»Warum, Perrin?« stotterte er und riß sich den Strohhut vom Kopf. Der Schweiß hinterließ Spuren im Staub auf seinen Wangen. Er beugte sich herab, um sein Bündel aufzuheben, überlegte es sich dann aber anders und richtete sich erneut hastig auf. »Ich meine, Lord Perrin, ich ... ehm ... ich dachte, Ihr wärt es, aber ... aber als sie Euch Lord nannten, war ich mir nicht mehr sicher, ob Ihr einen alten Wirt noch kennen wolltet.« Er rieb sich mit einem Taschentuch über seinen fast kahlen Kopf und lachte nervös. »Natürlich werde ich mit Euch sprechen. Das Waschen kann noch eine Weile warten.«
»Hallo, Perrin«, sagte ein ungeschlachter Mann. Lamgwin Dorn wirkte wegen seiner schweren Lider trotz der Muskeln und der Narben auf Gesicht und Händen träge. »Meister Gill und ich haben davon gehört, daß der junge Rand der Wiedergeborene Drache ist. Wir hätten uns denken können, daß Ihr auch auftaucht. Perrin Aybara ist ein guter Mann, Herrin Maighdin. Ich denke, Ihr könnt ihm alles anvertrauen, was Ihr wollt.« Er war nicht träge, und er war auch nicht dumm.
Aram machte eine ungeduldige Kopfbewegung, und Lamgwin und die beiden anderen folgten ihm, aber Tallanvor und Balwer ließen sich Zeit und warfen Perrin und Meister Gill verwunderte Blicke zu. Besorgte Blicke. Und den Frauen. Faile drängte sie ebenfalls vorwärts, wenn sie Perrin, Meister Gill und den Aram folgenden Männern auch viele rasche Blicke zuwarfen. Plötzlich waren sie nicht mehr so erfreut darüber, getrennt zu werden.
Meister Gill wischte sich über die Stirn und lächelte unbehaglich. Licht, warum roch er ängstlich? fragte sich Perrin. Aus Angst vor ihm? Vor einem an den Wiedergeborenen Drachen gebundenen Mann, der sich Lord nannte und ein Heer anführte, wie klein auch immer es war, und somit den Propheten bedrohte? Man könnte auch noch das Knebeln von Aes Sedai erwähnen. Dafür würde er auf die eine oder andere Art verantwortlich gemacht werden. Nein, dachte Perrin, daran ist nichts, was jemanden ängstigen könnte. Wahrscheinlich hatten diese Menschen Angst, daß er sie alle töten könnte.
In dem Versuch, Meister Gill zu beruhigen, führte er den Mann zu einer hundert Schritt von dem rotweißen Zelt entfernten Eiche. Die meisten der großen Blätter des Baumes waren abgefallen, und die Hälfte des verbliebenen Laubs war braun, aber tief herabhängende Zweige spendeten ein wenig Schatten, und einige der knorrigen Wurzeln ragten so weit über die Erde, um als Bänke dienen zu können. Perrin hatte eine davon bereits benutzt und Däumchen gedreht, während das Lager errichtet wurde. Wann immer er etwas Nützliches zu tun versuchte, entrissen es ihm stets zehn Hände.
Basel Gill war jedoch nicht beruhigt, wie bemüht sich Perrin auch nach dem Wohlergehen der Königin und seinem Gasthaus in Caemlyn erkundigte oder seinen eigenen Besuch dort in Erinnerung rief. Andererseits erinnerte sich Gill vielleicht daran, daß sein Besuch durch Aes Sedai und Gerede vom Dunklen König und einer nächtlichen Flucht nichts Beruhigendes gehabt hatte. Meister Gill schritt besorgt hin und her, preßte das Bündel an seine Brust, wechselte es von einem Arm in den anderen und antwortete nur sehr einsilbig, während er zwischendurch seine Lippen benetzte.
»Meister Gill«, sagte Perrin schließlich, »nennt mich nicht immer Lord Perrin. Es ist kompliziert, aber ich bin kein Lord. Das wißt Ihr.«
»Natürlich«, erwiderte der rundliche Mann, der sich schließlich auf einer der Eichenwurzeln niederließ. Er schien sein Bündel nicht gern abzulegen und zog die Hände nur zögernd davon zurück. »Wie Ihr meint, Lord Perrin. Ehm, Rand ... der Lord Drache ... er will die Lady Elayne wirklich auf den Thron bringen? Natürlich möchte ich Eure Worte nicht anzweifeln«, fügte er eilig hinzu. Er nahm seinen Hut ab und begann erneut, sich über die Stirn zu wischen. Er schien selbst für einen solch rundlichen Mann doppelt so stark zu schwitzen, wie es die Hitze gerechtfertigt hätte. »Gewiß wird der Lord Drache genau das tun, was Ihr gesagt habt.« Er lachte unsicher. »Ihr wolltet mit mir sprechen. Und sicher nicht über mein altes Gasthaus.«
Perrin stieß erschöpft den Atem aus. Er hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer sein als alte Freunde und Nachbarn, die katzbuckelten, aber sie vergaßen es zumindest gelegentlich und sprachen dann frei heraus. Und keiner von ihnen hatte Angst vor ihm. »Ihr seid weit von zu Hause fort«, sagte er freundlich.
Es bestand kein Grund zur Eile, nicht bei einem Mann, der bereits fast außer sich war. »Ich frage mich, was Euch hierher geführt hat. Hoffentlich keine Schwierigkeiten?«
»Redet gerade heraus, Basel Gill«, forderte Lini ihn barsch auf, während sie auf die beiden zukam. »Keine Umschweife.« Sie war noch nicht allzu lange fort gewesen, und doch hatte sie irgendwie die Zeit gefunden, sich Gesicht und Hände zu waschen, ihr Haar im Nacken zu einem ordentlichen weißen Knoten aufzustecken und sich den meisten Staub von ihrem einfachen Tuchgewand zu klopfen. Sie vollführte vor Perrin einen flüchtigen Hofknicks, wandte sich dann zu Meister Gill um und drohte ihm mit einem knorrigen Finger. »›Drei Dinge ärgern über alle Maßen: ein schmerzender Zahn, ein zu enger Schuh und ein geschwätziger Mann.‹ Haltet Euch also an das Wesentliche und erzählt dem jungen Lord nicht mehr, als er hören will.« Sie bedachte den staunenden Wirt mit einem warnenden Blick und vollführte dann vor Perrin jäh einen weiteren Hofknicks. »Er liebt den Klang seiner eigenen Stimme — die meisten Männer tun das —, aber er wird Euch jetzt angemessen antworten, mein Lord.«
Meister Gill sah sie finster an und murmelte leise etwas, als sie ihm barsch zu sprechen bedeutete. »Knöcherne, alte...«, verstand Perrin. »Was geschehen ist ... einfach und gerade heraus...«. Der rundliche Mann sah Lini erneut an, aber sie schien es nicht zu bemerken. »...ist, daß ich geschäftlich in Lugard zu tun hatte. Eine Gelegenheit, Wein einzuführen. Aber das wird Euch nicht interessieren. Ich habe Lamgwin natürlich mitgenommen, und Breane, weil sie ihn keinen Moment aus den Augen läßt, wenn es nicht unumgänglich ist. Unterwegs begegneten wir Herrin Dorlain — Herrin Maighdin, wie wir sie nennen — und Lini und Tallanvor. Und natürlich Balwer. Auf der Straße. In der Nähe von Lugard.«
»Maighdin und ich waren in Murandy in Stellung«, warf Lini ungeduldig ein. »Bis die Unruhen begannen. Tallanvor war Waffenträger des Hauses und Balwer der Schreiber. Räuber zündeten das Gut an, und unsere Herrin konnte es sich nicht mehr leisten, uns zu behalten, so daß wir beschlossen, aus Sicherheitsgründen zusammen zu reisen.«
»Das wollte ich gerade erzählen, Lini«, brummte Meister Gill, während er sich hinter dem Ohr kratzte.
»Der Weinhändler war aus einem unbestimmten Grund von Lugard aufs Land gegangen, und...« Er schüttelte den Kopf. »Es würde zu weit führen, alles zu erzählen, Perrin. Lord Perrin, meine ich. Verzeiht. Ihr wißt, daß es heutzutage überall Unruhen der einen oder anderen Art gibt. Anscheinend trafen wir jedes Mal, wenn wir Unruhen der einen Art entronnen waren, auf Unruhen der anderen Art und entfernten uns immer weiter von Caemlyn. Bis wir hierher kamen, müde und für ein wenig Ruhe dankbar. Das ist die Geschichte in wenigen Worten.«
Perrin nickte gemächlich. Das konnte die einfache Wahrheit sein, obwohl er gelernt hatte, daß Menschen hundert Gründe haben mochten, zu lügen oder die Wahrheit schlicht zu verschleiern. Er verzog das Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Licht! Er wurde langsam so mißtrauisch wie ein Cairhiener, und je tiefer Rand ihn in alles hineingezogen hatte, desto schlimmer war es geworden. Warum, um alles in der Welt, sollte Basel Gill ihn belügen? Die Dienerin einer Lady, die an Privilegien gewöhnt war und dann harte Zeiten erlebte — das erklärte Maighdins Verhalten. Einiges war einfach.