Выбрать главу

In diesem Augenblick ertönt ein kurzes, brüllendes Gelächter. Der Direktor hält peinlich betroffen inne. Das Gelächter geht von Willy aus, der klotzig wie ein Kleiderschrank dasteht. Sein Gesicht ist puterrot, so wütend ist er.

«Grüner Rasen — grüner Rasen — «, stottert er,»ewiger Schlaf? Im Trichterdreck liegen sie, kaputtgeschossen, zerrissen, im Sumpf versackt —. Grüner Rasen! Wir sind hier doch nicht in der Gesangstunde!«Er fuchtelt mit den Armen wie eine Windmühle im Sturm.»Heldentod! Wie ihr euch das vorstellt! Wollen Sie wissen, wie der kleine Hoyer gestorben ist? Den ganzen Tag hat er im Drahtverhau gelegen und geschrien, und die Därme hingen ihm wie Makkaroni aus dem Bauch. Dann hat ihm ein Sprengstück die Finger weggerissen und zwei Stunden später einen Fetzen vom Bein, und er hat immer doch gelebt und versucht, sich mit der anderen Hand die Därme reinzustopfen, und schließlich abends war er fertig. Als wir dann herankonnten, nachts, war er durchlöchert wie ein Reibeisen. Erzählen Sie doch seiner Mutter, wie er gestorben ist, wenn Sie Courage haben!«

Der Direktor ist bleich geworden. Er schwankt, ob er Disziplin wahren oder begütigen soll. Aber er kommt weder zum einen noch zum ändern.

«Herr Direktor«, fängt Albert Troßke an,»wir sind hier nicht, um von Ihnen zu hören, daß wir unsere Sache gut gemacht haben, trotzdem wir leider nicht siegen konnten. Darauf scheißen wir. —«

Der Direktor zuckt zusammen, mit ihm das ganze Kollegium, die Aula wankt, die Orgel bebt.»Ich muß doch bitten, wenigstens im Ausdruck…«, versucht er entrüstet.

«Scheiße, Scheiße und nochmals Scheiße!«wiederholt Albert,»das war jahrelang unser drittes Wort, damit Sie es endlich einmal wissen! Wenn es uns draußen so dreckig ging, das wir Ihren ganzen Quatsch schon längst vergessen hatten, haben wir die Zähne zusammengebissen und Scheiße gesagt, und dann ging es wieder. Sie scheinen ja gar nicht zu ahnen, was los ist! Hier kommen keine braven Zöglinge, hier kommen keine lieben Schüler, hier kommen Soldaten!«

«Aber meine Herren«, ruft der Alte fast flehentlich,»ein Mißverständnis — ein peinliches Mißverständnis…«

Er kann nicht zu Ende reden. Er wird unterbrochen von Helmut Rei- nersmann, der an der Yser seinen verwundeten Bruder im schwersten Feuer zurückholte und ihn tot am Verbandsplatz abladen mußte.

«Gefallen«, sagt er wild,»gefallen sind die nicht, damit Reden darüber gehalten werden. Das sind unsere Kameraden, fertig, und wir wollen nicht, daß darüber gequatscht wird!«

Ein mächtiges Durcheinander entsteht. Der Direktor steht entsetzt und völlig hilflos da. Das Lehrerkollegium gleicht einer Schar aufgescheuchter Hühner. Nur zwei Lehrer sind ruhig. Sie waren Soldaten.

Der Alte versucht, uns auf jeden Fall zu besänftigen. Wir sind zu viele, und Willy steht zu mächtig trompetend vor ihm. Wer weiß auch, was von diesen verwilderten Kerlen noch zu erwarten ist, vielleicht ziehen sie in der nächsten Minute sogar noch Handgranaten aus den Taschen. Er wedelt mit seinen Armen, wie ein Erzengel mit den Flügeln. Aber niemand hört auf ihn.

Doch auf einmal ebbt der Tumult ab. Ludwig Breyer ist vorgetreten.

Es wird ruhig.»Herr Direktor«, sagt Ludwig mit seiner klaren Stimme.»Sie haben den Krieg auf Ihre Weise gesehen. Mit fliegenden Fahnen, mit Begeisterung und Marschmusik. Aber Sie haben ihn nur bis zum Bahnhof gesehen, von dem wir abfuhren. Wir wollen Sie deshalb nicht tadeln. Wir alle haben ja ebenso gedacht wie Sie. Aber inzwischen haben wir die andere Seite kennengelernt. Das Pathos von 1914 zerstob davor bald zu nichts. Wir haben trotzdem durchgehalten, denn etwas Tieferes hielt uns zusammen, etwas, das erst draußen entstanden ist, eine Verantwortung, von der Sie nichts wissen, und über die man nicht reden kann.«

Ludwig sieht einen Augenblick vor sich hin. Dann streicht er sich über die Stirn und spricht weiter.»Wir verlangen keine Rechenschaft von Ihnen — das wäre töricht, denn niemand hat gewußt, was kam. Aber wir verlangen von Ihnen, daß Sie uns nicht wieder vorschreiben, wie wir über diese Dinge denken sollen. Wir sind begeistert ausgezogen, das Wort Vaterland auf den Lippen — und wir sind still heimgekehrt, den Begriff Vaterland im Herzen. Darum bitten wir Sie jetzt, zu schweigen. Lassen Sie die großen Worte. Sie passen nicht mehr für uns. Sie passen auch nicht für unsere toten Kameraden. Wir haben sie sterben sehen. Die Erinnerung daran ist noch so nahe, daß wir es nicht ertragen können, wenn über sie so gesprochen wird, wie Sie es tun. Sie sind für mehr gestorben als dafür.«

Es ist ganz still geworden. Der Direktor preßt die Hände zusammen.»Aber Breyer«, sagt er leise,»so war es doch nicht gemeint. —«

Ludwig schweigt.

Nach einer Weile fährt der Direktor fort.»Dann sagen Sie mir doch selbst, was Sie wollen.«

Wir sehen uns an. Was wir wollen? Ja, wenn das so einfach in einem Satz zu sagen wäre. Ein starkes Gefühl brodelt unklar in uns — aber gleich Worte? Worte haben wir dafür noch nicht. Vielleicht werden wir sie später einmal haben!

Nach einem Augenblick des Schweigens jedoch drängt Westerholt sich durch und pflanzt sich vor dem Direktor auf.»Sprechen wir über das Praktische«, sagt er,»das ist jetzt am nötigsten. Wie haben Sie sich das mit uns gedacht? Hier stehen siebzig Soldaten, die wieder auf die Schulbänke zurück sollen. Ich sage Ihnen gleich: wir wissen fast nichts mehr von Ihrem Lehrstoff, aber wir haben auch keine Lust, noch lange hier zu sitzen.«

Der Direktor faßt sich. Er erklärt, daß über diese Dinge noch keine Anweisung von der Behörde vorliege. Einstweilen müßten wir uns deshalb wohl auf die Klassen verteilen, aus denen wir fortgegangen seien. Später würde man dann ja sehen, was zu machen wäre.

Gemurmel und Gelächter antworten ihm.

«Das glauben Sie doch wohl selber nicht«, sagt Willy ärgerlich,»daß wir uns zu Kindern, die nicht Soldaten waren, auf die Bank setzen und brav die Finger hochhalten, wenn wir was wissen. Wir bleiben zusammen.«

Jetzt erst sehen wir richtig, wie komisch das alles hier ist. Jahrelang durften wir schießen, stechen und töten — aber nun soll es wichtig sein, ob wir aus der zweiten oder dritten Klasse dazu aufgebrochen sind. Der eine konnte schon mit zwei, der andere erst mit einer Unbekannten rechnen. Das sind Unterschiede, die hier gelten.

Der Direktor verspricht, einen Antrag zu stellen, um Sonderkurse für die Soldaten zu erwirken.

«Darauf können wir nicht warten«, sagt Albert Troßke kurz.»Es ist besser, wir machen die Sache selbst.«

Der Direktor erwidert nichts; schweigend geht er zur Tür.

Die Lehrer folgen. Wir trampeln ebenfalls hinaus. Vorher jedoch nimmt Willy, dem die Sache zu still abgegangen ist, die beiden Topfgewächse vom Rednerpult und schmettert sie auf den Boden.»Das Gemüse habe ich sowieso nie leiden können«, sagt er grimmig. Den Lorbeerkranz stülpt er Westerholt auf den Schädel.»Koch dir Suppe daraus!«

Die Zigarren und Pfeifen qualmen. Wir sitzen mit den Kriegsteilnehmern des Gymnasiums zusammen und beraten. Über hundert Soldaten, achtzehn Leutnants, dreißig Feldwebel und Unteroffiziere. Westerholt hat ein Heft der alten Schulordnung mitgebracht und liest laut daraus vor. Er kommt nur langsam weiter, weil nach jedem Absatz ein Gelächter ausbricht. Wir können nicht verstehen, daß das einmal für uns gegolten hat.

Westerholt macht sich besonders darüber lustig, daß wir vor dem Krieg ohne Erlaubnis der Klassenlehrer nach sieben Uhr abends nicht mehr auf der Straße sein durften. Aber Willy dämpft ihn.»Sei du ruhig, Alwin«, ruft er ihm zu,»du hast deinen Klassenlehrer mehr blamiert als jeder andere. Wirst gefallen gemeldet, kriegst eine Gedenkrede des gerührten Direktors, wirst darin als Held und Musterschüler gefeiert und hast die Unverschämtheit, nach all dem noch lebendig zurückzukommen! Der Alte ist jetzt in schöner Verlegenheit. Er muß nun alles zurücknehmen, was er dir als Leiche zugestanden hat — denn in Algebra und Aufsatz bist du bestimmt noch ebenso schlecht wie früher.«