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«Nimm's mit«, sagt er. Ich weiß nicht, was er meint, aber ich will nicht noch lange fragen und stecke es deshalb in die Tasche.»Das bringt ihr…«, er sieht mich mit einem sonderbaren, großen Blick an, murmelt, schüttelt den Kopf und stöhnt. Ich versuche krampfhaft, noch etwas zu verstehen, doch er gurgelt nur noch, reckt sich, atmet schwerer und langsamer, mit Pausen, stockend — dann noch einmal ganz tief und seufzend — und hat plötzlich Augen, als sei er erblindet, und ist tot.

Am nächsten Morgen liegen wir zum letzten Male vorn. Es wird kaum noch geschossen. Der Krieg ist zu Ende. In einer Stunde sollen wir abziehen. Wir brauchen nun nie wieder hierher zu kommen. Wenn wir gehen, gehen wir für immer.

Wir zerstören, was zu zerstören ist. Wenig genug. Ein paar Unterstände. Dann kommt der Befehl zum Rückzug.

Es ist ein sonderbarer Moment. Wir stehen beieinander und sehen nach vorn. Leichte Nebelschwaden liegen über dem Boden. Die Trichterlinien und Gräben sind deutlich erkennbar. Es sind zwar nur noch die letzten Linien, denn dieses hier gehört zur Reservestellung, aber es ist doch immer noch Feuerbereich. Wie oft sind wir durch diesen Laufgraben vorgegangen; wie oft mit wenigen durch ihn zurückgekommen. — Grau liegt die eintönige Landschaft vor uns — in der Ferne der Rest des Wäldchens, ein paar Stümpfe, die Ruinen des Dorfes, dazwischen eine hohe einsame Mauer, die sich immer noch gehalten hat.»Ja«, sagt Bethke nachdenklich,»da hat man nun vier Jahre dringesessen…«

«Verdammt ja«, nickt Kosole.»Und nun ist einfach Schluß.«

«Mensch, Mensch«, Willy Homeyer lehnt sich gegen die Brustwehr.»Komisch so was, nicht…«

Wir stehen und starren. Die Ferne, der Waldrest, die Höhen, die Linien am Horizont drüben, das war eine furchtbare Welt und ein schweres Leben. Und jetzt bleibt das ohne weiteres zurück, wenn wir die Füße vorwärtssetzen, es versinkt Schritt für Schritt hinter uns und in einer Stunde ist es weg, als wäre es nie gewesen. Wer kann das begreifen!

Da stehen wir und sollten lachen und brüllen vor Vergnügen — und haben doch ein flaues Gefühl im Magen, als hätte man einen Besen gefressen und müßte das Kotzen kriegen.

Keiner sagt recht was. Ludwig Breyer lehnt müde am Grabenrand und hebt die Hand, als stände gegenüber ein Mensch, dem er winken wollte.

Heel erscheint.»Könnt euch wohl nicht trennen, was? Ja, jetzt kommt der Dreck.«

Ledderhose sieht ihn verwundert an.»Jetzt kommt doch der Frieden.«

«Ja, eben der Dreck«, sagt Heel und geht weiter mit einem Gesicht, als sei seine Mutter gestorben.

«Dem fehlt der Pour le merite«, erklärt Ledderhose.

«Ach, halt's Maul«, sagt Albert Troßke.

«Na, nun los«, meint Bethke, bleibt aber auch noch stehen.

«Liegt mancher da von uns«, sagt Ludwig.

«Ja — Brandt, Müller, Kat, Haie, Bäumer, Bertinck. —«

«Sandkuhl, Meinders, die beiden Terbrüggen, Huge, Bernhard…«»Mensch, hör auf…«

Viele liegen da von uns, aber bislang haben wir es nicht so empfunden. Wir sind ja zusammengeblieben, sie in den Gräbern, wir in den Gräben, nur durch ein paar Handvoll Erde getrennt. Sie waren uns nur etwas voraus, denn täglich wurden wir weniger und sie mehr — und oft wußten wir nicht, ob wir schon zu ihnen gehörten oder nicht. Aber manchmal brachten die Granaten auch sie wieder herauf zu uns, hochgeschleuderte zerfallende Knochen, Uniformreste, verweste, nasse, schon erdige Köpfe, die im Trommelfeuer noch einmal aus ihren verschütteten Unterständen in die Schlacht zurückkehrten. Wir empfanden es nicht als schrecklich; wir waren ihnen zu nahe. Aber jetzt gehen wir ins Leben zurück, und sie müssen hierbleiben.

Ludwig, dessen Vater in diesem Abschnitt gefallen ist, schneuzt sich durch die Hand und dreht sich um. Langsam folgen wir. Aber wir halten noch einige Male und sehen uns um. Und stehen wieder still und spüren plötzlich, daß das da vorn, diese Hölle des Grauens, diese zerfetzte Ecke Trichterland, uns in der Brust sitzt, daß es — verflucht, wenn es nicht so ein Quatsch und uns nicht zum Brechen wäre —, daß es beinahe aussieht, als wäre es uns vertraut geworden wie eine qualvolle, furchtbare Heimat, und wir gehörten einfach hierher.

Wir schütteln die Köpfe darüber — aber sind es die verlorenen Jahre, die dort bleiben, sind es die Kameraden, die da liegen, ist es all das Elend, das diese Erde deckt —, ein Jammer sitzt uns in den Knochen, daß wir losheulen könnten.

Dann marschieren wir.

Erster Teil

I

Die Straßen gehen lang durch die Landschaft, die Dörfer liegen in grauem Licht, die Bäume rauschen, und die Blätter fallen, fallen.

Über die Straßen aber ziehen Schritt um Schritt, in ihren fahlen, schmutzigen Uniformen, die grauen Kolonnen. Die stoppeligen Gesichter unter den Stahlhelmen sind schmal und ausgehöhlt von Hunger und Not, ausgemergelt und zusammengeschmolzen zu den Linien, die Grauen, Tapferkeit und Tod zeichnen. Schweigsam ziehen sie dahin, wie sie schon so viele Straßen entlang marschiert, in so vielen Güterwaggons gesessen, in so vielen Unterständen gehockt, in so vielen Trichtern gelegen haben, ohne viele Worte: so ziehen sie jetzt auch diese Straße in die Heimat und den Frieden. Ohne viele Worte.

Alte Leute mit Bärten und schmale, noch nicht zwanzigjährige, Kameraden ohne Unterschied. Neben ihnen ihre Leutnants, halbe Kinder, aber Führer in vielen Nächten und Angriffen. Und hinter ihnen das Heer der Toten. So ziehen sie vorwärts, Schritt um Schritt, krank, halbverhungert, ohne Munition, in dünnen Kompanien, mit Augen, die es immer noch nicht begreifen können: Entronnene der Unterwelt — den Weg zurück ins Leben.

Die Kompanie marschiert langsam, denn wir sind müde und haben noch Verwundete bei uns. Dadurch bleibt unsere Gruppe allmählich zurück. Die Gegend ist hügelig, und wenn die Straße ansteigt, können wir von der Höhe aus nach der einen Seite den Rest unserer abziehenden Truppen und nach der anderen die dichten, endlosen Linien sehen, die uns folgen. Es sind Amerikaner. Wie ein breiter Fluß schieben sich ihre Kolonnen zwischen den Baumreihen vorwärts, und das unruhige Glitzern der Waffen läuft über sie hin. Ringsum aber liegen die stillen Felder, und die Wipfel der Bäume ragen ernst und unbeteiligt mit ihren herbstlichen Farben aus der vordringenden Flut.

Wir sind die Nacht über in einem kleinen Dorf geblieben. Hinter den Häusern, in denen wir gelegen haben, fließt ein Bach, der mit Weiden bestanden ist. Ein schmaler Pfad führt daran entlang. Einzeln hintereinander, in langer Reihe, folgen wir ihm. Kosole ist der vorderste. Neben ihm läuft Wolf, der Kompaniehund, und schnuppert an seinem Brotbeutel.

Plötzlich, an der Kreuzung, wo der Pfad in den Hauptweg mündet, springt Ferdinand zurück.

«Achtung!«

Im nächsten Moment haben wir die Gewehre hoch und spritzen auseinander. Kosole liegt fertig zum Feuern im Chausseegraben, Jupp und Troßke ducken sich spähend hinter einer Holunderhecke, Willy Homeyer reißt an seinem Koppel mit Handgranaten, und selbst unsere Verwundeten sind kampfbereit.

Die Landstraße entlang kommen Amerikaner. Sie lachen und schwatzen miteinander. Es ist die Spitzengruppe, die uns eingeholt hat. Adolf Bethke ist als einziger von uns stehengeblieben. Er geht ruhig einige Schritte aus der Deckung heraus, auf die Straße. Kosole steht wieder auf. Wir anderen besinnen uns ebenfalls und rücken verwirrt und verlegen unsere Koppel und Gewehrriemen zurecht — seit einigen Tagen wird ja nicht mehr gekämpft.

Die Amerikaner stutzen, als sie uns sehen. Ihr Gespräch bricht ab. Sie nähern sich langsam. Wir ziehen uns gegen einen Schuppen zurück, um den Rücken gedeckt zu haben, und warten ab. Nach einer Minute des Schweigens löst sich ein baumlanger Amerikaner aus der Gruppe vor uns und winkt.

«Hallo, Kamerad!«

Adolf Bethke hebt ebenfalls die Hand.»Kamerad!«