«Vier Wassergläser voll Kognak«, brüllt er zur Theke.
Der Vorsteher prallt zurück. Die Gläser kommen. Willy klemmt zwei davon den beiden zwischen die Finger.»Prost!«
Sie stieren uns an.»Aussaufen!«ruft Willy mit funkelndem Schädel.
«Los, auf einen Schlag!«Der Schreiber will abwehren, aber Willy läßt nicht nach.»In vier Schlucken«, bittet der Vorsteher bereits sehr kleinlaut.»In einem Schluck«, beharrt Willy, steht auf und klappt sein Glas gegen das des Schreibers. Ich springe ebenfalls hoch.»Los! Prost! Ex! Auf Ihr Spezielles!«brüllen wir die verdutzten beiden an. Wie Kälber, die zur Schlachtbank sollen, sehen sie uns an und nehmen einen Schluck.»Weiter! Wollt ihr kneifen?«heult Willy.»Aufstehen!«Sie torkeln hoch und trinken. Verschiedentlich versuchen sie zu unterbrechen, aber wir bölken auf sie ein, zeigen ihnen unsere Gläser,»Prost!«»Rest!«»Weg damit!«und sie schlucken alles herunter. Dann rutschen sie mit verglasten Augen langsam, aber sicher zu Boden. Wir haben gesiegt; im langsamen Trinken hätten sie uns vielleicht untergekriegt; aber auf das schnelle Kippen sind wir trainiert, und es war unsere Chance, ihnen unser Tempo aufzuzwingen. Taumelnd und stolz überblicken wir das Schlachtfeld. Keiner außer uns steht mehr. Der Briefträger, der gleichzeitig Wirt ist, hat den Kopf auf die Theke gestützt und weint um seine Frau, die im Wochenbett gestorben ist, während er im Felde war.»Martha, Martha«, schluchzt er mit einer seltsam hohen Stimme. Das soll er immer um diese Zeit machen, erzählt uns das Schenkmädchen. Das Weinen sticht uns in die Ohren. Es wird auch Zeit, daß wir rauskommen. Willy schnappt sich den Vorsteher, ich mir den lcichteren Schreiber, und wir schleppen sie nach Hause. Das ist unser letzter Triumph. Den Schreiber legen wir vor die Haustür und klopfen, bis Licht gemacht wird. Der Vorsteher aber wird schon erwartet. Seine Frau steht in der Tür.
«Herr Jesus«, kreischt sie,»die neuen Lehrer! So jung und schon
solche Säufer! Das kann ja noch gut werden!«
Willy versucht, ihr zu erklären, daß es sich um eine Ehrensache gehandelt habe, verhaspelt sich jedoch.
«Wo sollen wir ihn hinbringen?«frage ich schließlich.
«Laßt den Saufkopp da man liegen«, entscheidet sie. Wir packen ihn auf ein Sofa. Dann verlangt Willy, kindlich lächelnd, Kaffee. Die Frau sieht ihn an wie einen Hottentotten.
«Wir haben Ihnen doch Ihren Mann wiedergebracht«, erklärt Willy strahlend. Vor soviel unbewußter Frechheit kapituliert selbst die harte Alte. Sie schenkt uns kopfschüttelnd ein paar große Tassen Kaffee ein und gibt uns dabei gute Lehren. Wir sagen zu allem ja, das ist das beste um diese Zeit. —
Von diesem Tage an gelten wir im Dorf als Männer und werden mit Achtung begrüßt.
II
Einförmig und gleichmäßig gehen die Tage hin. Morgens vier Stunden Schule, nachmittags zwei — aber dazwischen die endlos sich dehnende Zeit des Herumsitzens und Herumlaufens, allein mit sich und seinen Gedanken.
Am schlimmsten sind die Sonntage. Wenn man da nicht in den Kneipen sitzen will, ist es einfach nicht zum Aushalten. Der Hauptlehrer, der außer mir da ist, wohnt seit dreißig Jahren hier und ist in dieser Zeit ein erstklassiger Schweinezüchter mit vielen Preisen geworden. Aber über etwas anderes kann man mit ihm kaum reden. Wenn ich ihn ansehe, möchte ich am liebsten sofort ausreißen; so abschreckend ist der Gedanke, auch einmal so zu werden. Dann ist noch eine Lehrerin da, ein braves, ältliches Geschöpf, das zusammenzuckt, wenn man mal» verflucht und zugenäht «sagt. Auch nicht gerade aufmunternd.
Willy findet sich besser hinein. Er geht als Respektsperson auf alle Hochzeiten und Kindtaufen. Wenn die Pferde Kolik haben oder die Kühe nicht kalben wollen, hilft er den Bauern mit Rat und Tat. Und abends sitzt er mit ihnen in den Wirtschaften und zieht ihnen beim Skat das Fell über die Ohren.
Aber ich will nicht mehr in den Kneipen liegen, ich bleibe lieber in meinem Zimmer. Doch die Stunden werden da lang, und oft kriechen seltsame Gedanken aus den Winkeln — wie blasse, fahle Hände, die winken und drohen, Schatten eines gespenstischen Früher, sonderbar verwandelt. Erinnerungen, die wieder emporsteigen, graue, wesenlose Gesichter, Klage und Anklage. —
An einem trüben Sonntag stehe ich früh auf, ziehe mich an und gehe zur Bahn, um Adolf Bethke zu besuchen. Das ist ein guter Plan — ich kann wieder einmal mit einem Menschen, der mir wirklich nahesteht, zusammensitzen, und der langweilige Sonntag ist herum, wenn ich zurückkomme.
Nachmittags komme ich an. Die Pforte quietscht. Der Hund in der Hütte bellt. Ich gehe rasch die Allee von Obstbäumen entlang. Adolf ist zu Hause. Seine Frau ist auch da. Als ich eintrete und Adolf die Hand gebe, geht sie hinaus. Ich setze mich hin. Nach einer Weile sagt er:»Du wunderst dich wohl, Ernst, was?«
«Warum, Adolf?«
«Weil sie wieder im Hause ist.«
«Nein — das mußt du doch selbst wissen.«
Er schiebt mir eine Schüssel mit Obst hin.»Willst du einen Apfel?«Ich nehme einen und biete ihm eine Zigarre an. Er beißt die Spitze ab und fährt fort:»Sieh, Ernst, ich hab hier gesessen und gesessen und bin halb verrückt dabei geworden. Wenn du allein bist, ist so ein Haus was Schreckliches. Du gehst durch die Zimmer — da hängt noch eine Bluse von ihr, da sind ihre Nähsachen, da ist der Stuhl, auf dem sie immer saß und nähte — und abends, da steht das zweite Bett so weiß und verlassen neben dir herum, du siehst alle Augenblicke rüber und wälzt dich hin und her und kannst nicht schlafen — da geht dir manches durch den Kopf, Ernst. —«
«Glaub's schon, Adolf. —«
«Und dann rennst du raus und säufst und machst Unsinn. —«
Ich nicke. Die Uhr tickt. Der Ofen knistert. Die Frau kommt still herein und stellt Brot und Butter auf den Tisch. Dann geht sie wieder. Bethke streicht über die Tischdecke.
«Ja, Ernst, und so ist es ihr ja schließlich auch gegangen, sie hat auch so herumgesessen, all die Jahre durch und hat dagelegen und Angst gehabt und ist ungewiß gewesen und hat gegrübelt und gehorcht — und dann ist es schließlich gekommen, sicher hat sie es erst gar nicht gewollt, aber als es dann da war, da wußte sie sich nicht mehr zu helfen, und so ist es weitergegangen.«
Die Frau kommt und bringt Kaffee. Ich will ihr guten Tag sagen, doch sie sieht mich nicht an.
«Willst du nicht für dich auch eine Tasse holen?«fragt Adolf.
«Ich muß noch in die Küche«, sagt sie. Sie hat eine leise, tiefe Stimme.
«Ich habe hier gesessen und mir gesagt, du hast deine Ehre gewahrt, du hast sie rausgeschmissen. Aber was hast du von der Ehre, das ist so eine Redensart, du bist allein, und mit und ohne Ehre wird das nicht besser. Da habe ich dann gesagt, sie könnte hierbleiben, was soll das alles auch, man ist doch müde und lebt bloß die paar Jahre, und wenn man es nicht gewußt hätte, wäre es doch auch so geblieben. Wer weiß, was man machen würde, wenn man immer alles wüßte.«
Adolf klopft nervös mit der Hand gegen die Stuhllehne.»Nimm Kaffee, Ernst, Butter ist auch da.«
Ich schenke ein, und wir trinken.
«Sieh, Ernst«, sagt er leise,»ihr habt es leichter, ihr habt eure Bücher und eure Bildung und noch so manches. Aber ich — ich habe doch nichts anderes als nur die Frau. —«
Ich sage nichts dazu, denn ich könnte es ihm nicht erklären; er ist nicht mehr derselbe wie im Felde — und ich bin es auch nicht. Nach einer Weile frage ich:»Was sagt sie denn dazu?«
Adolf läßt die Hand fallen.»Sie sagt eigentlich wenig, es ist ja auch nicht viel aus ihr rauszukriegen, sie sitzt da und sieht dich an. Höchstens, daß sie mal weint. Sie redet wenig.«
Er stellt seine Tasse beiseite.»Mal sagt sie, es wäre nur gewesen, damit einer da wäre. Dann wieder, sie begriffe es nicht, sie hätte nicht gewußt, daß sie mir etwas antäte damit, es wäre gewesen, als ob ich da wäre. Aber das versteht man doch nicht, so was muß man doch auseinanderhalten können, sie ist doch sonst vernünftig.«