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Edarra bedeutete ihm barsch, sich ebenfalls auf ein Kissen zu setzen, was er dankbar wahrnahm, obwohl er jetzt alle im Halbkreis vor sich hatte. Vielleicht hatten die Weisen Frauen diese Zelte so angelegt, damit Männer den Kopf beugen mußten, wenn sie aufrecht stehen wollten. Seltsamerweise war es im düsteren Inneren des Zeltes kühler, aber er hatte dennoch das Gefühl zu schwitzen. Er konnte die Gerüche der Frauen vielleicht nicht voneinander unterscheiden, aber sie rochen wie Wölfe, die eine angepflockte Ziege betrachten. Ein Gai'schain mit kantigem Gesicht, der ein gutes Stück größer war als Perrin, kniete vor ihm nieder und bot ihm auf einem kunstvoll gearbeiteten Silbertablett einen goldenen Becher mit dunklem gewürztem Wein an. Die Weisen Frauen hielten bereits verschiedenerlei Silberbecher in Händen. Er war sich nicht sicher, was es bedeutete, daß man ihm einen goldenen Becher anbot — vielleicht nichts, aber wer wußte das bei den Aiel? —, und nahm den Becher vorsichtig entgegen. Das Getränk roch nach Pflaumen. Der Bursche verbeugte sich überaus demütig, als Edarra in die Hände klatschte, und verließ unter weiteren Verbeugungen das Zelt. Die erst halbwegs verheilte Wunde in seinem harten Gesicht mußte von den Brunnen von Dumai stammen.

»Jetzt, da Ihr hier seid«, sagte Edarra, sobald sich der Zelteingang hinter dem Gai'schain geschlossen hatte, »werden wir Euch erneut erklären, warum Ihr den Mann, der sich Masema Dagar nennt, töten müßt.«

»Wir sollten es nicht nochmals erklären müssen«, warf Delora ein. Ihr Haar und ihre Augen ähnelten denen Maighdins, aber niemand hatte ihr verkniffenes Gesicht als hübsch bezeichnet. Sie verhielt sich sehr kalt. »Dieser Masema Dagar ist eine Gefahr für den Car'a'carn. Er muß sterben.«

»Die Traumgänger haben es uns gesagt, Perrin Aybara.« Carelle war gewiß hübsch, und obwohl ihr feuriges Haar und ihre stechenden Augen sie aussehen ließen, als könne sie leicht zornig werden, war sie für eine Weise Frau stets freundlich. »Sie haben den Traum gedeutet. Der Mann muß sterben.«

Perrin nahm einen Schluck gewürzten Pflaumenwein, um Zeit zu gewinnen. Der Wein erschien ihm irgendwie kühl. Es war immer dasselbe mit ihnen. Rand hatte keine Warnung von den Traumgängern erwähnt. Perrin hatte zuerst davon gesprochen, wenn auch nur das eine Mal. Sie hatten geglaubt, er bezweifle ihre Worte, und selbst Carelles Augen hatten gefunkelt. Nicht daß Perrin sie hur Lügnerinnen hielt, eigentlich nicht. Er hatte sie noch bei keiner Lüge ertappt. Aber was sie sich für die Zukunft wünschten und was Rand sich für die Zukunft wünschte — oder was Perrin selbst wollte —, waren vielleicht verschiedene Dinge. Möglicherweise war Rand der Geheimniskrämer. »Vielleicht könntet Ihr mir erklären, worin diese Gefahr besteht«, sagte er schließlich. »Das Licht weiß, daß Masema wahnsinnig ist, aber er unterstützt Rand. Es hätte schwerwiegende Folgen, wenn ich umherginge und Leute aus unseren eigenen Reihen tötete. Das wird die Menschen gewiß dazu veranlassen, Rand zu folgen.«

Sarkasmus war bei ihnen verschwendet. Sie sahen ihn unverwandt an. »Der Mann muß sterben«, sagte Edarra schließlich abermals. »Es genügt, daß drei Traumgänger es gesagt haben und sechs Weise Frauen es an Euch weitergeben.« Dasselbe wie immer. Möglicherweise wußten sie nicht mehr als das. Vielleicht sollte er mit dem fortfahren, weshalb er gekommen war.

»Ich möchte über Seonid und Masuri sprechen«, sagte er, und sechs Gesichter erstarrten. Licht, diese Frauen konnte einen Stein einschüchtern! Perrin stellte den Weinbecher neben sich ab und beugte sich entschlossen zu ihnen vor. »Ich soll den Menschen Rand verschworene Aes Sedai zeigen.« Tatsächlich sollte er sie Masema zeigen, aber dies schien ein guter Zeitpunkt, das andere zu erwähnen. »Sie werden nicht zur Zusammenarbeit bereit sein, wenn Ihr gegen sie angeht! Licht! Sie sind Aes Sedai! Warum lernt Ihr nicht von ihnen, anstatt sie Wasser schleppen zu lassen? Sie wissen alles Mögliche, was Ihr nicht wißt.« Zu spät. Er biß sich auf die Zunge. Aber die Aielfrauen waren nicht beleidigt. Zumindest zeigten sie es nicht.

»Sie wissen tatsächlich Dinge, die wir nicht wissen«, belehrte Delora ihn unbeeindruckt, »und wir wissen Dinge, die sie nicht wissen.« Vollkommen unbeeindruckt.

»Wir lernen, was es zu lernen gibt, Perrin Aybara«, erklärte Marline ruhig, während sie mit den Fingern durch ihr fast schwarzes Haar fuhr. Sie war eine der wenigen Aiel, die Perrin mit solch dunklem Haar gesehen hatte, und sie spielte oft damit. »Und wir lehren, was es zu lehren gibt.«

»Auf jeden Fall«, sagte Janina, »ist das nicht Eure Sache. Männer mischen sich nicht in Angelegenheiten zwischen Weisen Frauen und Lehrlingen ein.« Sie schüttelte über seine Torheit den Kopf.

»Ihr könnt mit dem Lauschen aufhören und hereinkommen, Seonid Traighan«, sagte Edarra plötzlich. Perrin blinzelte überrascht, aber keine der Frauen zuckte mit einer Wimper.

Einen Moment herrschte Schweigen, dann wurde der Zelteingang beiseite geschoben. Seonid trat ein und kniete sich rasch auf die Teppiche. Die vielgerühmte Gelassenheit der Aes Sedai war ihr gründlich vergangen. Ihr Mund war zu einer dünnen Linie zusammengepreßt, die Augen wirkten angespannt, ihr Gesicht war gerötet. Sie roch nach Zorn, Enttäuschung und einem Dutzend weiteren Empfindungen, die sich so rasch vermischten, daß Perrin Mühe hatte, sie zu erkennen. »Darf ich mit ihm sprechen?« fragte Seonid mit gepreßter Stimme.

»Wenn Ihr aufpaßt, was Ihr sagt«, antwortete Edarra. Die Weise Frau trank ihren Wein und verfolgte das Geschehen über den Rand des Bechers hinweg. Ein Lehrer, der einen Schüler beobachtete? Ein Falke, der einer Maus nachstellte? Perrin war sich nicht sicher. Edarra hingegen war sich ihres Platzes sehr sicher, wer auch immer ihr Gegenüber war. Und Seonid ebenfalls. Aber das vermittelte sich ihm nicht.

Seonid wandte sich auf Knien um, sah ihn an und richtete sich dann mit funkelnden Augen gerade auf. Zorn durchzog ihren Geruch. »Was auch immer Ihr wißt«, sagte sie verärgert, »was auch immer Ihr zu wissen glaubt, werdet Ihr vergessen!« Nein, es war kein Funke Gelassenheit mehr in ihr. »Was auch immer zwischen den Weisen Frauen und uns geschieht, ist allein unsere Sache! Ihr werdet Euch heraushalten, den Blick abwenden und schweigen!«

Erstaunt fuhr sich Perrin mit den Fingern durchs Haar. »Licht, seid Ihr aufgebracht, weil ich weiß, daß Ihr geschlagen wurdet?« fragte er ungläubig. Nun, er wäre es auch gewesen, aber nicht noch neben allem anderen. »Wißt Ihr denn nicht, daß diese Frauen Euch sofort die Kehle durchschneiden würden, sobald sie Euch sähen? Euch die Kehle durchschneiden und Euch am Wegesrand liegenlassen? Nun, ich habe mir geschworen, daß ich das nicht zulassen werde! Ich mag Euch nicht, aber ich habe versprochen, Euch vor den Weisen Frauen oder den Asha'man oder Rand selbst zu beschützen, also steigt von Eurem hohen Roß herab!« Als er erkannte, daß er schrie, atmete er verlegen tief durch, lehnte sich auf seinem Kissen zurück, ergriff den Weinbecher und nahm einen kräftigen Schluck.

Seonid erstarrte mit jedem Wort vor Empörung mehr, und sie schürzte die Lippen, noch bevor er geendet hatte. »Ihr habt es versprochen?« höhnte sie. »Ihr denkt, Aes Sedai brauchten Euren Schutz? Ihr...?«

»Das reicht«, sagte Edarra ruhig, und Seonid schloß geräuschvoll den Mund, obwohl sie die Hände so fest in ihren Röcken verkrampfte, daß die Knöchel weiß hervortraten.

»Was veranlaßt Euch, zu glauben, daß wir sie töten würden, Perrin Aybara?« fragte Janina neugierig. Aiel konnte man selten Gefühle vom Gesicht ablesen, aber die anderen sahen ihn stirnrunzelnd oder offen ungläubig an.