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Er erzählt das alles ganz richtig und nacheinander.»Jede Nacht kommt es wieder, ich ersticke dann, und das Zimmer ist voll von schmierigen, weißen Schlangen und Blut.«

«Aber, wenn du es doch weißt, kannst du denn nicht dagegen an- gehen?«fragt Albert.

Giesecke schüttelt den Kopf.»Es nützt nichts, auch wenn ich wach bin. Sie sind da, sowie es dunkel wird. «Er fröstelt.»Zu Hause bin ich aus dem Fenster gesprungen und habe mir ein Bein gebrochen. Da haben sie mich hierher gebracht.«

«Was macht ihr denn?«fragt er nach einer Weile,»habt ihr schon Examen gemacht?«

«Bald«, sagt Ludwig.

«Wird bei mir wohl nichts mehr werden«, meint Giesecke trübe,»so einen lassen sie nicht an Kinder ran.«

Der Mann, der vorhin» Deckung!«gerufen hat, schleicht sich hinter Albert und stupst ihn in den Nacken. Albert fährt auf, besinnt sich jedoch.»K. v.!«kichert der Mann,»K. v!«Er kreischt vor Lachen, aber plötzlich wird er ernst und geht still in eine Ecke.

«Könnt ihr nicht mal an den Major schreiben?«fragt Giesecke.»Welchen Major?«sage ich verwundert. Ludwig stößt mich an.»Was sollen wir ihm denn schreiben?«fahre ich rasch fort.

«Er soll mich einmal wieder nach Fleury lassen«, antwortet Giesecke erregt,»das würde mir helfen, ganz bestimmt. Da ist es jetzt sicher ganz still, und ich kenne es doch nur, wie alles hochflog. Ich würde dann durch die Totenschlucht bei Kalte Erde vorbei nach Fleury gehen, kein Schuß würde fallen, und alles wäre vorbei. Dann müßte ich doch auch Ruhe kriegen, meint ihr nicht auch?«

«Es wird auch so Vorbeigehen«, sagt Ludwig und legt Giesecke die Hand auf den Arm,»du mußt es dir nur ganz richtig klarmachen. «Giesecke sieht traurig vor sich hin.»Schreibt doch dem Major. Gerhard Giesecke heiße ich, mit ck. «Seine Augen sind stur und blind.»Könnt ihr mir nicht etwas Apfelmus mitbringen? Ich möchte so gern mal wieder Apfelmus essen.«

Wir versprechen ihm alles, aber er hört uns schon gar nicht mehr, so teilnahmslos ist er mit einmal geworden. Als wir gehen, steht er auf und macht vor Ludwig eine Ehrenbezeigung. Dann hockt er sich mit abwesenden Augen an den Tisch.

An der Tür sehe ich noch einmal zu ihm hinüber. Er springt plötzlich auf, als erwache er, und läuft hinter uns her.»Nehmt mich mit«, sagt er mit einer hohen, seltsamen Stimme,»sie kommen schon wieder. «Er drückt sich furchtsam an uns. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Da tritt der Arzt herein, sieht uns und nimmt Giesecke vorsichtig um die Schulter.»Wir wollen in den Garten gehen«, sagt er ruhig zu ihm, und Giesecke läßt sich folgsam wegführen.

Draußen liegt die Abendsonne über den Feldern. Aus dem vergitterten Fenster klingt noch immer das Singen —»doch die Burgen — sind zerfallen — Wolken ziehen — drüber hin. «

Schweigend gehen wir nebeneinander her. Die Furchen der Äcker schimmern. Schmal und blaß hängt die Mondsichel zwischen den Ästen der Bäume.

«Ich glaube«, sagt Ludwig nach einer Weile,»etwas haben wir alle davon. —«

Ich blicke ihn an. Sein Gesicht ist vom Abendrot beschienen. Er ist ernst und nachdenklich. Ich will ihm antworten, aber plötzlich zittert mir ein leichter Schauer über die Haut — ich weiß nicht woher und warum.

«Man sollte gar nicht mehr darüber reden«, sagt Albert.

Wir gehen weiter. Das Abendrot verblaßt, und die Dämmerung beginnt. Die Mondsichel wird stärker. Der Nachtwind hebt sich von den Feldern, und in den Häusern werden die ersten Fenster hell. Wir kommen in die Stadt.

Georg Rahe hat den ganzen Weg über nicht gesprochen. Erst als wir stehenbleiben, um uns zu verabschieden, scheint er aus seinen Gedanken zu erwachen.»Habt ihr gehört, was er wollte?«fragt er —»Nach Fleury — zurück nach Fleury. —«

Ich mag noch nicht nach Hause gehen. Albert auch nicht. Wir wandern langsam die Wälle entlang. Unten rauscht der Fluß. An der Mühle bleiben wir stehen und lehnen uns über das Geländer der Brücke.

«Komisch, daß man nie allein sein mag, Ernst, was?«sagt Albert.»Ja«, sage ich,»man weiß gar nicht recht, wo man hingehört.«

Er nickt.»Das ist es. Aber man muß doch irgendwo hingehören.«»Wenn wir erst einen Beruf haben«, sage ich.

Er wehrt ab.»Das ist auch nichts. Man müßte etwas Lebendiges haben, Ernst. Einen Menschen, weißt du. —«

«Ach, ein Mensch«, erwidere ich,»das ist die wackeligste Sache der Welt. Wie leicht der hops gehen kann, haben wir doch oft genug gesehen. Da mußt du schon zehn, zwölfe haben, damit immer noch welche bleiben, wenn die ändern eins vor den Schädel kriegen. «Albert betrachtet aufmerksam die Silhouette des Doms.»So meine ich das nicht«, sagt er.»Ich meine: einen Menschen, der richtig zu einem gehört. Manchmal denke ich: eine Frau. —«

«Großer Gott«, rufe ich, denn ich muß an Bethke denken.

«Quatsch nicht«, fährt Albert mich plötzlich an,»man muß doch etwas haben, woran man sich halten kann, verstehst du denn das nicht? Ich will, daß mich jemand lieb hat, dann hält er mich, und ich halte ihn! Sonst kann man sich ja aufhängen!«Er zittert und dreht mir den Rücken zu.

«Aber Albert«, sage ich leise,»hast du denn nicht uns?«

«Ja, ja, aber das ist doch ganz was anderes — «, und nach einer Weile flüstert er:»Kinder müßte man haben — Kinder, die von nichts etwas wissen. —«

Ich verstehe nicht genau, was er meint. Aber ich mag ihn auch nicht mehr fragen.

Vierter Teil

I

Wir haben uns alles anders vorgestellt. Wir haben geglaubt, mit gewaltigem Akkord würde ein starkes intensives Dasein einsetzen, eine volle Heiterkeit des wiedergewonnenen Lebens: so wollten wir beginnen. Aber die Tage und Wochen zerflattem unter unseren Händen, wir verbringen sie mit belanglosen, oberflächlichen Dingen, und wenn wir uns umsehen, ist nichts getan. Wir waren gewohnt, kurzfristig zu denken und zu handeln — eine Minute später konnte immer alles aus sein. Deshalb geht uns jetzt das Dasein zu langsam, wir springen es an, aber ehe es zu sprechen und zu klingen beginnt, haben wir schon wieder davon abgelassen. Wir hatten zu lange den Tod als Genossen; der war ein schneller Spieler, und es ging jede Sekunde um den höchsten Einsatz. Das hat uns etwas Sprunghaftes, Hastiges, auf den Augenblick Bedachtes gegeben, das uns jetzt leer macht, weil es hierher nicht mehr paßt. Und diese Leere macht uns unruhig, denn wir fühlen, daß man uns nicht versteht und daß selbst Liebe uns nicht helfen kann. Es klafft eine unüberbrückbare Kluft zwischen Soldaten und Nichtsoldaten. Wir müssen uns selber helfen.

Doch in unsere unruhigen Tage grollt und murrt oft sonderbar noch etwas anderes hinein — wie fernes Dröhnen von Geschützen — wie eine dumpfe Mahnung hinter dem Horizont, die wir nicht zu deuten wissen, die wir nicht hören wollen, von der wir uns abwenden, immer in der seltsamen Furcht, etwas zu versäumen — als liefe uns etwas davon. Zu oft schon lief uns etwas davon — und manchem nichts Geringeres als das Leben. —

In Karl Brögers Bude sieht es bunt aus. Alle Bücherregale sind ausgeräumt. Ganze Stöße von Bänden liegen auf den Tischen und auf dem Fußboden umher.

Karl war früher ein Büchernarr. Er sammelte Bücher, wie wir Schmetterlinge und Briefmarken. Eine besondere Vorliebe hatte er für Eichendorff. Davon hat er drei verschiedene Ausgaben. Er konnte auch viele seiner Gedichte auswendig. Aber jetzt will er die Bibliothek verkaufen, um Anfangskapital für einen eigenen Schnapshandel zu bekommen. Er behauptet, daß mit solchen Sachen viel Geld zu verdienen sei. Bisher war er nur Agent Ledderhoses; doch jetzt will er sich auf eigene Füße stellen.