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«Ist denn was passiert?«fragt er weiter und hat immer noch alle Sachen in der Hand.

Da geht die Heulerei auch schon los, sie liegt mit dem Kopf auf der Tischplatte, warum soll er es nicht gleich erfahren, die ändern werden es ihm doch schon sagen, sie hat mit jemand etwas gehabt, es ist über sie gekommen, sie wollte gar nicht und hat immer bloß an ihn gedacht, und nun soll er sie eben totschlagen.

Adolf steht und steht und merkt schließlich, daß er den Affen immer noch auf dem Rücken hat. Er schnallt ihn ab, er packt aus, er zittert, er denkt immerfort: kann doch nicht wahr sein, kann doch nicht wahr sein — und packt weiter aus, nur nicht ruhig sein jetzt; die Seide knistert in seiner Hand, er hält sie hin,»das wollt ich dir mitbringen«, und denkt immerfort: kann doch nicht wahr sein, das kann doch nicht… Er hält hilflos die rote Seide hin, und noch ist nichts in seinem Schädel drin von alledem.

Sie aber weint und will nichts wissen. Er setzt sich nieder und denkt nach und hat plötzlich furchtbaren Hunger. Da stehen Äpfel von den Bäumen draußen, schöne Haferäpfel, er nimmt sie und ißt, denn er muß was tun. Dann aber werden die Hände schlaff und er begreift es. Eine rasende Wut kocht in ihm hoch, er will was kaputtschlagen und läuft hinaus, um den Kerl zu suchen.

Er findet ihn nicht. Da geht er in die Kneipe. Man begrüßt ihn dort; aber alles ist wie auf Eiern, sie sehen an ihm vorbei und sind vorsichtig im Sprechen, sie wissen es also schon. Er tut zwar so, als ob nichts sei, aber wer hält das aus; er gießt das Zeug hinunter und geht, als einer fragt:»Warst du schon zu Hause?«— und Stille ist hinter ihm, als er die Schankstube verläßt. Er rennt herum, und es wird spät darüber. Dann steht er wieder vor seinem Hause. Was soll er tun, er geht hinein. Die Lampe brennt, Kaffee steht auf dem Tisch, Bratkartoffeln sind in der Pfanne auf dem Herd. Es schlägt ihn schmerzlich nieder, wie schön wäre das, wenn es richtig wäre, sogar ein weißes Tuch liegt auf dem Tisch. Aber so ist es nur schlimmer.

Die Frau ist da und weint nicht mehr. Als er sitzt, gießt sie Kaffee ein und stellt die Kartoffeln und die Wurst auf den Tisch. Doch für sich selbst stellt sie keinen Teller hin.

Er sieht sie an. Sie ist blaß und schmal. Alles kommt wieder hoch in einer sinnlosen Traurigkeit. Er will nichts mehr davon wissen, er will sich einschließen und sich aufs Bett legen und zu Stein werden. Der Kaffee dampft, er schiebt ihn zurück, die Pfanne auch. Die Frau erschrickt. Sie weiß, was kommt.

Adolf steht nicht auf, das kann er nicht, er schüttelt nur den Kopf und sagt:»Geh weg, Marie.«

Sie erwidert kein Wort, sie nimmt ihr Umschlagetuch um die Schulter, schiebt noch einmal die Pfanne vor, zu ihm hin, sagt mit zaghafter Stimme:»Iß doch wenigstens, Adolf — «und geht dann. Sie geht, sie geht, mit ihrem leisen Schritt, lautlos, die Tür schließt sich, draußen blafft der Ilund, der Wind saust um die Fenster. Bethke ist allein.

Und dann die Nacht.

Ein paar Tage so allein im Hause zehren an einem Mann, der aus dem Graben kommt.

Adolf versucht den Kerl zu schnappen, um ihn zum Krüppel zu schlagen; aber der hat rechtzeitig was gemerkt und sich dünne gemacht. Adolf lauert auf ihn und sucht ihn überall — doch kann er ihn nicht kriegen, und das wirft ihn ganz um.

Dann erscheinen die Schwiegereltern und reden, er solle es sich doch überlegen, die Frau wäre schon längst wieder vernünftig, vier Jahre allein seien auch keine Kleinigkeit, der Kerl habe schuld, und es wären im Kriege noch ganz andere Dinge passiert. —

«Was soll man bloß machen, Ernst?«Adolf sieht auf.

«Verdammt noch mal«, sage ich,»so eine Scheiße.«

«Dazu kommst du nun nach Hause, Ernst!«

Ich schenke ein, und wir trinken. Da wir keine Zigarren für Adolf mehr im Hause haben und er nicht in die Wirtschaft will, gehe ich, um welche zu holen. Adolf ist ein starker Raucher, und es wird leichter für ihn sein, wenn er Zigarren hat. Ich nehme darum gleich eine ganze Kiste» Waldfrieden «mit, dicke braune Stumpen, die den richtigen Namen haben. Sie sind aus reinem Buchenlaub, aber immer noch besser als nichts.

Als ich zurückkehre, ist jemand da, und ich sehe sofort, daß es die Frau ist. Sie hält sich gerade, doch ihre Schultern sind weich. Es ist etwas Ergreifendes, der Nacken einer Frau, immer haben sie etwas von Kindern, und man kann ihnen wohl nie ganz böse sein. Abgesehen natürlich von den Dicken, die ein Speckgenick haben.

Ich sage guten Tag und setze die Mütze ab. Die Frau antwortet nicht. Die Zigarren stelle ich vor Adolf hin, er nimmt aber keine. Die Uhr tickt. Vor dem Fenster wirbeln die Blätter der Kastanien, manchmal raschelt eins gegen die Scheibe, und der Wind preßt es dagegen. Die fünf braunen, erdigen Blätter, an einem Stiel vereinigt, drohen dann wie ausgestrcckte, greifende Hände von draußen in das Zimmer herein, braune Totenhände des Herbstes. Endlich rührt Adolf sich und sagt mit einer Stimme, die ich nicht an ihm kenne:»Nun geh doch, Marie.«

Sie erhebt sich gehorsam wie ein Schulkind, sieht vor sich hin und geht. Der weiche Nacken, die schmalen Schultern, wie ist das alles nur möglich?

«So kommt sic jeden Tag und sitzt da und sagt nichts und wartet und sieht mich an«, sagt Adolf gramvoll. Ich habe Mitleid mit ihm, aber jetzt habe ich auch Mitleid mit der Frau.»Fahr mit in die Stadt, Adolf, hat keinen Zweck, daß du hier hockst«, schlage ich vor. Er will nicht. Draußen schlägt der Hund an. Die Frau geht jetzt durch die Gartentür, zurück zu ihren Eltern.

«Will sie denn wieder hierher?«frage ich. Er nickt. Ich frage nicht weiter. Das muß er selbst abmachen.»Solltest doch mitkommen«, versuche ich noch mal.

«Später, Ernst.«

«Steck dir wenigstens eine Zigarre an. «Ich schiebe ihm die Kiste hin und warte ab, bis er eine nimmt. Dann gebe ich ihm die Hand.»Ich besuche dich wieder, Adolf.«

Er bringt mich an die Hoftür. Ich winke nach einiger Zeit zurück. Er steht immer noch am Gitter, und hinter ihm ist wieder das Dunkel des Abends, wie damals, als er ausstieg und von uns ging. Er hätte bei uns bleiben sollen. Jetzt ist er allein und unglücklich, und wir können ihm nicht helfen, so gern wir es auch täten. Ach, im Felde war das einfacher — wenn man da nur lebte, war alles schon gut.

II

Ich liege auf dem Sofa, die Beine lang ausgestreckt, den Kopf auf der Lehne und die Augen geschlossen. Im Halbschlaf gehen mir die Gedanken wunderlich durcheinander. Das Bewußtsein verschwimmt zwischen Wachen und Traum, und wie ein Schatten läuft die Müdigkeit durch meinen Schädel. Hinter ihr weht undeutlich ferner Geschützlärm heran, leise pfeifen Granaten, und blechern kommt das Läuten von Gongs näher, die einen Gasangriff melden — aber ehe ich nach meiner Maske tasten kann, weicht die Dunkelheit lautlos zurück, die Erde, an die ich mich gepreßt habe, zerfließt vor einem warmen, helleren Gefühl, sie wird wieder zum Plüschbezug des Sofas, der sich gegen meine Wange drückt, unklar und tief spüre ich: zu Hause — und das Gasläuten der Gräben zerschmilzt im gedämpften Klappern des Geschirrs, das meine Mutter vorsichtig auf den Tisch stellt.

Dann huscht die Dunkelheit erneut näher und mit ihr das Murren der Artillerie. Nur weit her, als kämen sie über Wälder und Meere, höre ich Worte hineintropfen, die sich erst allmählich zu einem Sinn fügen und zu mir Vordringen.»Die Wurst ist von Onkel Karl«, sagt meine Mutter in das leise Grollen der Geschütze hinein.

Die Worte erreichen mich gerade noch am Rande des Trichters, in den ich niedergleite. Mit ihnen huscht ein sattes, selbstbewußtes Gesicht vorbei.»Ach der«, sage ich ärgerlich, und meine Stimme klingt, als hätte ich Watte im Munde, so wogt die Müdigkeit weiter um mich herum,»dies — dämliche — Arschloch«—. Dann falle ich, falle, falle, und die Schatten springen zu mir herein und überfluten mich in langen Wellen, dunkler und dunkler. —