefgestaffelten natürlichen Zaunes wirkten und zwischen denen genügend Platz zum Durchkommen blieb. Und noch etwas fiel ihm auf. Die Bäume wuchsen nicht nur regelmäßig, sondern sie glichen einander auch auf verblüffende Weise. Die Stämme waren gerade, sauber und makellos. Sie waren gesund, alle. Es gab keine verkrüppelten Äste, keine zerborstenen Wurzeln oder abgestorbenen Zweige, keine Stämme, die Wind und Jahreszeiten erlegen oder vom Blitz gespalten waren. Dieser Wald, das begriff er mit einem Male, war kein Wald, sondern ein Park, sorgfältig gehegt und behütet und von unvorstellbarer Größe.

Del blieb plötzlich stehen. »Wasser«, keuchte er atemlos.

Vor ihnen schimmerte es hell durch die Baumreihen. Skar hörte ein leises Plätschern, dann brachte ein Windstoß den unbeschreiblichen Geruch von Wasser mit sich.

Sie rannten los. Selbst Skar vergaß alle Vorsicht. Nach allem, was hinter ihnen lag, gab es keine Zeit mehr für Mißtrauen oder Angst. Dort vorne war Wasser. Wasser! Dann lag der See vor ihnen - ein flacher, runder Tümpel voller grünem Wasser, das zum Himmel stank und unter dessen Oberfläche es von schleimigem Leben wimmelte. Aber davon sahen weder Skar noch Del etwas. Sie brachen aus dem Wald, schleuderten ihre Waffen im hohen Bogen von sich und warfen sich kopfüber in den Schlamm.

3.

Sar löste mit spitzen Fingern den Verband von Dels linker Schulter und betrachtete kopfschüttelnd die Wunde. Sie sah nicht gut aus. Der Axthieb hatte das Schulterblatt zwar nicht gespalten, aber die Klinge hatte den Knochen gebrochen, war daran abgeglitten und eine Handbreit tief ins Fleisch gedrungen, so daß ein fast handtellergroßer Fleischlappen gelöst worden und die Wunde brandig und entzündet war. Del würde den Arm verlieren, wenn er nicht schnell zu einem Heilkundigen kam. Vielleicht würde er sogar sterben.

Er tauchte den schmutzigen Lappen, der ihm als Verband diente, ins Wasser, versuchte vergeblich, den gröbsten Schmutz herauszuwaschen, und träufelte schließlich eine Handvoll der braunen, übelriechenden Brühe auf die Wunde. Der Anblick des schlammigen Wassers hätte jedem, der das Wort Hygiene auch nur vom Hörensagen kannte, die Haare zu Berge stehen lassen. Aber es war das Beste, was sie hatten. Und die Wunde war bereits so stark entzündet, wie es nur ging. Del verzog das Gesicht. »Willst du mich umbringen?«

Skar grinste. »Stell dich nicht so an. Vor ein paar Stunden hättest du mir für einen Schluck Wasser noch kalilächelnd die Kehle durchgeschnitten, und jetzt beklagst du dich.« Er schüttelte den Kopf, tauchte den Verband abermals unter und legte ihn dann so behutsam wie möglich auf die Wunde. Del stöhnte leise.

»Das ist zwar alles andere als gut«, murmelte Skar, als er fertig war, »aber immer noch besser als nichts. Für dich wird es reichen«, fügte er scherzhaft hinzu. Del richtete sich schwerfällig auf den rechten Ellbogen auf und verrenkte sich halbwegs das Genick, um Skars Werk zu begutachten. »Du hättest Heilkundiger werden sollen«, meinte er nach einem prüfenden Blick. »Auf diese Weise hättest du mindestens ebenso viele Leute umbringen können wie jetzt. Vielleicht sogar mehr.« Er versuchte aufzustehen, aber Skar schob ihn mit sanfter Gewalt zurück. »Bleib liegen. Du bist noch lange nicht kräftig genug, um aufzustehen.«

Del grinste schief. »Soll ich dir beweisen, wie stark ich bin, alter Mann?«

Skar seufzte. »Lieber nicht. Du könntest dir weh tun, weißt du.« Er lächelte, erhob sich in die Hocke und stützte die Hände auf den Oberschenkeln auf. »Ich möchte wissen, welche Sünden meine Vorfahren auf sich geladen haben, daß ich mit dir bestraft wurde«, sagte er weinerlich. »Die Welt ist ungerecht.« Er stemmte sich ächzend hoch, reckte sich ausgiebig und ging dann steifbeinig zum Waldrand hinüber. Er war nackt wie Del. Sie hatten ihre Kleider zum Trocknen ausgebreitet, aber in der schwülwarmen Luft schienen sie fast noch feuchter geworden zu sein. Skar betrachtete die zerschlissenen Fetzen voller Abscheu. Die schmal geschnittenen, knielangen Hosen, die zusammen mit den hüftlangen Umhängen und der breiten, bestickten Schärpe - dem einzig wirklich auffallenden Kleidungsstück eines Satai - ihren gesamten Besitz darstellten, wenn man von ihren Waffen und den wuchtigen Lederharnischen absah, wären daheim in Ikne nicht einmal mehr von einem Bettler getragen worden. Sie waren schon nicht mehr ansehnlich gewesen, als sie aufgebrochen waren, aber fünf Tage Wüste hatten ihnen vollends den Garaus gemacht. Skar nahm den schmuddeligen braungefleckten Fetzen, der einmal seine Hose gewesen war, auf, wog ihn sekundenlang nachdenklich in der Hand und warf ihn dann mit einem Achselzucken von sich. Er würde Sandalen, Lendenschurz und Harnisch behalten und den Rest hier zurücklassen. Ganz abgesehen von ihrem zerfetzten Aussehen stanken Hose und Umhang im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel. Er hatte fast eine Stunde in der schlammigen Brühe gebadet, aber selbst das hatte den dickverkrusteten Dreck nicht vollends herunterwaschen können.

Er bückte sich, hob sein Schwert auf und wog es einen Herzschlag lang prüfend in der Hand. Das Tschekal war der einzig wertvolle Besitz, den ein Satai im allgemeinen hatte. Keiner außerhalb der Kriegerkaste Enwors hatte das Recht, die heilige Waffe der Satai zu führen, und diese Regel war eine der wenigen, die Skars Wissen nach immer und überall eingehalten wurde. Die Waffe sah zerbrechlich aus - ein schlankes, zweischneidiges Schwert von etwas mehr als einem Meter Länge mit einer rasiermesserscharfen Spitze und einem breiten, nach vorne gebogenen Handschutz, mit dem man die Waffe seines Gegners verkanten und zurückdrängen konnte - aber der leicht bläulich schimmernde Stahl vermochte jeden noch so harten Harnisch zu zerschlagen, als bestünde er aus dünnem Papier. Niemand, nicht einmal die Satai selbst wußten, woher diese Waffen kamen und wer sie schmiedete. Der Hohe Rat der Satai behütete und verteilte sie, und es gab keine Möglichkeit, ein solches Schwert zu erhalten, wenn man es nicht von einem der Dreizehn Mächtigen persönlich bekam.

Skar fuhr ansatzlos herum und schleuderte die Waffe aus dem Handgelenk von sich. Sie verfehlte den Baum, auf den er gezielt hatte, um ganze zwei Meter und fuhr mit einem saugenden Geräusch in den Boden.

Skar schüttelte den Kopf. Die paar Stunden Ruhe, die sie genossen hatten, waren lange nicht genug. Es würde Wochen, wenn nicht Monate dauern, ehe er seine alte Form wiedergefunden hatte.

Er löste sich lustlos von seinem Platz, zog das Schwert aus dem Boden und rammte es neben seinen Kleidern in einen Baumstamm.

Del sah auf, als er zum See zurückkam. »Du übst schon wieder?«

»Warum nicht? Ich bin nicht mehr in Form. Und du auch nicht.«

Del grinste. »Ich frage mich nur, gegen wen du kämpfen willst. Gegen Baumgeister?«

»Nein. Aber vielleicht gegen die, denen die Bäume gehören«, gab Skar gereizt zurück. Dels offenkundiges Desinteresse ärgerte ihn. Er setzte sich, steckte die nackten Zehen ins Wasser und ballte die Fäuste. Etwas Weiches, Schleimiges berührte seine Füße und begann mit zahnlosen Lippen daran zu zupfen. Die Wasseroberfläche kräuselte sich, und Skar erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen langen, dunkelbraunen Körper und eine schwebende Wolke gezackter Flossen. Angeekelt zog er die Beine an den Körper und stützte das Kinn auf die Knie.