Noch zeigte sich die Dämmerung nicht am Horizont, und doch machten sich die Cairhiener bereits rund um die Karren zu schaffen und eilten sich zusehends, je näher Faile kam. Die Leute aus den Zwei Flüssen, die den Alltag der Bauern gewohnt waren, bereiteten bereits ihr Frühstück zu, einige lachend und eifrig, andere mürrisch, aber die meisten erfüllten ihre Aufgaben. Einige wenige wollten liegen bleiben, wurden aber schlicht aufgescheucht. Grady und Neald waren ebenfalls aufgestanden und hielten sich wie gewohnt abseits, Schatten in schwarzen Jacken unter den Bäumen. Perrin konnte sich nicht erinnern, sie jemals ohne diese Jacken gesehen zu haben, die stets bis zum Hals geschlossen und an jedem neuen Tag wieder sauber und glatt aussahen, in welchem Zustand auch immer sie am Abend zuvor gewesen waren. Sie führten wie jeden Morgen synchron Schwertübungen aus. Das gefiel Perrin besser als ihre abendliche Tätigkeit, mit gekreuzten Beinen dazusitzen, die Hände auf den Knien, und in ein fernes Nichts zu starren. Sie taten niemals etwas anderes als das, was alle sehen konnten, und doch wußte im Lager niemand auch nur annähernd, was in ihnen vorging, und ein jeder hielt sich so weit wie möglich von ihnen fern. Nicht einmal die Töchter des Speers näherten sich ihnen.
Perrin bemerkte plötzlich, daß etwas fehlte. Faile beauftragte stets einen der Männer, ihm eine Schale mit den dicken Getreideflocken zu bringen, die sie zum Frühstück aßen, aber heute morgen war sie anscheinend zu beschäftigt. Freudig eilte er zu den Herdfeuern, um sich die Mahlzeit wenigstens einmal selbst zu holen. Aber seine Hoffnung wurde enttäuscht.
Flann Barstere, ein schlaksiger Bursche mit einem Grübchen am Kinn, begegnete ihm auf halbem Wege und reichte ihm eine geschnitzte Schale. Flann stammte aus der Nähe von Wachhügel, und Perrin kannte ihn nicht gut, aber sie hatten ein- oder zweimal zusammen gejagt, und Perrin hatte ihm einmal geholfen, eine der Kühe seines Vaters aus einem Sumpf im Wasserwald zu ziehen. »Lady Faile wies mich an, Euch dies zu bringen, Perrin«, sagte Flann ängstlich. »Ihr werdet ihr doch nicht sagen, daß ich es vergessen hatte? Ich habe etwas Honig gefunden, und ich habe einige Löffel voll hineingegeben.« Perrin unterdrückte ein Seufzen. Zumindest hatte Flann seinen Namen behalten.
Nun, vielleicht gelang es ihm tatsächlich nicht, die einfachsten Aufgaben selbst auszuführen, aber er war noch immer für die Männer verantwortlich, die unter den Bäumen frühstückten. Ohne ihn wären sie bei ihren Familien und bereiteten sich auf die tägliche Arbeit auf dem Bauernhof vor, anstatt sich zu fragen, ob sie noch vor Sonnenuntergang töten müßten oder getötet würden. Perrin schlang seine mit Honig gesüßten Getreideflocken hinunter und wies Aram an, sein Frühstück in Ruhe zu sich zu nehmen, aber der Mann machte eine solche Leidensmiene, daß er sich seiner erbarmte und sich von ihm begleiten ließ, während er durch das Lager ging. Perrin genoß diese Runde nicht. Männer stellten ihre Schalen ab, wenn er sich näherte, oder standen sogar auf, bis er vorübergelangt war. Er knirschte mit den Zähnen, wann immer ihn jemand, mit dem er aufgewachsen war oder der ihn womöglich als Junge auf Botengänge geschickt hatte, Lord Perrin nannte. Nicht jedermann tat dies, aber zu viele. Viel zu viele. Nach einiger Zeit gab er es erschöpft auf, es ihnen zu untersagen. Nur allzu häufig lautete die Antwort: »Oh! Ganz wie Ihr meint, Lord Perrin.« Es genügte, einen Mann verzweifeln zu lassen!
Dennoch zwang er sich, innezuhalten und mit jedem Mann ein paar Worte zu wechseln. Aber vor allem hielt er seine Augen offen. Und seine Nase. Sie alle waren eifrig darauf bedacht, ihre Bogen und Pfeilspitzen pfleglich zu warten, aber einige würden ihre Stiefelsohlen oder Hosenböden durchscheuern lassen, ohne es zu merken, oder Blasen schwären lassen, weil man sie nicht dazu bewegen konnte, sofort etwas dagegen zu unternehmen. Mehrere Männer hatten die Angewohnheit, Branntwein zu trinken, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten, aber zwei oder drei von ihnen vertrugen ihn nicht. In einem kleinen Dorf, durch das sie am Tag vor ihrer Ankunft in Bethai gekommen waren, hatte es nicht weniger als drei Schenken gegeben.
Es war seltsam. Stets war es ihm unangenehm gewesen, wenn Herrin Luhhan oder seine Mutter ihm gesagt hatten, er brauche neue Stiefel oder seine Hose müsse geflickt werden, und er war sich sicher, daß eine solche Bevormundung auch jeden anderen geärgert hätte, aber von dem bereits ergrauten, alten Jondyn Barran angefangen sagten die Leute aus den zwei Flüssen einfach: »Nun, recht habt Ihr, Lord Perrin; ich kümmere mich sofort darum.« Er sah einige von ihnen einander zugrinsen, wenn er weiterging. Und sie rochen erfreut! Als er ein Tongefäß mit Birnenbranntwein in Jori Congars Satteltaschen entdeckte — Jori war ein hagerer Bursche, der doppelt soviel aß wie alle anderen, aber dennoch stets den Eindruck machte, als habe er eine Woche lang nichts mehr gegessen; er war ein guter Bogenschütze, der jedoch bei jeder Gelegenheit trank, bis er nicht mehr stehen konnte, und außerdem flinke Finger besaß —, sah Jori ihn mit großen Augen an und spreizte die Hände, als wüßte er nicht, wo das Gefäß hergekommen sei. Aber als Perrin weiterging, während er den Branntwein ausgoß, sagte Jori lachend: »Lord Perrin läßt nicht alles durchgehen!« Er klang stolz! Manchmal glaubte Perrin, er habe sich als einziger seine geistige Gesundheit bewahrt.
Und er bemerkte noch etwas. Die Männer achteten allesamt sehr darauf, was er nicht sagte. Alle warfen nacheinander Blicke zu den zwei Bannern, dem Roten Wolfskopf und dem Roten Adler, die gelegentlich in einer leichten Brise flatterten. Sie betrachteten die Banner und beobachteten ihn, warteten auf den Befehl, den er jedesmal gegeben hatte, wenn sie gehißt worden waren, seit sie Ghealdan erreicht hatten, und auch häufig zuvor. Nur daß er gestern nichts gesagt hatte und auch heute nichts sagen würde. Perrin sah an den Gesichtern der Männer, daß sie Vermutungen anstellten. Er versuchte, nicht auf ihr Flüstern hinter seinem Rücken zu achten. Was würden sie sagen, wenn er sich irrte, wenn die Weißmäntel oder König Ailron beschlossen, den Blick ausreichend lange vom Propheten und von den Seanchanern abwenden zu können, um einen mutmaßlichen Aufruhr zu ersticken? Er war für sie verantwortlich, und bereits zu viele von ihnen waren umgekommen.
Die Sonne war schon vollständig über dem Horizont aufgegangen und verbreitete grelles Morgenlicht, als er seinen Rundgang beendete. Tallanvor und Lamgwin schleppten unter Linis Anleitung Kisten aus Perrins Zelt, während Maighdin und Breane auf einem Flecken verdorrten Grases den Inhalt durchforsteten, der überwiegend aus Decken, Wäsche und langen bunten Streifen Seidensatin bestand, mit denen das Bett, das er ›verlegt‹ hatte, geschmückt werden sollte. Faile befand sich wohl im Zelt, denn die plappernde Schar von Dummköpfen stand nicht weit entfernt. Sie mußten nichts tragen oder schleppen. Sie waren ebenso nützlich wie Ratten in einer Scheune.
Perrin kam in den Sinn, nach den Pferden zu sehen, aber als er durch die Bäume zu den angepflockten Tieren schaute, bemerkte man ihn. Nicht weniger als drei der Hufschmiede traten ängstlich vor, während sie ihn beobachteten. Sie waren stämmige Burschen mit Lederschürzen, die einander ähnelten wie Eier in einem Korb, obwohl Falton nur einen weißen Haarkranz aufwies, Aemin erst allmählich ergraute und Jerasid nicht einmal in mittlerem Alter war. Perrin grollte bei ihrem Anblick. Sie würden in seiner Nähe bleiben, wenn er eines der Pferde anrührte, und die Augen verdrehen, wenn er einen Huf anhob. Das eine Mal, als er bei seinem Pferd ein schadhaftes Hufeisen zu wechseln versucht hatte, waren alle sechs Hufschmiede herbeigeeilt, hatten die Werkzeuge an sich genommen, bevor er sie berühren konnte, und den Kastanienbraunen in ihrer Hast, die Arbeit selbst zu tun, fast umgeworfen.
»Sie fürchten, daß Ihr ihnen nicht traut«, sagte Aram unvermittelt. Perrin sah ihn überrascht an, und Aram zuckte die Achseln. »Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen. Sie denken, wenn sich ein Lord selbst um seine Pferde kümmert, dann nur deshalb, weil er ihnen nicht traut.« Sein Tonfall drückte aus, daß er sie wegen ihrer Annahme für Narren hielt, aber er sah Perrin von der Seite an und zuckte erneut unbehaglich die Achseln. »Ich glaube, sie sind auch peinlich berührt. Wenn Ihr Euch nicht so verhaltet, wie sie es von einem Lord erwarten, fällt es ihrer Meinung nach auch auf sie selbst zurück.«