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»Ich weiß, wie Ihr empfindet«, erwiderte er zögernd. »Ich weiß es bereits seit den Brunnen von Dumai, als ich sah, wie ihr mit den gefangenen Schwestern umsprangt.« Er würde ihnen nicht verraten, daß er ihren Haß und ihre Verachtung jedesmal riechen konnte, wenn eine Weise Frau eine Aes Sedai ansah. Er roch es jetzt nicht, aber niemand konnte solch großen Zorn lange empfinden, ohne zu zerspringen. Das bedeutete nicht, daß dieser Zorn vergangen war, nur daß er sich sehr tief eingeprägt hatte.

Delora schnaubte, ein Geräusch wie reißendes Leinen. »Zuerst sagt Ihr, sie müßten verhätschelt werden, weil Ihr sie braucht, und jetzt sagt Ihr, es wäre nötig, weil sie Aes Sedai sind und Ihr versprochen habt, sie zu beschützen. Was ist die Wahrheit, Perrin Aybara?«

»Beides.« Perrin erwiderte Deloras strengen Blick lange Zeit und sah dann nacheinander auch die anderen an. »Beides ist wahr, und ich meine beides ernst.«

Die Weisen Frauen wechselten Blicke, bei denen jedes Flackern des Lids hundert Worte bedeutete und kein Mann auch nur eines verstehen konnte. Schließlich schienen sie sich, ihre Halsketten und Stolen zurecht zupfend, einig zu werden.

»Wir töten keine Lehrlinge, Perrin Aybara«, sagte Nevarin. Sie klang bei dem Gedanken entsetzt. »Als Rand al'Thor uns bat, sie auszubilden, dachte er vielleicht, wir täten es nur zu dem Zweck, daß sie uns gehorchen sollten, aber wir machen keine leeren Versprechungen. Sie sind jetzt Lehrlinge.«

»Und das werden sie bleiben, bis fünf Weise Frauen übereinkommen, daß sie bereit sind, mehr zu werden«, fügte Marline hinzu, während sie ihr langes Haar über eine Schulter schwang. »Und sie werden nicht anders behandelt als alle anderen.«

Edarra nickte über ihrem Weinbecher. »Sagt ihm, was Ihr ihm hinsichtlich Masema Dagar raten wolltet, Seonid Traighan«, befahl sie.

Die kniende Frau hatte sich während Nevarins und Marlines kurzen Ansprachen sichtlich gewunden und ihre Röcke so fest umfaßt, daß Perrin dachte, die Seide würde reißen, aber sie verschwendete keine Zeit, Edarras Anweisungen zu entsprechen. »Die Weisen Frauen haben recht, welche Gründe sie auch immer haben. Und ich sage das nicht, weil sie es wollen.« Sie richtete sich erneut auf und bemühte sich angestrengt, ihre Züge zu glätten. Ihre Stimme klang jedoch noch immer leicht zornig. »Ich sah das Werk sogenannter Drachenverschworener, bevor ich Rand al'Thor begegnete. Tod und Zerstörung, ohne jeglichen Nutzen. Selbst ein treuer Hund muß zurechtgewiesen werden, wenn ihm Schaum vor der Schnauze steht.«

»Blut und Asche!« grollte Perrin. »Wie kann ich Euch nach diesen Worten auch nur noch in Sichtweite des Mannes gelangen lassen? Ihr habt Rand Treue geschworen. Ihr wißt, daß es nicht das ist, was er will! Was ist mit dem ›Tausende werden sterben, wenn Ihr versagt‹?« Licht, wenn Masuri genauso empfand, dann mußte er es vergebens mit Aes Sedai und Weisen Frauen aufnehmen! Nein, schlimmer noch. Er würde Masema vor ihnen beschützen müssen!

»Masuri betrachtet Masema ebenso als Fanatiker wie ich«, erwiderte Seonid. Sie hatte ihre Gelassenheit nun vollkommen zurückgewonnen. Sie musterte ihn mit kühlem, unlesbarem Gesicht und roch äußerst wachsam. Aufmerksam. Als brauchte er seine Nase, obwohl ihr Blick doch seinen festhielt, große, dunkle, unergründliche Augen. »Ich habe geschworen, dem Wiedergeborenen Drachen zu dienen, und ich kann ihm jetzt am besten dienen, indem ich dieses Tier von ihm fernhalte. Es ist schon schlimm genug, daß einige Herrscher wissen, daß Masema ihn unterstützt. Aber noch schlimmer wäre, wenn sie ihn den Mann umarmen sehen würden. Und es werden Tausende sterben, wenn Ihr versagt — darin versagt, Masema nahe genug zu kommen, um ihn zu töten.«

Perrin hatte das Gefühl, als drehe sich ihm der Kopf. Wieder ging eine Aes Sedai geschickt mit Worten um und erweckte den Anschein, schwarz zu sagen, wenn sie weiß meinte. Andererseits trugen die Weisen Frauen noch das ihre dazu bei.

»Masuri Sokawa«, sagte Nevarin ruhig, »glaubt, der wütende Hund könnte gefangen und an die Leine gelegt werden, so daß man ihn sicher führen könnte.« Seonid wirkte einen Moment ebenso überrascht, wie Perrin sich fühlte, aber sie fing sich schnell wieder. Zumindest äußerlich. Sie roch vorsichtig, als spüre sie eine Falle, wo sie keine erwartet hatte.

»Außerdem möchte sie Euch an ein Halfter gewöhnen, Perrin Aybara«, fügte Carelle noch beiläufiger hinzu. »Sie glaubt, Ihr müßtet auch gebunden werden, damit Ihr keine Gefahr darstellt.« Nichts in ihrem sommersprossigen Gesicht zeigte, ob sie dem zustimmte.

Edarra hob eine Hand zu Seonid. »Ihr dürft jetzt gehen. Ihr werdet nicht mehr lauschen, statt dessen könnt Ihr Gharadin erneut fragen, ob Ihr die Wunde an seiner Wange heilen dürft. Denkt daran — wenn er sich noch immer weigert, müßt Ihr es akzeptieren. Er ist ein Gai'schain, nicht einer Eurer Feuchtländerdiener.« Sie sprach das letzte Wort mit tiefster Verachtung aus.

Seonid betrachtete Perrin mit eisigem, durchbohrendem Blick. Dann sah sie zu den Weisen Frauen hinüber, und ihre Lippen zitterten, als wollte sie etwas sagen. Letztendlich konnte sie sich jedoch nur so würdevoll wie möglich zurückziehen. Äußerlich war sie, was beachtenswert war, eine Aes Sedai, die eine Königin beschämen könnte. Aber ihr wehte der Geruch äußerster Enttäuschung nach.

Sobald sie fort war, wandten sich die sechs Weisen Frauen erneut Perrin zu.

»Nun«, sagte Edarra, »jetzt könnt Ihr uns erklären, warum Ihr dem Car'a'carn ein wütendes Tier zur Seite stellen würdet.«

»Nur ein Narr gehorcht dem Befehl eines anderen, ihn über eine Klippe zu stoßen«, sagte Nevarin.

»Ihr wollt uns nicht zuhören«, sagte Janina, »also werden wir Euch zuhören. Sprecht, Perrin Aybara.«

Perrin erwog, aus dem Zelt zu flüchten. Aber wenn er das täte, ließe er eine Aes Sedai zurück, die ihm vielleicht noch eine zweifelhafte Hilfe wäre, und eine weitere, die, wie auch die sechs Weisen Frauen, darauf erpicht war, alles zu zerstören, was er erreicht hatte. Er stellte seinen Weinbecher ab und legte die Hände auf die Knie. Er brauchte einen klaren Kopf, wenn er diesen Frauen zeigen wollte, daß er keine angepflockte Ziege war.

10

Veränderungen

Als Perrin das Zelt der Weisen Frauen verließ, erwog er, seine Jacke auszuziehen, um nachzusehen, ob seine Haut noch heil war. Er war vielleicht keine zahme Ziege, eher jedoch ein Hirsch mit sechs Wolfsweibchen auf den Fersen, und er war sich nicht sicher, was ihm Schnelligkeit eingebracht hatte. Gewiß hatte keine der Weisen Frauen ihre Meinung geändert, und ihre Versprechungen, nichts auf eigene Faust zu unternehmen, waren bestenfalls unbestimmt gewesen. Bezüglich der Aes Sedai hatte es gar keine Zusagen gegeben, nicht einmal andeutungsweise.

Er hielt nach einer der Schwestern Ausschau und entdeckte Masuri. Ein dünnes Seil war zwischen zwei Bäumen gespannt und ein mit roten und grünen Fransen versehener Teppich darüber gebreitet worden. Die schlanke Braune klopfte ihn mit einem gebogenen Holzklopfer aus, ließ Staubwolken aufsteigen, die in der späten Morgensonne glitzerten. Ihr Behüter, ein gedrungener Mann mit dunklem, zurückweichendem Haar, saß in der Nähe auf einem umgestürzten Baumstamm und beobachtete sie verdrießlich. Rovair Kirklin war normalerweise sehr freundlich, aber heute war sein Lächeln tief verborgen. Masuri erblickte Perrin und warf ihm, fast ohne in ihrer Arbeit innezuhalten, einen dermaßen frostigen und feindseligen Blick zu, daß er seufzte. Dabei war sie diejenige, die wie er dachte. Jedenfalls annähernd wie er. Ein Falke mit roten Schwanzfedern schwebte über sie hinweg, ließ sich von aufsteigenden Strömen heißer Luft von Hügel zu Hügel tragen, ohne mit den ausgebreiteten Schwingen zu schlagen. Es wäre wundervoll, vor allem davonfliegen zu können. Vor den Beschwernissen vor ihm, nicht vor den Träumen.