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Wir schleichen vorsichtig die knarrenden Treppen hinauf. Ich zünde ein Streichholz an, aber sie bläst es gleich wieder aus, faßt mich bei der Hand und zieht mich hinter sich her.

Ein schmales Zimmerchen. Ein Tisch, ein braunes Sofa, ein Bett, ein paar Bilder an der Wand, in der Ecke die Nähmaschine, eine Probierpuppe aus Rohr und ein Korb mit weißer Nähwäsche.

Hurtig holt die Kleine einen Spirituskocher hervor und macht aus Apfelschalen und zehnfach aufgekochten und wieder getrockneten Teeblättern Tee zurecht. Zwei Tassen, ein lachendes, etwas verschmitztes Gesichtchen, ein rührend blaues Kleidchen, die freundliche Armut eines Zimmers, ein Schwälbchen, dessen Jugend sein einziger Besitz ist — ich setze mich ins Sofa. Beginnt so die Liebe? So leicht und spielerisch? Man muß wohl über sich selbst hinwegspringen dabei.

Das Schwälbchen ist lieb, es gehört ja wohl auch zu ihrem kleinen Leben, daß jemand kommt und es in die Arme nimmt und dann wieder geht; die Nähmaschine surrt, ein anderer kommt, das Schwälbchen lacht, das Schwälbchen weint und näht immerzu. — Es wirft eine kleine bunte Decke über die Maschine, die dadurch aus einem Arbeitstier von Nickel und Stahl zu einem Hügel von roten und blauen Seidenblumen wird. Es will nicht an den Tag erinnert sein, es kuschelt sich in meinen Arm und plaudert, es summt und murmelt und singt in seinem leichten Kleid, es ist so schmal und blaß und ein wenig verhungert und so leicht, daß man es zum Bett, zu dem eisernen Feldbett tragen kann, es hat einen so süßen Ausdruck der Hingebung, wie es sich dabei am Hals festhält, es seufzt und lächelt, ein Kind mit geschlossenen Augen, es seufzt und bebt und stammelt ein bißchen, es atmet tief und hat kleine Schreie, ich schaue es an, ich schaue es immerfort an, ich will auch so sein und frage schweigend: ist es das — ist es das? — und dann nennt mich das Schwälbchen mit allerlei bunten Namen und ist verschämt und zärtlich und schmiegt sich an, und als ich gehe und frage:»Bist du glücklich, Schwälbchen?«da küßt es mich viele Male und schneidet Grimassen und winkt und nickt und nickt. —

Ich aber steige die Treppen hinunter und bin voll Verwunderung. Sie ist glücklich — wie schnell das geht. Ich begreife es nicht. Ist sie nicht immer noch ein anderer Mensch, ein Leben für sich, in das ich nie hinein kann? Bliebe sie es nicht, auch wenn ich alle Brände der Liebe hätte? Ach, Liebe — eine Fackel, die in einen Abgrund fällt und erst zeigt, wie tief er ist.

Ich gehe über die Straßen, dem Bahnhof zu. Nein, das ist es nicht, das auch nicht. Da ist man ja noch mehr allein als sonst. —

III

Der Lichtkreis der Lampe erhellt den Tisch. Vor mir liegen Stapel von blauen Heften. Daneben steht eine Flasche mit roter Tinte. Ich sehe die Hefte durch, streiche die Fehler an, lege die Löschblätter hinein und klappe sie zu.

Dann stehe ich auf. Ist das nun das Leben? Dieses monotone Gleichmaß der Tage und Stunden? Wie wenig füllt es im Grunde doch aus! Es bleibt noch immer viel zuviel Zeit zum Denken. Ich hatte gehofft, die Einförmigkeit würde mich beruhigen. Aber sie macht mich nur unruhiger. Wie lang die Abende hier sind!

Ich gehe über die Diele. Die Kühe schnauben und stampfen im Halbdunkel. Auf niedrigen Schemeln hocken die Mägde neben ihnen, um sie zu melken. Jede sitzt für sich wie in einem kleinen Zimmer, dessen Wände nach beiden Seiten von den schwarzbunten Körpern der Tiere gebildet werden. Kleine Lichter flackern über ihnen im warmen Stalldunst, die Milch spritzt dünn in die Eimer, und die Brüste der Mädchen wippen in den blauen Waschkleidern. Sie heben die Köpfe und lächeln und atmen und zeigen gesunde weiße Zähne. Ihre Augen funkeln im Dunkel. Es riecht nach Heu und Vieh.

Ich stehe eine Zeitlang vor der Tür, dann kehre ich in mein Zimmer zurück. Die blauen Hefte liegen unter der Lampe — so werden sie immer liegen —, werde ich auch immer so sitzen, bis ich allmählich alt werde und endlich sterbe? Ich will schlafen gehen. Langsam wandert der rote Mond über das Dach der Scheune und wirft den Umriß des Fensters auf den Fußboden, ein schräges Viereck mit einem Kreuz darin, das sich unaufhörlich verschiebt, je höher es steigt. Nach einer Stunde kriecht er mein Bett herauf, und das Schattenkreuz schleicht über meine Brust. Ich liege in dem großen, blaurot karierten Bauernbett und kann nicht schlafen. Manchmal fallen mir die Augen zu, und ich sinke sausend in einen Raum ohne Grenzen — aber im letzten Augenblick reißt mich eine jäh hervorspringende Angst wieder zurück ins Wachsein, und ich höre weiter, wie die Kirchenuhr die Stunden schlägt, ich horche und warte und wälze mich herum.

Schließlich stehe ich auf und ziehe mich wieder an. Dann steige ich aus dem Fenster, hebe den Hund hinterher und lauf in die Heide hinaus. Der Mond scheint, die Luft braust, und weit dehnt sich die Ebene. Dunkel schneidet der Bahndamm hindurch.

Ich setze mich unter einen Wacholderbusch. Nach einiger Zeit sehe ich die Signallampenkette an der Bahnstrecke aufflammen. Der Nachtzug kommt. Leise und metallisch beginnen die Schienen zu dröhnen. Die Scheinwerfer der Lokomotive blitzen am Horizont auf und jagen eine Woge Licht vor sich her. Der Zug rast mit erleuchteten Fenstern vorüber, einen Atemzug lang sind die Abteile mit ihren Koffern und Schicksalen ganz nahe, dann fegen sie weiter, die Schienen glänzen wieder im nassen Licht, und aus der Feme nur noch starrt die rote Schlußlampe des Zuges wie ein glühendes Auge drohend her.

Ich sehe den Mond hell und gelb werden, ich laufe durch die blaue Dämmerung der Birkenwälder, Regentropfen sprühen mir von den Zweigen ins Genick, ich stolpere über Wurzeln und Steine, und der Morgen graut bleiern, als ich zurückkomme. Die Lampe brennt noch — verzweifelt blicke ich mich im Zimmer um — nein, das halte ich nicht aus, dazu muß man zwanzig Jahre älter sein, um sich so bescheiden zu können. —

Müde und erschöpft versuche ich, mich auszuziehen. Es gelingt mir nicht mehr. Aber noch im Einschlafen presse ich die Fäuste zusammen — ich will nicht nachlassen — noch will ich es nicht aufgeben. — Dann sinke ich wieder sausend in den Raum ohne Grenzen und schiebe mich vorsichtig weiter. Langsam, einen Zentimeter und noch einen. Die Sonne brennt auf die gelben Hänge, der Ginster blüht, die Luft ist heiß und still, Fesselballons und weiße Flakwölkchen hängen am Horizont. Vor meinem Stahlhelm schwanken die roten Blätter einer Mohnblüte.

Ein ganz schwaches, kaum vernehmliches Scharren kommt gegenüber, hinter dem Gebüsch hervor. Dann ist es wieder ruhig. Ich warte weiter. Ein Käfer mit grüngoldenen Flügeln kriecht vor mir einen Kamillenstengel hoch. Seine Fühler tasten die zackigen Blätter ab. Wieder weht ein leichtes Geräusch durch den Mittag. Jetzt taucht ein Helmrand hinter dem Gebüsch auf. Eine Stirn darunter, helle Augen, ein fester Mund — prüfend gehen die Augen über die Landschaft und kehren zu einem weißen Papierblock zurück. Der Mann zeichnet ahnungslos eine Skizze von der Ferme drüben.

Ich ziehe die Handgranate heran. Es dauert lange. Endlich liegt sie neben mir. Mit der linken Hand reiße ich sie ab und zähle lautlos. Dann schleudere ich sie in flachem Bogen gegen das Brombeergestrüpp und rutsche rasch in mein Loch zurück, presse den Körper dicht an den Boden, drücke das Gesicht ins Gras und öffne den Mund.

Der Krach der Explosion zerreißt die Luft, Splitter schwirren, ein Schrei steigt auf, lang gedehnt, rasend vor Entsetzen. Ich habe die zweite Granate in der Hand und luge über die Deckung. Der Engländer liegt jetzt frei auf dem Boden, die Unterschenkel sind weggefetzt, das Blut strömt heraus. Lang aufgerollt hängen die Streifen der Wickelgamaschen hinter ihm wie lose Bänder, er liegt auf dem Bauch, mit den Armen rudert er durch das Gras, der Mund ist weit offen und schreit.

Er wirft sich herum und sieht mich. Da stemmt er die Arme auf und bäumt sich hoch wie ein Seehund, er schreit mich an und blutet, blutet —. Dann wird das rote Gesicht fahl und fällt zusammen, der Blick zerbricht, und Augen und Mund sind nur noch schwarze Höhlen eines einstürzenden Antlitzes, das langsam sich zur Erde neigt, einknickt und in die Kamillenbüsche sinkt. Erledigt.