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«Wird wohl noch so eine Laus sein, die entwischt ist«, sage ich,»wir hatten ja so viele, das dauert mindestens eine Woche, bis man sie alle los ist…«

Erschreckt tritt sie zurück.»Keine Angst«, beruhige ich sie,»die kann nicht springen. Läuse sind keine Flöhe.«

«Um Gottes willen!«Sie legt den Finger an den Mund und zieht ein Gesicht, als hätte ich wer weiß was für eine Schweinerei gesagt. Aber so sind sie: Helden sollen wir sein, doch von Läusen wollen sie nichts wissen.

Ich muß einer Anzahl Leuten die Hand geben und fange an zu schwitzen. Die Menschen hier sind so ganz anders als wir draußen. Ich komme mir schwerfällig wie ein Tank dagegen vor. Sie benehmen sich, als säßen sie in einem Schaufenster, und sie reden, als wären sie auf dem Theater. Vorsichtig versuche ich, meine Hände zu verstecken, denn der Grabendreck sitzt noch wie Gift darin eingefressen. Verstohlen wische ich sie an der Hose ab; trotzdem sind sie immer gerade dann feucht, wenn ich sie einer Dame reichen muß.

Ich drücke mich herum und gerate in eine Gruppe, in der ein Rechnungsrat das große Wort führt.»Stellen Sie sich vor«, ereifert er sich,»ein Sattler! Ein Sattler als Reichspräsident! Malen Sie sich das mal aus: ein Gala-Empfang bei Hofe und ein Sattler, der Audienzen erteilt. Zum Piepen!«

Er muß husten vor Aufregung.»Was sagen Sie dazu, junger Krieger!«ruft er und patscht mir auf die Schulter.

Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Verlegen zucke ich die Achseln.»Vielleicht versteht er was…«

Der Rechnungsrat starrt mich einen Moment an. Dann schüttelt er sich vor Vergnügen.»Sehr gut«, kräht er,»vielleicht versteht er was! Nein, mein Lieber, so was ist angeboren! Ein Sattler! Warum denn nicht gleich ein Schneider oder ein Schuster?«

Er wendet sich wieder zu den ändern. Ich ärgere mich über sein Gerede; denn es geht mir gegen den Strich, daß er über die Schuster so wegwerfend spricht. Die sind ebensogut Soldaten gewesen wie die besseren Leute. Adolf Bethke war auch ein Schuster, und er verstand von Kriegen mehr als mancher Major. Bei uns kam es nur auf den Mann an und nicht auf den Beruf. Mißtrauisch mustere ich den Rechnungsrat. Er wirft jetzt mit Zitaten um sich, und es mag sein, daß er die Bildung mit Löffeln gefressen hat; aber wenn es darauf ankäme, daß mich jemand aus dem Feuer holen müßte, würde ich mich lieber auf Adolf Bethke verlassen.

Ich bin froh, als wir endlich am Tisch sitzen. Neben mir habe ich ein junges Mädchen mit einer Schwanenboa um den Hals. Sie gefällt mir gut, aber ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Als Soldat hat man wenig gesprochen, und schon gar nicht zu Damen. Die ändern unterhalten sich lebhaft. Ich versuche, zuzuhören, um etwas zu profitieren.

Oben am Tisch sitzt der Rechnungsrat, der gerade erklärt, wenn wir zwei Monate länger ausgehalten hätten, wäre der Krieg gewonnen gewesen. Mir wird fast schlecht bei dem Quatsch, denn jeder Soldat weiß, daß wir einfach keine Munition und keine Leute mehr hatten. Ihm gegenüber erzählt eine Dame von ihrem gefallenen Mann, und sie macht sich so wichtig dabei, als wäre sie gefallen und nicht er. Weiter unten wird von Aktien und Friedensbedingungen geredet, und alle wissen es natürlich besser, als die Leute, die damit wirklich zu tun haben. Ein Mann mit einer Hakennase erzählt mit so scheinheiligem Mitleid über die Frau seines Freundes eine Geschichte, daß man ihm für seine schlecht verborgene Schadenfreude ein Glas in den Schnabel werfen sollte.

Mir wird ganz dumm im Kopf über dem Gerede, und ich kann bald überhaupt nicht mehr richtig folgen. Das Mädchen mit der Schwanenboa fragt mich spöttisch, ob ich im Felde stumm geworden sei.»Nee«, antworte ich und denke: Kosole und Tjaden müßten hier dazwischen sitzen, die würden schön lachen über den Salm, den ihr verzapft und auf den ihr noch stolz seid. Aber es wurmt mich doch etwas, daß ich nicht mit einer guten Bemerkung mal zeigen kann, was ich denke.

Gottlob erscheinen in diesem Moment knusperige Koteletts auf dem Tisch. Ich schnuppere. Es sind echte Schweinskoteletts, in richtigem Fett gebraten. Ihr Anblick läßt mich alles verschmerzen. Ich lange mir ein gutes Stück herüber und fange voll Genuß an zu kauen. Es schmeckt großartig. Endlos lange ist es her, daß ich frische Koteletts gegessen habe. In Flandern war das zum letztenmal — da hatten wir zwei Ferkel gefangen —, wir fraßen sie an einem wunderbar milden Sommerabend bis zum Gerippe auf — damals lebte Katczinsky noch, ach Kat, und Haie Westhus, das waren andere Kerle, als die hier in der Heimat — ich stütze die Arme auf und vergesse alles um mich herum, so nahe sehe ich sie vor mir. Die Tiere waren sehr zart — Kartoffelpuffer hatten wir dazu gebacken — und Leer war dabei und Paul Bäumer — ja, Paul — ich höre und sehe nichts mehr, ich verliere mich ganz in Erinnerungen…

Ein Kichern weckt mich. Am Tisch ist es still geworden. Tante Lina sieht aus wie eine Flasche Schwefelsäure. Das Mädchen neben mir unterdrückt ein Lachen. Alle sehen zu mir hin.

Der Schweiß bricht mir auf einmal aus. Da sitze ich, wie damals in Flandern, selbstvergessen, die Ellenbogen aufgestemmt, den Knochen in der Pfote, die Finger voll Fett, und knabbere den Kotelettrest ab — die ändern aber essen sauber mit Messer und Gabel.

Blutrot starre ich vor mich hin und lege den Knochen fort. Wie konnte ich mich nur so vergessen? Doch ich bin es ja gar nicht anders gewöhnt: im Felde haben wir immer so gegessen, da hatten wir höchstens einen Löffel oder eine Gabel, aber nie einen Teller.

In meine Beschämung mischt sich plötzlich Wut. Wut auf diesen Onkel Karl, der betont laut anfängt, über Kriegsanleihe zu reden; Wut auf alle diese Leute, die sich so wichtig gebärden mit ihren klugen Worten; Wut auf diese ganze Welt hier, die so selbstverständlich mit ihrem Kleinkram dahinlebt, als wären die ungeheuren Jahre niemals gewesen, in denen es doch nur eins gab: Tod oder Leben und nichts sonst.

Schweigend und bockig stopfe ich in mich hinein, was ich fassen kann, wenigstens gründlich satt werden will ich. Sobald es geht, drücke ich mich dann hinaus.

In der Garderobe steht der Diener im Frack. Ich greife nach meinen Sachen und fauche:»Dich hätten wir auch im Felde haben müssen, du lackierter Affe! Dich und die ganze Bande hier!«Dann knalle ich die Tür zu.

Wolf hat vor dem Hause auf mich gewartet. Er springt an mir hoch.»Komm Wolf«, sage ich, und plötzlich wird mir bewußt, daß es nicht das Pech mit dem Kotelett war, das mich so erbittert gemacht hat, sondern daß es dieser abgestandene, selbstgefällige Geist von früher ist, der sich hier immer noch bläht und wichtig tut.»Komm, Wolf«, wiederhole ich,»das sind keine Leute für uns! Mit jedem Tommy, mit jedem französischen Grabenschwein würden wir uns besser verstehen. Komm, wir gehen zu unseren Kameraden! Da ist es besser, wenn sie auch mit den Händen fressen und rülpsen! Komm!«

Wir laufen los, der Hund und ich, wir rennen, was wir können, schneller und schneller, keuchend, bellend, wir rennen wie die Verrückten mit funkelnden Augen — mag alles zum Satan gehen, wir leben, was Wolf, wir leben!

V

Ludwig Breyer, Albert Troßke und ich sind auf dem Wege zur Schule. Der Unterricht soll wieder beginnen. Wir waren Schüler des Lehrerseminars, und für uns hat es kein Notexamen gegeben. Die Kriegsteilnehmer des Gymnasiums haben es besser gehabt. Viele von ihnen konnten eine Notprüfung machen, entweder bevor sie Soldaten wurden oder während ihres Urlaubs. Der Rest, der das nicht getan hat, muß allerdings auch wieder in die Klassen zurück. Karl Bröger gehört dazu.

Wir kommen am Dom vorbei. Die grünen Kupferplatten der Türme sind abgedeckt und durch graue Dachpappe ersetzt worden. Sie sehen schimmelig und zerfressen aus, und die Kirche wirkt dadurch fast wie eine Fabrik. Die Kupferplatten sind zu Granaten eingeschmolzen worden.

«Das hätte sich der liebe Gott auch nicht träumen lassen«, sagt Albert.