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»Wie?« Aviendha starrte auf den Sattel ihres Wallachs. »Sie können nicht Schnell Reisen. Wie sollte mir irgendeine von ihnen helfen können?« Ihre Schultern sackten jäh herab, und sie wandte Elayne ihr Gesicht zu. Unvergessene Tränen schimmerten in ihren Augen. »Das ist nicht die Wahrheit, Elayne, Nicht die ganze Wahrheit. Sie könnten nicht helfen, aber... Du bist meine Nächstschwester. Du hast das Recht, die ganze Wahrheit zu erfahren. Sie glauben, ich hätte beim Anblick eines Dieners den Kopf verloren. Wenn ich um Hilfe bitte, kommt alles heraus. Daß ich einst Schnell Gereist bin, um einem Mann zu entkommen, und doch in der Seele hoffte, er wurde mich einfangen. Ich bin wie ein Hase davongerannt in der Hoffnung, eingefangen zu werden. Wie soll ich ihnen eine solche Schande gestehen? Selbst wenn sie wirklich helfen könnten — wie soll ich es ihnen erklären?«

Elayne wünschte, sie hätte die Wahrheit nicht erfahren. Zumindest nicht den Teil über das Einfangen. Darüber, daß Rand sie tatsächlich eingefangen hatte. Sie verdrängte die sie plötzlich überkommende Eifersucht. Wenn eine Frau die Närrin spielt, dann sieh dir den Mann an. Das war einer von Linis Lieblingssätzen. Ein weiterer lautete: Kätzchen verwirren dein Garn, Männer verwirren deinen Verstand, und es ist für beide so einfach wie das Atmen. Sie holte tief Luft. »Von mir wird niemand ein Wort erfahren, Aviendha. Ich werde dir so gut helfen, wie ich kann.« Nicht daß sich viele Möglichkeiten boten. Aviendha erkannte bemerkenswert schnell, wie Gewebe gestaltet wurden, viel schneller als sie selbst.

Aviendha nickte nur und kletterte unbeholfen in den Sattel, wobei sie sich nur unwesentlich anmutiger anstellte als die Meervolk-Frauen. »Ein Mann hat uns beobachtet, Elayne, und er war kein Diener.« Sie sah Elayne direkt an und fügte hinzu: »Er hat mich erschreckt.« Ein Eingeständnis, das sie wahrscheinlich niemandem sonst auf der Welt gemacht hätte.

»Jetzt sind wir vor ihm sicher, wer auch immer er war«, sagte Elayne, während sie Löwin wendete, um Nynaeve und Lan aus der Lichtung zu folgen. Nüchtern betrachtet war es höchstwahrscheinlich ein Diener gewesen, aber das würde sie niemals jemandem sagen — Aviendha am allerwenigsten. »Wir sind in Sicherheit, und in wenigen Stunden werden wir den Bauernhof der Schwesternschaft erreichen und die Schale benutzen, und die Welt wird wieder heil sein.« Nun, etwas heiler. Die Sonne schien niedriger zu stehen als über dem Stallhof, aber sie wußte, daß das nur Einbildung war.

Moridin beobachtete hinter einem weißen schmiedeeisernen Sichtschutz, wie die letzten Pferde und dann die große junge Frau und die vier Behüter durch das Wegetor verschwanden. Möglicherweise trugen sie einen Gegenstand davon, den er vielleicht gebrauchen konnte — vielleicht ein auf Menschen abgestimmtes Angreal —, aber das war eher unwahrscheinlich. Was den Rest der Ter'angreale betraf, würden sie sich höchstwahrscheinlich bei dem Versuch umbringen, ihren Verwendungszweck herausfinden zu wollen. Sammael war ein Narr, daß er soviel riskiert hatte, um eine Ansammlung dessen in Besitz zu bekommen, wovon niemand wußte, was es war. Aber andererseits war Sammael niemals auch nur halb so klug gewesen, wie er gedacht hatte. Er selbst würde seine Pläne nicht einfach über den Haufen werfen, um zu sehen, welche Bruchstücke der Zivilisation er finden könnte. Nur müßige Neugier hatte ihn hierhergeführt. Er wollte gern wissen, was andere für wichtig hielten. Aber es war wertloses Zeug.

Er wollte sich gerade abwenden, als die Umrisse des Wegetors sich plötzlich zu dehnen und zu zittern begannen. Er sah gebannt hin, bis die Öffnung einfach dahinschmolz. Er hatte niemals dazu geneigt, Verwünschungen von sich zu geben, aber jetzt kamen ihm einige in den Sinn. Was hatte die Frau getan? Diese barbarischen Provinzler bereiteten zu viele Überraschungen. Eine Art zu Heilen wurde abgetrennt, wie unvollkommen auch immer. Das war unmöglich! Nur daß sie es getan hatten. Unfreiwillige Zirkel. Jene Behüter und der Bund, den sie mit den Aes Sedai teilten. Er hatte schon lange, lange Zeit davon gewußt, aber wann immer er sie zu verstehen meinte, offenbarten diese Primitiven eine neue Fertigkeit, taten etwas, wovon niemand in seinem Zeitalter jemals geträumt hätte. Etwas, das die Zivilisation nicht einmal auf ihrem Höhepunkt gekannt hatte! Was hatte das Mädchen getan?

»Großer Meister?«

Moridin wandte kaum den Kopf vom Fenster ab. »Ja, Madic?« Verdammt sei seine Seele — was hatte das Mädchen getan?

Der kahl werdende Mann in grünweißer Kleidung, der den kleinen Raum betreten hatte, verbeugte sich tief, bevor er auf die Knie fiel. Madic, einer der höheren Diener im Palast mit länglichem Gesicht, besaß eine prahlerische Würde, die er selbst jetzt zu bewahren versuchte. Moridin hatte Männer, die weitaus höher standen, sich weitaus schlechter präsentieren sehen. »Großer Meister, ich habe erfahren, was die Aes Sedai heute morgen in den Palast geführt hat. Es heißt, sie hätten einen großen, in alten Zeiten verborgenen Schatz gefunden, Gold und Juwelen und Herzstein, Gegenstände von Shiota und Eharon und sogar vom Zeitalter der Legenden. Es sollen Dinge darunter sein, welche die Eine Macht benutzen. Es heißt, eines könnte das Wetter beherrschen. Niemand weiß, wohin sie gehen, Großer Meister. Der Palast erbebt vor Gerede, aber zehn Zungen nennen zehn verschiedene Ziele.«

Moridin betrachtete erneut den Stallhof unter sich, noch während Madic sprach. Lächerliche Geschichten von Gold und Cuendillar interessierten ihn nicht. Nichts würde ein Wegetor so dahinschmelzen lassen. Es sei denn... Konnte sie das Gewebe tatsächlich aufgelöst haben? Der Tod ängstigte ihn nicht. Er erwog kaltblütig die Möglichkeit, in Sichtweite eines sich auflösenden Gewebes gewesen zu sein. Eines Gewebes, das erfolgreich vernichtet worden war. Durch diese Unmöglichkeit wurde noch eine weitere eröffnet...

Eine Bemerkung Madics errang seine Aufmerksamkeit. »Das Wetter, Madic?« Die Palasttürme warfen kurze Schatten, und keine Wolke schirmte die brütende Stadt ab.

»Ja, Großer Meister. Der Gegenstand wird die Schale der Winde genannt.«

Der Name sagte ihm nichts. Aber ... ein Ter'angreal zur Beherrschung des Wetters... In seinem Zeitalter war das Wetter mit Hilfe von Ter'angrealen sorgfältig reguliert worden. Eine der Überraschungen dieses Zeitalters — anscheinend eine der geringeren — war gewesen, daß es Menschen gab, die das Wetter in einem Umfang beeinflussen konnten, der eines dieser Ter'angreale hätte erfordern sollen. Ein einzelner solcher Gegenstand sollte nicht genügen, auch nur einen großen Teil eines einzelnen Kontinents zu beeinflussen. Aber was konnten diese Frauen damit tun? Was? Wenn sie einen Zirkel benutzten?

Er ergriff die Wahre Macht, ohne nachzudenken, und das Saa wogte schwarz über sein Sichtfeld. Seine Finger verkrampften sich um das schmiedeeiserne Gitter vor dem Fenster. Das Metall ächzte und bog sich, aber nicht durch seinen Griff, sondern durch die Ranken der Wahren Macht, vom Großen Herrn selbst heraufbeschworen, die sich um das Gitter wanden und sich beugten, wenn er seine Hand im Zorn beugte. Der Große Herr würde nicht erfreut sein. Er hatte sich aus seinem Gefängnis ausgestreckt, die Welt in hinreichendem Maße berührt, um die Jahreszeiten erstarren zu lassen. Er wartete voller Ungeduld darauf, die Welt weiterhin zu berühren, das Nichts zu zerschmettern, das ihn einschloß, und er würde nicht erfreut sein. Zorn vereinnahmte Moridin, das Blut pochte in seinen Ohren. Noch vor einem Moment hatte es ihn nicht gekümmert, wohin diese Frauen gingen, aber jetzt...