Lini hatte die Hände an der Taille gefaltet, aber sie beobachtete ihn genau, erinnerte selbst überaus an einen Falken, und Meister Gill begann unruhig zu werden, sobald er seine Erzählung beendet hatte. Er schien Perrins Miene als Aufforderung zu verstehen, noch mehr zu berichten. Er lachte nervös. »Ich habe seit dem Aiel-Krieg nicht viel von der Welt gesehen, und ich war damals erheblich magerer. Nun, wir sind bis Amador gekommen. Natürlich haben wir es wieder verlassen, nachdem die Seanchaner die Stadt einnahmen, aber sie sind in Wahrheit nicht schlimmer als die Weißmäntel, soweit ich...« Er brach ab, als sich Perrin jäh vorbeugte und seinen Rockaufschlag ergriff.
»Seanchaner, Meister Gill? Seid Ihr Euch dessen sicher? Oder ist das nur wieder eines dieser Gerüchte wie das über die Aiel oder die Aes Sedai?«
»Ich habe sie gesehen«, erwiderte Gill und wechselte unsichere Blicke mit Lini. »Sie haben sich sogar selbst als Seanchaner bezeichnet. Es überrascht mich, daß Ihr nichts davon wißt. Die Nachricht ist uns den ganzen Weg von Amador vorausgeeilt. Diese Seanchaner wollen, daß die Menschen wissen, was sie vorhaben. Seltsame Leute mit seltsamen Wesen.« Seine Stimme wurde angespannter. »Wie Schattengezücht. Große, lederartige Flugwesen, die Menschen tragen, und Wesen, die Eidechsen ähneln, nur daß sie so groß sind wie Pferde und drei Augen haben. Ich habe sie gesehen! Wahrhaftig!«
»Ich glaube Euch«, sagte Perrin und ließ die Jacke des Mannes los. »Ich habe sie auch gesehen.« In Falme, wo tausend Weißmäntel in Minuten starben, und es waren tote Helden aus der Legende nötig gewesen, vom Horn von Valere herbeigerufen, um die Seanchaner zurückzudrängen. Rand hatte gesagt, sie würden zurückkehren, aber wie konnte ihnen das so bald gelungen sein? Licht! Wenn sie Amador besetzt hielten, mußten sie auch Tarabon in ihrer Gewalt haben, oder zumindest den größten Teil Tarabons. Nur ein Narr tötete einen Hirsch, wenn er wußte, daß ein verletzter Bär hinter ihm war. Wie viele Städte hatten sie bereits eingenommen? «Ich kann Euch nicht sofort nach Caemlyn schicken, Meister Gill, aber wenn Ihr noch ein wenig bei mir bleibt, werde ich dafür sorgen, daß Ihr in Sicherheit seid.« Wenn es überhaupt noch sicher war, bei ihm zu bleiben. Der Prophet, Weißmäntel und jetzt vielleicht auch noch Seanchaner.
»Ich glaube, Ihr seid ein guter Mann«, sagte Lini plötzlich. »Ich fürchte, wir haben Euch nicht die ganze Wahrheit gesagt, aber vielleicht sollten wir es jetzt tun.«
»Lini, was redet Ihr da?« rief Meister Gill aus und sprang auf. »Ich glaube, die Hitze macht ihr zu schaffen«, sagte er zu Perrin. »Und die lange Reise. Sie hat manchmal seltsame Anwandlungen. Ihr wißt, wie alte Leute werden können. Still jetzt, Lini!«
Lini wehrte seine Hand ab, die er ihr über den Mund legen wollte. »Vorsicht, Basel Gill! Ich habe Euch gewarnt! Maighdin ist sozusagen vor Tallanvor davongelaufen, und er ist ihr nachgejagt. Wir alle sind seit inzwischen vier Tagen unterwegs und hätten beinahe uns selbst und die Pferde getötet. Nun, es ist kein Wunder, daß sie häufig wie abwesend ist. Ihr Männer verwirrt den Verstand einer Frau, so daß sie kaum noch denken kann, und dann gebt Ihr vor, überhaupt nichts getan zu haben. Ihr solltet alle aus Prinzip geohrfeigt werden. Das Mädchen fürchtet ihr eigenes Herz! Die beiden sollten verheiratet werden, je schneller, desto besser.«
Meister Gill starrte sie an, und Perrin konnte nicht ausschließen, daß nicht auch er mit offenem Mund dastand. »Ich bin nicht sicher, ob ich genau verstanden habe, was Ihr von mir erwartet«, sagte er zögerlich, doch die weißhaarige Frau antwortete fast schon, bevor er ganz geendet hatte.
»Stellt Euch nicht dumm. Das würde ich Euch keinen Moment abnehmen. Ihr seid klüger als die meisten. Das ist die schlimmste Angewohnheit von Männern, daß sie vorgeben, nicht zu bemerken, was vor ihrer Nase passiert.« Was war aus all den Hofknicksen geworden? Sie verschränkte ihre dünnen Arme vor der Brust und sah ihn streng an. »Nun, wenn Ihr Euch doch dumm stellen wollt, werde ich es Euch erklären. Euer Lord Drache tut, was immer er will, soweit ich gehört habe. Euer Prophet wählt Leute aus und verheiratet sie augenblicklich. Sehr gut. Ihr nehmt Maighdin und Tallanvor und verheiratet sie. Er wird es Euch danken, und sie ebenfalls. Wenn sie wieder zu sich kommt.«
Perrin blickte verblüfft zu Meister Gill, der mit den Achseln zuckte und kläglich grinste. »Entschuldigt mich«, sagte Perrin zu der finster dreinblickenden Frau, »ich muß mich um einiges kümmern.« Er eilte davon und schaute nur einmal zurück. Lini drohte Meister Gill mit dem Finger und schalt ihn trotz seines Protests aus. Die Brise verhinderte, daß Perrin ihre Worte verstand. Aber das wollte er in Wahrheit auch nicht. Sie waren alle verrückt!
Berelain hatte vielleicht ihre beiden Dienerinnen und ihre Diebfänger, aber Faile hatte gewissermaßen auch Bedienstete. Fast zwanzig junge Tairener und Cairhiener saßen mit gekreuzten Beinen in der Nähe des Zelts, die Frauen in Jacken und Hosen und genau wie die Männer mit Schwertgürteln. Niemand trug das Haar länger als bis zur Schulter, und sowohl Männer als auch Frauen hatten es mit einem Band zurückgenommen in Anlehnung an den Aiel-Pferdeschwanz. Perrin fragte sich, wo die übrigen waren. Sie entfernten sich selten weit aus der Reichweite von Failes Stimme. Er hoffte, daß sie keine Schwierigkeiten machten. Sie hatte sie unter ihre Fittiche genommen, um sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten, sagte sie, und das Licht wußte, daß sie hineingeraten wären, wenn sie mit einer Menge weiterer junger Toren wie sie in Cairhien zurückgeblieben wären. Perrins Meinung nach brauchten sie alle einen raschen Tritt in die Kehrseite, um ein wenig zu Verstand zu kommen. Sich zu duellieren, Ji'e'toh zu spielen und vorzugeben, eine Art Aiel zu sein! Dummheit!
Lacile erhob sich, als Perrin näher kam, eine blasse kleine Frau mit roten Bändern an ihren Aufschlägen, kleinen goldenen Creolen in den Ohren und einem herausfordernden Blick, der Leute aus den Zwei Flüssen manchmal zu der Annahme veranlaßte, sie würde trotz ihres Schwerts gern geküßt. Im Moment lag knallharte Herausforderung in ihrem Blick. Kurz nach ihr erhob sich auch Arrela, groß und dunkel, das Haar so kurz geschnitten wie bei einer Tochter des Speers und die Kleidung einfacher als die der meisten Männer. Anders als Lacile wirkte Arrela vollkommen abweisend. Die beiden machten Anstalten, vor das Zelt zu treten, um Perrin den Weg zu versperren, aber ein Bursche mit kantigem Kinn in einer Jacke mit bauschigen Ärmeln stieß einen barschen Befehl aus, und sie setzten sich wieder hin. Widerwillig. Parelean hatte einen Bart getragen, als Perrin ihn zum ersten Mal gesehen hatte — das galt für mehrere der tairenischen Männer —, aber Aiel trugen keine Barte.
Perrin murrte leise etwas über Torheit. Sie waren Faile absolut treu ergeben, und die Tatsache, daß er ihr Ehemann war, bedeutete ihnen wenig. Er konnte den Blick der jungen Dummköpfe auf sich spüren, als er das Zelt betrat Faile würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie jemals erführe, daß er gehofft hatte, sie würden sie vor Schwierigkeiten bewahren.
Das Zelt war hoch und geräumig und mit einem mit Blumen verzierten Teppich und spärlichen Möbeln ausgestattet, die man überwiegend zusammengeklappt auf einem Karren verstauen konnte. Der schwere Standspiegel gehörte jedoch nicht dazu. Bis auf mit bestickten Tüchern verzierte und als zusätzliche Tische zu zweit zusammengestellte messingbeschlagene Kisten wurde alles von den geraden Linien funkelnder Goldverzierungen dominiert, die alles bis hin zum Waschgestell und dem dazugehörigen Spiegel schmückten. Ein Dutzend widergespiegelte Lampen machten das Innere des Zelts fast ebenso hell wie die Außenwelt, wenn es auch erheblich kühler war, und es hingen sogar zwei Seidenvorhänge von den oberen Zeltstangen herab — für Perrins Geschmack zu überladen und zu starr, da die Vögel und Blumen in Reihen und Winkeln angeordnet waren. Dobraine hatte sie bedrängt, wie cairhienische Adlige zu reisen, aber Perrin war es gelungen, das Schlimmste zu verhindern. Es war beispielsweise lächerlich, das große Bett mit auf eine Reise zu nehmen. Es hatte allein fast einen Karren beansprucht.