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Jupp zwinkerte mir zu.»Wie war's?«

«Sache«, antwortete ich wie ein alter Fachmann, und wir wollten fortgehen. Aber wir mußten erst wieder bei dem Sanitätsgefreiten vorbei und bekamen eine neue Protargoleinspritzung.

Das ist nun die Liebe, dachte ich verzweifelt und matt, als wir unsere Sachen packten, das ist nun die Liebe, von der alle meine Bücher zu Hause voll waren, und von der ich so vieles erwartet hatte in den unbestimmten Träumen meiner Jugend! Ich rollte meinen Mantel und packte meine Zeltbahn, ich empfing Munition, und dann marschierten wir, ich war schweigend und traurig und dachte daran, daß nun von all den hochfliegenden Träumen vom Leben und von der Liebe nichts übriggeblieben war als ein Gewehr und eine fette Dirne und das dumpfe Grollen am Horizont, in das wir langsam hineinmarschierten. Es wurde finster darüber, die Gräben kamen und der Tod, Franz Wagner fiel in dieser Nacht, und wir verloren außerdem noch dreiundzwanzig Mann.

Von den Bäumen sprüht der Regen, und ich schlage den Kragen hoch. Oft habe ich jetzt Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach scheuen Worten, nach schwingenden, weiten Gefühlen; ich möchte heraus aus der entsetzlichen Eindeutigkeit der letzten Jahre. Aber wie würde es werden, wenn es wirklich gelänge — wenn es wieder zusammenkäme, das Weiche und Weite von früher, wenn wirklich jemand gut zu mir sein wollte, eine schmale, zarte Frau, wie die mit dem Goldhelm und den weichen Gelenken — wie würde es werden, selbst wenn wirklich der Rausch eines blauen und silbernen Abends unendlich und selbstvergessen über uns herniederdämmerte —? Würde nicht das fette Bild der Dirne sich im letzten Augenblick dazwischenschieben, würden nicht die Stimmen meiner Kasernenhofunteroffiziere plötzlich ihre Schweinereien dazwischen wiehern, würden nicht Erinnerungen, Gesprächsfetzen, Kommißdeutlichkeiten jedes reine Gefühl zerfetzen und durchlöchern? Wir sind noch fast keusch, aber unsere Phantasie ist zersetzt worden, ohne daß wir es gemerkt haben, und bevor wir noch von der Liebe etwas wußten, wurden wir schon reihenweise öffentlich auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Das Atemlose, Ungestüme, der Wind, das Dunkle, die Frage — alles was da war, wenn wir als Sechzehnjährige hinter Adele und den ändern Mädchen im flackernden Laternenwind herliefen —, es ist später nie mehr wiedergekommen, auch wenn ich nicht bei einer Dirne war und glaubte, es sei anders, und die Frau sich festkrallte und die Gier mich schüttelte. Nachher war ich immer traurig.

Unwillkürlich marschiere ich schneller und atme heftig. Ich will es wiederhaben — ich muß es wiederhaben. Es soll wiederkommen, sonst hat es keinen Zweck, zu leben! —

Ich schlage den Weg zu Ludwig Breyers Wohnung ein. In seinem Zimmer ist noch Licht. Ich werfe Steine ans Fenster. Ludwig kommt herunter und öffnet mir die Tür.

Oben im Zimmer steht Georg Rahe vor den Kästen von Ludwigs Steinsammlung. Er hat einen großen Bergkristall in der Hand und läßt ihn funkeln.

«Gut, daß ich dich noch treffe, Ernst«, lächelt er,»ich war schon bei dir zu Hause. Morgen fahre ich ab.«

Er ist in Uniform.»Georg«, sage ich stockend,»du willst doch nicht…«

«Doch!«Er nickt.»Wieder Soldat werden. Stimmt. Alles schon erledigt. Morgen geht's los.«

«Verstehst du das?«frage ich Ludwig.

«Ja«, antwortet er,»ich verstehe es. Aber es nützt ihm nichts. «Er wendet sich zu Rahe.»Du bist enttäuscht, Georg, aber überlege dir, daß das natürlich ist. Im Felde waren unsere Nerven immer angespannt bis zum äußersten, denn es ging stets um Tod und Leben. Jetzt flattern sie umher wie Segel in einer Windstille; denn hier geht es um kleine Fortschritte.«

«Richtig«, fällt Rahe ein,»um dieses kleinliche Gewürge von Futter, Streberei und ein paar hineingeflickten Idealen, das kotzt mich ja gerade an, und deshalb will ich fort.«

«Wenn du absolut was unternehmen willst, kannst du ja bei der Revolution mitmachen«, sage ich,»vielleicht wirst du da noch Kriegsminister.«

«Ach, diese Revolution«, antwortet Georg wegwerfend,»die ist mit den Händen an der Hosennaht gemacht, von Parteisekretären, die vor ihrer eigenen Courage schon wieder Angst gekriegt haben. Sieh dir an, wie sie sich bereits gegenseitig in den Haaren liegen, Sozialdemokraten, Unabhängige, Spartakisten, Kommunisten. Inzwischen knallen die anderen ihnen in aller Gemütsruhe die paar wirklichen Köpfe ab, die sie haben, und sie merken es nicht mal.«

«Nein, Georg«, sagt Ludwig,»so ist es nicht. Wir haben mit zu wenig Haß Revolution gemacht, das ist wahr, und wir wollten gleich von Anfang an gerecht sein, dadurch ist alles lahm geworden. Eine Revolution muß losrasen wie ein Waldbrand, dann kann man später zu säen beginnen; aber wir wollten nichts zerstören und doch erneuern. Wir hatten nicht einmal mehr die Kraft zum Haß, so müde und ausgebrannt waren wir vom Kriege. Man kann selbst im Trommelfeuer vor Ermüdung einschlafen, das weißt du ja auch. — Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät, um durch Arbeit zu erreichen, was im Angriff versäumt worden ist.«

«Arbeit«, antwortet Georg wegwerfend und läßt den Bergkristall unter der Lampe funkeln,»wir können kämpfen, aber nicht arbeiten.«

«Wir müssen es wieder lernen«, sagt Ludwig ruhig aus der Ecke seines Sofas heraus.

«Dazu sind wir verdorben«, entgegnet Georg.

Einen Augenblick ist es still. Der Wind summt vor den Fenstern. Rahe geht mit großen Schritten in Ludwigs kleinem Zimmer umher, und es sieht aus, als passe er wirklich nicht mehr zwischen diese Wände der Bücher, der Stille und der Arbeit — als gehöre sein scharfes, klares Gesicht über der grauen Uniform nur noch in Gräben, Kampf und Krieg. Er stemmt die Arme auf den Tisch und beugt sich zu Ludwig herunter. Das Lampenlicht fällt auf seine Achselstücke, und hinter ihm glitzern die Quarze der Steinsammlung.

«Ludwig«, sagt er behutsam,»was tun wir denn hier? Sieh dich um: wie schlapp und trostlos ist das alles! Wir sind uns selbst und anderen zur Last. Unsere Ideale sind bankrott, unsere Träume kaputt, und wir laufen in dieser Welt von braven Zweckmenschen und Schiebern umher wie Don Quichotes, die in ein fremdes Land verschlagen worden sind.«

Ludwig sieht ihn lange an.»Ich glaube, wir sind krank, Georg. Wir haben den Krieg noch in den Knochen.«

Rahe nickt.»Wir werden ihn auch nie mehr los.«

«Doch«, erwidert Ludwig,»denn sonst wäre alles umsonst gewesen.«

Rahe springt hoch und schlägt die Fäuste auf den Tisch.»Es war umsonst, Ludwig, das ist es ja, was mich verrückt macht! Was waren wir für Menschen damals, als wir hinausgingen in diesem Sturm von Begeisterung! Eine neue Zeit schien angebrochen zu sein, alles Alte, Vermorschte, Halbe, Parteiische war weggefegt, wir waren eine Jugend wie keine zuvor!«

Er packt den Klumpen Bergkristall wie eine Handgranate. Seine Fäuste zucken.»Ludwig«, fährt er fort,»ich habe in vielen Unterständen gelegen, und wir waren alle junge Menschen, die um eine elende Kerze hockten und warteten, und über uns raste das Sperrfeuer wie ein Erdbeben — wir waren keine Rekruten mehr und wußten, worauf wir warteten, und wußten, was kam —, aber Ludwig, in diesen Gesichtern im Halbdunkel unter der Erde war mehr als Fassung, war mehr als Mut, war mehr als Todesbereitschaft — der Wille für eine andere Zukunft war in diesen regungslosen, harten Gesichtern, und er war darin, wenn wir stürmten, und er war noch darin, wenn wir starben! Wir wurden stiller, Jahr um Jahr, vieles fiel ab, aber dieses eine blieb. Und jetzt, Ludwig, wo ist es jetzt geblieben? Begreifst du, daß alles das versacken konnte in diesem Brei von Ordnung, Pflicht, Weibern, Regelmäßigkeit und wie das alles heißt, das sie hier Leben nennen? Nein, gelebt haben wir damals, und wenn du mir hunderttausendmal sagst, daß du den Krieg haßt, aber gelebt haben wir damals, weil wir zusammen waren, und weil in uns etwas brannte, was mehr war als dieser ganze Dreck hier!«