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Es wird dunkel. Das Feuer erwischt uns. Schutz haben wir wenig. Wir wühlen im Trichter mit Händen und Spaten Löcher für die Köpfe. So liegen wir fest angepreßt, Albert Troßke und Adolf Bethke neben mir. Zwanzig Meter neben uns wichst es ein. Wir reißen die Schnauzen auf, als das Biest ranpfeift, um die Trommelfelle zu retten, aber auch so sind wir halbtaub, Erde und Dreck spritzt uns in die Augen, und der verfluchte Pulver- und Schwefelqualm kratzt uns im Halse. Es regnet Sprengstücke. Einen hat es bestimmt er wischt, denn in unsern Trichter saust mit einem heißen Granatfetzen eine abgerissene Hand, gerade neben Bethkes Kopf.

Heel springt zu uns herein, kalkweiß vor Wut unter dem Helm beim Aufflackern der Explosionen.»Brand«, keucht er,»Volltreffer, alles weg.«

Wieder kracht es, braust, brüllt, regnet Dreck und Eisen, die Luft donnert, die Erde dröhnt. Dann hebt sich der Vorhang, gleitet zurück, im gleichen Augenblick heben sich Menschen, verbrannt, schwarz aus der Erde, Handgranaten in den Fäusten, lauernd und bereit.»Langsam zurück«, ruft Heel.

Der Angriff liegt links von uns. Ein Trichternest von uns wird umkämpft. Das M.-G. bellt. Die Blitze der Handgranaten zucken. Plötzlich schweigt das M.-G. — Ladehemmung. Sofort wird das Nest von der Flanke gefaßt. Ein paar Minuten noch und es ist abgeschnitten. Heel sieht es.»Verflucht«, er setzt über die Böschung.»Vorwärts!«Munition fliegt mit hinüber, rasch liegen Willy, Bethke, Heel in Wurfweite und werfen, Heel springt schon wieder hoch, er ist verrückt in solchen Momenten, ein wahrer Satan. Aber es gelingt, die im Trichter fassen neuen Mut, das M.-G. kommt wieder in Schwung, die Verbindung ist da, und wir springen gemeinsam zurück, um den Betonklotz hinter uns zu erreichen. Es ist so schnell gegangen, daß die Amerikaner gar nicht gemerkt haben, wie das Nest geräumt wurde. Blitze zucken immer noch in den verlassenen Trichter.

Es wird ruhiger. Ich habe Angst um Ludwig. Aber er ist da. Dann kriecht Bethke heran.»Weßling?«

«Was ist mit Weßling? Wo ist Weßling?«— Der Ruf steht plötzlich im dumpfen Rollen der Ferngeschütze.»Weßling — Weßling. —«

Heel taucht auf.»Was ist?«

«Weßling fehlt.«

Tjaden hat neben ihm gelegen, als es zurückging, ihn dann aber nicht mehr gesehen.»Wo?«fragt Kosole. Tjaden zeigt dahin.»Verdammt! — «Kosole sieht Bethke an. Bethke Kosole. Beide wissen, daß dies vielleicht unser letztes Gefecht ist. Sie zögern keinen Moment.»Einerlei«, knurrt Bethke.»Los«, schnauft Kosole. Sie verschwinden im Dunkel. Heel springt hinter ihnen heraus.

Ludwig macht alles fertig, um sofort vorzustoßen, falls die drei angegriffen werden. Es bleibt vorläufig still. Plötzlich aber blitzen Explosionen von Handgranaten. Revolverschüsse knallen dazwischen. Wir springen sofort vor, Ludwig als erster — da tauchen die schweißigen Gesichter Bethkes und Kosoles schon auf, die jemand auf einer Zeltbahn hinter sich herschleifen.

Heel? Es ist Weßling, der stöhnt. Heel? Hält die ändern auf, er hat geschossen; gleich darauf ist er zurück,»die ganze Bande im Trichter erledigt«, schreit er,»und zwei noch mit dem Revolver. «Dann starrt er auf Weßling.»Na, was ist?«Der antwortet nicht. Sein Bauch ist aufgerissen wie ein Fleischerladen. Man kann nicht sehen, wie tief die Wunde reicht. Sie wird notdürftig verbunden. Weßling stöhnt nach Wasser, aber er kriegt keins. Bauchverletzte dürfen nicht trinken. Dann verlangt er nach Decken. Ihn friert, er hat viel Blut verloren.

Ein Gefechtsläufer bringt den Befehl, weiter zurückzugehen. Weßling nehmen wir in einer Zeltbahn mit, durch die ein Gewehr zum Tragen gesteckt wird, bis wir eine Bahre finden. Vorsichtig tappen wir hintereinander her. Es wird allmählich hell. Silberner Nebel im Gebüsch. Wir verlassen die Gefechtszone. Schon glauben wir, es sei alles vorbei, da sirrt es leise heran und schlägt tackend auf. Ludwig Breyer krempelt schweigend seinen Ärmel hoch. Er hat einen Schuß in den Arm bekommen. Weil verbindet ihn.

Wir gehen zurück. Zurück.

Die Luft ist milde wie Wein. Das ist kein November, das ist März. Der Himmel blaßblau und klar. In den Lachen am Wege spiegelt sich die Sonne. Wir gehen durch eine Pappelallee. Die Bäume stehen zu beiden Seiten der Straße, hoch und fast unversehrt, nur manchmal fehlt einer. Diese Gegend war früher Hinterland, sie ist nicht so verwüstet worden wie die Kilometer davor, die wir Tag um Tag, Meter um Meter aufgegeben haben. Die Sonne leuchtet auf der braunen Zeltbahn, und während wir durch die gelben Alleen gehen, schweben segelnd immerfort Blätter darauf herunter; einige fallen hinein. In der Lazarettstation ist alles voll. Viele Verwundete liegen schon vor der Tür. Wir lassen Weßling einstweilen auch draußen. Eine Anzahl Armverwundeter mit weißen Verbänden formiert sich zum Abmarsch. Das Lazarett wird schon aufgelöst. Ein Arzt läuft herum und untersucht die Neuangekommenen. Einen Mann, dem das Bein lose, falsch geknickt im Kniegelenk hängt, läßt er sofort hereinschaffen. Weßling wird nur verbunden und bleibt draußen.

Er wacht aus seinem Dösen auf und sieht dem Arzt nach.

«Weshalb geht er denn ab?«

«Wird schon wiederkommen«, sage ich.

«Aber ich muß doch rein, ich muß operiert werden. «Er wird auf einmal furchtbar aufgeregt und tastet nach dem Verband.»Das muß doch gleich genäht werden.«

Wir versuchen, ihn zu beruhigen. Er ist ganz grün und schwitzt vor Angst:»Adolf, renn hinterher, er soll kommen.«

Bethke zögert einen Moment. Aber er kann nicht anders unter Weßlings Augen, obschon er weiß, daß es keinen Zweck hat. Ich sehe ihn mit dem Arzt sprechen. Weßling blickt ihm nach, so weit er kann, es sieht schrecklich aus, wie er den Kopf herumzudrehen versucht. Bethke kommt so zurück, daß Weßling ihn nicht erblicken kann, schüttelt den Kopf und zeigt mit den Fingern eins und macht mit dem Munde unhörbar: Ei-ne Stun-de. — Wir setzen zuversichtliche Gesichter auf. Aber wer kann einen sterbenden Bauern täuschen! Als Bethke ihm sagt, er werde später operiert werden, die Wunde müsse erst etwas anheilen, weiß Weßling schon alles. Einen Augenblick schweigt er, dann keucht er leise:»Ja, da steht ihr und seid heil — und kommt nach Hause — und ich — vier Jahre und so was — vier Jahre — und so was. —«

«Du kommst ja gleich rein ins Lazarett, Heinrich«, tröstet Bethke ihn.

Er wehrt ab.»Laßt man.«

Von da ab sagt er nicht mehr viel. Er will auch nicht hineingetragen werden, sondern draußen bleiben. Das Lazarett liegt an einem kleinen Hang. Die Allee, durch die wir gekommen sind, kann man von hier aus weithin sehen. Sie ist bunt und golden. Die Erde liegt still und weich und geborgen da, sogar Äcker sind zu sehen, kleine, braune, aufgegrabene Stücke, dicht beim Lazarett. Wenn der Wind den Blut- und Eiterbrodem wegfegt, kann man den herben Geruch der Schollen riechen. Die Ferne ist blau und alles sehr friedlich; denn der Blick von hier geht nicht zur Front. Die Front liegt rechts.

Weßling ist still. Er betrachtet alles ganz genau. Die Augen sind aufmerksam und klar. Er ist Bauer und versteht sich mit der Landschaft noch besser und anders als wir. Er weiß, daß er jetzt weg muß. Deshalb will er nichts versäumen und wendet keinen Blick mehr ab. Von Minute zu Minute wird er blasser. Endlich macht er eine Bewegung und flüstert:»Ernst…«

Ich beuge mich zu seinem Munde herunter.»Nimm meine Sachen heraus«, sagt er.

«Das hat doch noch Zeit, Heinrich…«

«Nein, nein. Los.«

Ich lege sie vor ihn hin. Die Brieftasche aus abgeschabtem Kaliko, das Messer, die Uhr, das Geld — man kennt das ja allmählich. Lose in der Brieftasche liegt das Bild seiner Frau.

«Zeig her«, sagt er.

Ich nehme es heraus und halte es so, daß er es sehen kann. Es ist ein klares, bräunliches Gesicht. Er betrachtet es. Nach einer Weile flüstert er:»Das ist dann alles weg«, und die Lippen zittern ihm. Endlich wendet er den Kopf ab.