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Elayne und Nynaeve blieben jäh stehen und zwangen so auch Aviendha zu einem abrupten Halt, Sie wechselten an ihr vorbei besorgte Blicke und seufzten tief. Aviendha sah nicht, wie sie entkommen sollten. Die Verpflichtung band ihrer Nächstschwester und Nynaeve Hand und Fuß, und sie selbst hatten die Knoten festgezurrt.

»Ich werde mich um den Frauenzirkel kümmern«, murrte Nynaeve leise, und Elayne sagte ein wenig beherzter: »Ich werde sicherstellen, daß die Schwestern bereit sind.«

Sie ließen Aviendhas Arme los und gingen in entgegengesetzte Richtungen davon, wobei sie die Rocke rafften, um mit Birgitte und Lan im Gefolge rasch ausschreiten zu können. So mußte sich Aviendha dem Blick der Windsucherin der Herrin der Schiffe allein stellen, dem Adlerblick einer Frau, die um ihre Stellung wußte, aus der sie nicht vertrieben werden konnte. Glücklicherweise wandte sich Renaile din Calon rasch an ihre Begleiter, so rasch, daß die Enden ihrer langen gelben Schärpe weit schwangen. Die anderen Windsucherinnen versammelten sich um sie, bestrebt, ihre eindringlichen Worte zu hören. Sie auch nur einmal zu schlagen, würde gewiß alles verderben.

Aviendha versuchte, nicht zu ihnen zu schauen, aber ihr Blick kehrte doch immer wieder zu ihnen zurück.

Niemand hatte das Recht, ihre Nächstschwester in eine schwierige Lage zu bringen. Nasenringe! Ein kräftiger Zug an dieser Kette, und Renaile din Calon Blauer Stern würde eine andere Miene zeigen.

An einem Ende des Stallhofs standen die kleine Merilille Ceandevin und vier weitere Aes Sedai dicht beisammen und beobachteten die Windsucherinnen ebenfalls, überwiegend mit hinter kühler Gelassenheit schlecht verhülltem Verdruß. Selbst die schlanke weißhaarige Vandene Namelle und ihre wie ihr Spiegelbild aussehende Erstschwester Adeleas, die sonst am unerschütterlichsten von allen wirkte. Die eine oder andere richtete hin und wieder einen dünnen Leinenstaubmantel oder strich über geteilte Seidenröcke. Plötzliche Windstöße wirbelten ein wenig Staub auf und bewegten die farbverändernden Umhänge auf den Rücken der fünf Behüter, aber auch ihre Bewegungen zeugten eindeutig von Verdrossenheit. Nur Sareitha, die ein scheibenförmiges weißes Bündel bewachte, regte sich nicht, sondern runzelte nur die Stirn. Die Aes Sedai mißbilligten den Vertrag heftig, der die Atha'an Miere von ihren Schiffen hierher gebracht hatte und ihnen das Recht verlieh, Aes Sedai mit fordernder Ungeduld zu betrachten, aber dieser Vertrag band auch die Zungen der Schwestern und ließ sie an ihrer eigenen Verärgerung fast ersticken, was sie jedoch zu verbergen versuchten. Den Feuchtländern gegenüber hätte ihnen das vielleicht auch gelingen können. Die dritte Gruppe Frauen, die am entgegengesetzten Ende des Hofes eng zusammenstanden, wurde fast ebenso mißtrauisch betrachtet.

Reanne Corly und die anderen zehn Überlebenden des Frauenzirkels der Schwesternschaft regten sich unter diesen mißbilligenden und forschenden Blicken unbehaglich, betupften ihre Gesichter mit bestickten Taschentüchern, richteten ihre breiten, farbenfrohen Strohhüte und glätteten schlichte, an einer Seite hochgenähte Tuchröcke, die Schichten von ebenso farbenfrohen Unterröcken freigaben, wie es die Kleidung des Meervolks war. Es waren teilweise die Blicke der Aes Sedai, die bewirkten, daß sie von einem Fuß auf den anderen traten. Aber Angst vor den Verlorenen und dem Gholam wie auch vor anderen Dingen verstärkten dieses Unbehagen noch. Die schmalen, tiefen Ausschnitte jener Gewänder hätten genügen sollen. Die meisten dieser Frauen wiesen zumindest einige wenige Falten auf den Wangen auf, und doch wirkten sie wie Mädchen mit Händen voller gestohlenem Nußbrot. Alle bis auf die gedrungene Sumeko, die mit in die breiten Hüften gestemmten Fäusten die Blicke der Aes Sedai nacheinander erwiderte. Das helle Schimmern Saidars umgab eine von ihnen, Kirstian, die ständig über die Schulter blickte. Ungefähr zehn Jahre älter als Nynaeve, schien sie mit ihrem blassen Gesicht nicht zu den anderen zu passen. Und das Gesicht wurde noch blasser, wann immer ihre schwarzen Augen dem Blick einer Aes Sedai begegneten.

Nynaeve eilte zu den Frauen, welche die Schwesternschaft anführten, ihr Gesicht pure Aufmunterung, und Reanne und die anderen lächelten sichtlich erleichtert. Zugegebenermaßen auch ein wenig befangen, wenn man nach den Seitenblicken zu Lan urteilen wollte. Sie sahen in ihm den Wolf, an den er sie erinnerte. Jedoch war Nynaeve der Grund, warum Sumeko nicht wie die übrigen niedergeschlagen wirkte, wann immer eine Aes Sedai in ihre Richtung blickte. Sie hatte geschworen, jede dieser Frauen zu lehren, daß sie ein Rückgrat besaßen, obwohl Aviendha ihre Beweggründe nicht vollständig verstand. Nynaeve war selbst eine Aes Sedai. Keine Weise Frau würde jemals jemandem raten, er solle sich gegen Weise Frauen erheben.

Wie gut auch immer das bei den anderen Aes Sedai Wirkung zeigen mochte — sogar Sumeko sah Nynaeve ein wenig unterwürfig an. Der Frauenzirkel empfand es zumindest als seltsam, daß Frauen, die so jung wie Elayne und Nynaeve waren, den anderen Aes Sedai Befehle gaben und man ihnen gehorchte. Aviendha selbst fand es auch merkwürdig. Wie konnte Stärke in der Macht — etwas, womit man so sicher geboren wurde wie mit zwei Augen — schwerer wiegen als in Jahren erworbene Ehre? Und doch gehorchten die älteren Aes Sedai, und das genügte den Frauen der Schwesternschaft. Ieine, fast so groß wie Aviendha selbst und fast so dunkel wie die Frauen des Meervolks, erwiderte jeden Blick Nynaeves mit einem willfährigen Lächeln, während Dimana, deren hellrotes Haar von weißen Strähnen durchzogen wurde, unter Nynaeves Blicken ständig den Kopf beugte und die blonde Sibella ein nervöses Kichern hinter vorgehaltener Hand verbarg. Trotz ihrer Ebou Dari-Kleidung war nur die hagere Tamarla mit ihrer olivfarbenen Haut Altarenerin und stammte nicht einmal aus der Stadt.

Sie wichen auseinander, sobald Nynaeve sich näherte, und gaben eine auf dem Boden kniende Frau mit hinter dem Rücken gefesselten Händen frei, über deren Kopf ein Ledersack gestülpt war und deren Kleider zerrissen und staubig waren. Sie war ebensosehr der Grund für ihr Unbehagen wie Merililles gerunzelte Stirn oder die Verlorenen. Vielleicht sogar noch mehr.

Tamarla zog den Ledersack fort, so daß die dünnen, mit Perlen geschmückten Zöpfe der Frau herabbaumelten. Ispan Shefar versuchte aufzustehen, aber sie taumelte und sank blinzelnd und albern kichernd wieder zurück. Schweiß rann ihre Wangen hinab, und einige wenige blaue Flecke von ihrer Gefangennahme entstellten ihre alterslosen Züge. Aviendha war der Ansicht, daß sie gemessen an ihren Verbrechen noch zu milde behandelt worden war.

Die Kräuter, die Nynaeve der Frau eingeflößt hatte, umnebelten ihre Sinne ebenso, wie sie ihre Knie schwächten, aber Kirstian schirmte sie dennoch mit aller Macht ab, die sie heraufbeschwören konnte. Für die Schattenläuferin bestand keinerlei Aussicht zu entkommen — selbst wenn sie die Kräuter nicht hätte schlucken müssen, war Kirstian doch ebenso stark in der Macht wie Reanne, stärker als die meisten Aes Sedai, denen Aviendha jemals begegnet war —, und doch zupfte selbst Sumeko nervös an ihren Röcken und vermied es, die kniende Frau anzusehen.