Wie verrückt heult die Dogge auf und wirft sich zu Boden, um ihn so zu fassen. Aber mit einem Ruck, schneller als ein Schatten, hat Wolf losgelassen und die Gelegenheit benutzt, ihr an die Kehle zu gehen. Und jetzt, zum ersten Male, höre ich ihn knurren, dumpf, gefährlich, jetzt wo er den Gegner hat und festhält, so sehr die Dogge auch um sich schlägt und sich über den Boden rollt.
«Um Gottes willen, Lehrer«, ruft der Bauer,»ruft euren Hund! Er beißt den Pluto ja in Stücke!«
«Den kann ich ruhig rufen, der kommt jetzt nicht«, sage ich,»und das ist auch richtig. Erst soll er mal diesen Scheißpluto fertigmachen.«
Die Dogge stöhnt und jault. Der Bauer hebt den Knüppel, um ihr beizustehen. Ich reiße ihm den Prügel weg, fasse ihn vor der Brust und brülle:»Verflucht, der Bastard hat doch angefangen.«
Es fehlt nicht viel, dann gehe ich noch auf den Bauern los.
Zum Glück stehe ich so, daß ich sehe, wie Wolf jäh die Dogge losläßt und heranrast, weil er glaubt, ich würde angefallen. So kann ich ihn ab- fangen, sonst hätte der Bauer mindestens eine neue Jacke gebraucht. Inzwischen hat sich Pluto verdrückt. Ich klopfe Wolf den Hals und beruhige ihn.»Das ist ja der wahre Satan«, stottert der Bauer entgeistert.
«Jawohl«, sage ich stolz,»das ist eben altes Militär. Damit soll man nicht anfangen.«
Wir gehen weiter. Hinter dem Dorf liegen einige Wiesen, dann beginnt die Heide mit Wacholdern und Hünengräbern. In der Nähe des Birkenwäldchens weidet eine Herde Schafe. Ihre wolligen Rük- ken glänzen im Schein der untergehenden Sonne wie mattes Gold.
Mit einmal bemerke ich, wie Wolf in gestreckten Sätzen auf die Herde lossaust. Ich glaube, daß das Erlebnis mit der Dogge ihn wild gemacht hat, und laufe hinterher, um ein Blutbad unter den Schafen zu verhindern.»Achtung! Paß auf den Hund auf!«rufe ich dem Schäfer zu.
Er lacht.»Ist ja ein Schäferhund, der tut nichts!«
«Doch, doch!«rufe ich,»der kennt das nicht! Das ist ein Kriegshund!«
«Ach wo«, sagt der Schäfer,»Kriegshund oder nicht. Der macht nichts. Da — sehen Sie — sehen Sie bloß! Gut, mein Hund, weiter! Hol sie!«
Ich traue meinen Augen nicht. Wolf — Wolf, der früher nie ein Schaf gesehen hat, treibt die Herde jetzt zusammen, als hätte er nie etwas anderes getan. In langen Sprüngen fegt er bellend hinter zwei ausgerissenen Lämmern her und jagt sie zurück. Jedesmal, wenn sie ausbrechen oder stehenbleiben wollen, verlegt er ihnen den Weg und zwickt sie in die Beine, so daß sie geradeaus weiterlaufen.»Tiptop«, sagt der Schäfer,»er kneift sie nur, tadellos richtig.«
Der Hund ist wie verwandelt. Seine Augen funkeln, sein zerschossenes Ohr flattert, er umkreist wachsam die Herde, und ich sehe, daß er ungeheuer aufgeregt ist.
«Den kauf ich sofort«, erklärt der Schäfer,»meiner kann's nicht besser. Sehen Sie mal, wie er die Herde zum Dorf rüberdrückt! Der braucht nichts mehr zu lernen.«
Ich weiß nicht, was mit mir los ist.»Wolf«, rufe ich,»Wolf«, und ich könnte gleich losheulen, wie ich ihn so sehe. Da ist er unter Granaten groß geworden, und jetzt, ohne daß ihm jemand was gezeigt hat, weiß er, was seine Aufgabe ist.
«Hundert Mark in bar und ein geschlachtetes Schaf«, sagt der Schäfer.
Ich schüttle den Kopf.»Nicht für eine Million Mark, Mensch«, erwidere ich.
Jetzt schüttelt der Schäfer den Kopf.
Die harten Rispen des Heidekrauts streifen mein Gesicht. Ich biege sie beiseite und lege den Kopf auf die Arme. Der Hund atmet ruhig neben mir, und von weit her kommt das schwache Läuten von Herdenglocken. Sonst ist es still.
Wolken schwimmen langsam über den Abendhimmel. Die Sonne geht unter. Das dunkle Grün der Wacholderbüsche wird zu tiefem Braun, und ich spüre, wie der Nachtwind sich jetzt leise von den fernen Wäldern hebt. In einer Stunde wird er in den Birken wehen. Soldaten ist die Landschaft ebenso vertraut wie Bauern und Förstern, sie haben nicht im Zimmer gelebt; sie wissen um die Zeiten des Windes und den zimtfarbenen Duft verschleierter Abende, sie kennen die Schatten, die über dem Boden schwanken, wenn die Wolken das Licht fangen, und die Wege des Mondes. —
In Flandern, nach einem rasenden Feuerüberfall, dauerte es lange, bis Hilfe für einen Verwundeten kam. Wir hatten alle Verbandspäckchen um ihn gewickelt und abgebunden, was wir konnten, aber er blutete weiter, blutete einfach aus. Und hinter ihm stand die ganze Zeit eine riesige Wolke am abendlichen Himmel, eine einzige Wolke, aber sie war ein ganzes Gebirge aus Weiß, Gold und rötlichem Glanz. Unwirklich und herrlich stand sie hinter dem zerschossenen Braun der Landschaft, sie war ganz still und leuchtete, und der Sterbende lag ganz still und blutete, als gehörten sie zusammen, und doch war es für mich unbegreiflich, daß die Wolke so schön und unbeteiligt am Himmel stand, während ein Mensch starb. —
Das letzte Licht der Sonne färbt die Heide mit einem düsteren Rot. Kiebitze flattern klagend auf. Eine Rohrdommel ruft von den Teichen her. Ich starre über die weite, purpurbraune Fläche. — Bei Hout- houlst gab es eine Stelle, wo in den Wiesen so viel Mohn wuchs, daß sie ganz rot davon waren. Wir nannten sie die Blutwiesen, denn bei Gewitter hatten sie die fahle Farbe von eben geronnenem, noch frischem Blut. — Dort wurde Köhler verrückt, als wir in einer hellen Nacht, verwüstet und müde, vorbeimarschierten. Er glaubte im unsicheren Licht des Mondes, es seien Blutseen und wollte hineinspringen. —
Ich fröstle und blicke auf. Was soll das nur? Weshalb kommen diese Erinnerungen jetzt so oft? Und so sonderbar, so ganz anders als draußen im Felde? Bin ich zuviel allein?
Wolf rührt sich neben mir und bellt ganz hoch und leise im Schlaf. Träumt er von seiner Herde? Ich sehe ihn lange an. Dann wecke ich ihn und wir gehen zurück.
Es ist Sonnabend. Ich gehe zu Willy und frage ihn, ob er über Sonntag mit mir in die Stadt fahren will. Doch er weist den Gedanken weit von sich.»Morgen haben wir eine gefüllte Gans hier«, sagt er,»die kann ich auf keinen Fall im Stich lassen. Weshalb willst du denn weg?«
«Ich kann es sonntags hier nicht aushalten«, sage ich.
«Verstehe ich nicht«, meint er,»bei der Verpflegung!«
Ich fahre allein. Abends gehe ich in einer unbestimmten Hoffnung zu Waldmann. Da ist großer Trubel. Ich stehe eine Weile herum und sehe zu. Eine Menge junger Burschen, die gerade noch so am Krieg vorbeigerutscht sind, treibt sich auf dem Parkett herum. Sie sind selbstsicher und wissen, was sie wollen, ihre Welt hat einen klaren Anfang und ein klares Zieclass="underline" den Erfolg. Sie sind viel fertiger als wir, obschon sie jünger sind.
Unter den Tanzenden entdecke ich die zierliche, kleine Näherin mit der ich den Onestep gewonnen habe. Ich fordere sie zu einem Walzer auf, und wir bleiben dann zusammen. Vor ein paar Tagen habe ich mein Gehalt bekommen, davon bestelle ich jetzt ein paar Flaschen süßen, roten Wein. Wir trinken ihn langsam, und je mehr ich trinke, desto mehr gerate ich in eine sonderbare Schwermut. Was sagte Albert damals? Einen Menschen haben, der einem gehört.
Nachdenklich höre ich dem Geplauder des Mädchens zu, das wie ein Schwälbchen zwitschert von Kolleginnen, vom Stücklohn für Weißwäsche, von neuen Tänzen und tausend nichtigen Dingen. Wenn der Stücklohn um zwanzig Pfennig erhöht würde, könnte sie mittags ins Restaurant essen gehen, dann wäre sie zufrieden. Ich beneide sie um ihr klares, einfaches Dasein und frage sie immer weiter. Ich möchte jeden Menschen, der hier lacht und fröhlich ist, fragen, wie er lebt. Vielleicht wäre einer dabei, der mir etwas erzählen könnte, das mir helfen würde.
Nachher bringe ich das Schwälbchen nach Hause. Sie wohnt in einer grauen Mietskaserne unter dem Dach. Vor der Tür bleiben wir stehen. Ich fühle die Wärme ihrer Hand in meiner. Ungewiß schimmert ihr Gesicht aus dem Dunkel. Ein Menschengesicht, eine Hand, in der Wärme und Leben ist —»laß mich mitgehen«, sage ich hastig,»laß mich mitgehen. —«