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Wir haben uns blitzschnell hinter einen Häuservorsprung geworfen. Eine lähmende, hundsgemeine Angst hat mich im ersten Augenblick überfallen, ganz anders als je im Felde. Dann verwandelt sie sich in Wut. Ich habe den einzelnen Mann noch gesehen, wie er sich umdrehte und vornüber fiel. Vorsichtig luge ich um die Ecke. Jetzt versucht er gerade wieder, sich hochzurichten, aber es gelingt ihm nicht. Langsam knicken die Arme ein, der Kopf sinkt, und, als sei er unendlich müde, gleitet der Körper aufs Pflaster nieder — da löst sich der Knäuel in meiner Kehle:»Nein!«schreie ich,»Nein!«Grell steht der Ruf zwischen den Häuserwänden.

Da fühle ich mich beiseitegeschoben. Ludwig Breyer steht auf und geht über den Platz auf den dunklen Klumpen Tod zu.

«Ludwig!«rufe ich.

Aber er geht weiter — weiter. — Entsetzt starre ich ihm nach.»Zurück!«kommt wieder das Kommando von der Rathaustreppe. Ludwig bleibt einen Moment stehen.»Lassen Sie nur weiterschießen, Oberleutnant Heel!«ruft er zum Rathaus hinüber. Damit geht er vorwärts und beugt sich zu dem am Boden Liegenden herunter.

Wir sehen einen Offizier die Treppe verlassen. Ohne es recht zu wissen, stehen wir plötzlich neben Ludwig und erwarten den Kommenden, der als Waffe nur einen Spazierstock trägt. Er zaudert keinen Augenblick, obschon wir jetzt zu dritt sind und ihn wegschleppen könnten, wenn wir wollten, denn seine Soldaten würden nicht zu schießen wagen, aus Furcht, ihn treffen zu können.

Ludwig richtet sich auf.»Ich gratuliere Ihnen, Oberleutnant Heel. Der Mann ist tot.«

Ein Blutstreifen läuft unter dem Rock des Toten hervor und sickert in die Furchen zwischen den Pflastersteinen. Neben der rechten Hand, die dünn und gelb aus dem Ärmel gerutscht ist, sammelt er sich zu einer Blutlache, die sich schwarz im Mondlicht spiegelt.»Breyer«, sagt Heel.

«Wissen Sie, wer es ist?«fragt Ludwig.

Heel sieht ihn an und schüttelt den Kopf.

«Max Weil.«

«Ich habe ihn laufen lassen wollen«, sagt Heel nach einer Weile, fast nachdenklich.

«Er ist tot«, antwortet Ludwig.

Heel zuckt die Achseln.

«Es war unser Kamerad«, fährt Ludwig fort.

Heel antwortet nicht.

Ludwig sieht ihn kalt an.»Ein sauberes Handwerk!«

Da rührt Heel sich.»Darauf kommt es nicht an«, sagt er ruhig,»nur auf das Ziel, Ruhe und Ordnung.«

«Ziel — «, erwidert Ludwig verächtlich,»seit wann entschuldigen Sie sich? Ziel! Sie brauchen Beschäftigung — das ist alles. Ziehen Sie Ihre Leute zurück, damit nicht weitergeschossen wird!«

Heel macht eine ungeduldige Bewegung.»Meine Leute bleiben. Wenn sie zurückgingen, würden sie morgen von einem zehnfachen Trupp überfallen werden. Das wissen Sie doch selbst. In fünf Minuten besetze ich die Straßenmündungen. Bis dahin haben Sie Zeit, den Toten wegzubringen.«

«Packt an«, sagt Ludwig zu uns. Dann wendet er sich noch einmal zu Heel.»Wenn Sie jetzt abziehen, wird niemand Sie angreifen. Wenn Sie bleiben, wird es neue Tote geben. Durch Sie! Wissen Sie das?«

«Das weiß ich«, antwortet Heel kalt.

Eine Sekunde stehen wir uns noch gegenüber. Heel sieht uns der Reihe nach an. Es ist ein sonderbarer Moment. Etwas zerbricht.

Dann nehmen wir den nachgebenden Körper Max Weils und tragen ihn fort. Die Straßen sind wieder voll Menschen. Eine breite Gasse öffnet sich uns, als wir kommen. Schreie fliegen auf:»Noskehunde! Blutpolizei! Mörder!«Aus dem Rücken Max Weils tropft das Blut.

Wir bringen ihn in das nächste Haus. Es ist die Holländische Diele. Ein paar Sanitäter sind schon da und verbinden zwei Leute, die auf dem Tanzparkett liegen. Eine Frau mit blutiger Schürze stöhnt und will immerfort nach Hause. Sie haben Mühe, sie festzuhalten, bis eine Tragbahre geholt wird und ein Arzt kommt. Sie hat einen Bauchschuß. Neben ihr liegt ein Mann, der noch seine alte Militärjoppe anhat. Beide Knie sind ihm durchschossen worden. Seine Frau kniet bei ihm und jammert:»Er hat doch gar nichts getan! Er ist doch nur so vorbeigegangen! Ich habe ihm ja bloß sein Essen gebracht!«Sie zeigt auf den grauemaillierten Henkeltopf.»Nur sein Essen. —«

Die Tänzerinnen der Holländischen Diele haben sich in eine Ecke gedrückt. Der Geschäftsführer läuft aufgeregt hin und her und fragt, ob man die Verletzten nicht anderswo hinbringen könne. Sein Geschäft werde ruiniert, wenn es sich herumspräche. Kein Gast würde mehr tanzen wollen. Anton Demuth in seiner goldenen Portiersuniform hat eine Flasche Kognak geholt und hält sie dem Verwundeten an den Mund. Der Geschäftsführer sieht entsetzt zu und macht ihm Zeichen. Anton läßt sich nicht stören.»Glaubst du, daß ich die Beine behalte?«fragt der Verletzte,»ich bin Chauffeur!«

Die Tragbahren kommen. Draußen knattern wieder Schüsse. Wir springen auf. Johlen, Geschrei und das Klirren von Scheiben folgt. Wir laufen hinaus.»Reißt das Pflaster auf!«ruft jemand und haut eine Spitzhacke in die Steine. Matratzen werden herabgeworfen, Stühle, ein Kinderwagen. Vom Platz her blitzen Schüsse. Von den Dächern knallt es jetzt zurück.

«Laterne aus!«Ein Mann springt vor und wirft einen Backstein hinein. Sofort ist es dunkel.»Kosole!«ruft Albert. Er ist es. Valentin ist bei ihm. Wie ein Strudel haben die Schüsse alle herangezogen.»Ran, Ernst, Ludwig, Albert!«brüllt Kosole,»die Schweine schießen auf Frauen!«

Wir liegen in Haustüren, Schüsse peitschen, Menschen schreien, wir sind überschwemmt, mitgerissen, verwüstet, rasend vor Haß, Blut spritzt auf das Pflaster, wir sind wieder Soldaten, es hat uns wieder, krachend und tobend rauscht der Krieg über uns, zwischen uns, in uns — aus ist alles, die Kameradschaft durchlöchert mit Maschinengewehren, Soldaten schießen auf Soldaten, Kameraden auf Kameraden, zu Ende, zu Ende! —

III

Adolf Bethke hat sein Haus verkauft und ist in die Stadt gezogen.

Als er die Frau wieder bei sich aufgenommen hatte, ging alles eine Weile gut. Er tat seine Arbeit, sie tat die ihre, und es schien, als ob die Dinge in die Reihe kommen würden.

Doch das Dorf begann zu zischeln. Wenn die Frau abends über die Straße ging, wurde hinter ihr hergerufen; Burschen, die ihr begeg- neten, lachten ihr frech ins Gesicht; Weiber hielten sich mit deutlicher Geste die Röcke weg. Die Frau sagte nie etwas davon zu Adolf. Aber sie schwand dahin und wurde täglich blasser.

Adolf ging es ähnlich. Trat er in eine Kneipe, so verstummte das Gespräch — besuchte er jemanden, so empfing ihn verlegenes Schweigen — versteckte Fragen wagten sich allmählich hervor — im Suff kamen tölpische Anspielungen, und ein höhnisches Gelächter kollerte manchmal hinter ihm her. Er wußte nichts Rechtes dagegen zu tun; denn wozu sollte er dem ganzen Dorf Rede stehen über etwas, das allein seine Sache war und das nicht einmal der Pastor begriff, der ihn mißmutig hinter seinen goldenen Brillengläsern hervor musterte, wenn er an ihm vorüberging. Es quälte ihn; aber auch Adolf sprach nie mit seiner Frau darüber. So lebten sie eine Zeitlang nebeneinander her, bis die Meute sich an einem Sonntagabend weiter hervorwagte und der Frau in Gegenwart Adolfs etwas zugerufen wurde. Adolf fuhr hoch. Doch sie legte ihm die Hand auf den Arm.»Laß doch, das tun sie so oft, daß ich es schon gar nicht mehr höre.«

«Oft?«— Mit einem Male begriff er, weshalb sie so still geworden war. Wütend sprang er auf, um sich einen der Schreier zu greifen. Aber sie verschwanden hinter den zusammengeschobenen Rücken ihrer Genossen.

Sie gingen nach Hause und legten sich schweigend zu Bett. Adolf starrte vor sich hin. Da hörte er einen leisen, unterdrückten Laut. Die Frau weinte unter ihrer Bettdecke. Vielleicht hatte sie schon oft so gelegen, während er schlief.»Sei ruhig, Marie«, sagte er leise,»wenn sie auch alle reden. «Aber sie weinte weiter. Er fühlte sich hilflos und allein. Das Dunkel stand feindlich hinter den Fenstern, und die Bäume rauschten wie alte Klatschweiber. Vorsichtig legte er die Hand auf die Schulter der Frau. Sie sah ihn mit tränenvollem Gesicht an.»Adolf, laß mich Weggehen, dann hören sie auf damit. —«