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Die Spannung weicht. Die Amerikaner kommen heran. Einen Augenblick später sind wir von ihnen umringt. So nahe haben wir sie bisher nur gesehen, wenn sie gefangen oder tot waren.

Es ist ein sonderbarer Moment. Schweigend blicken wir sie an. Sie stehen im Halbkreis um uns herum, lauter große, kräftige Leute, denen man gleich ansieht, daß sie immer satt zu essen gehabt haben. Alle sind jung — nicht einer von ihnen ist annähernd so alt wie Adolf Bethke oder Ferdinand Kosole — und das sind doch noch längst nicht unsere Ältesten. Aber auch keiner von ihnen ist so jung wie Albert Troßke oder Karl Bröger — und das sind noch immer nicht unsere Jüngsten.

Sie tragen neue Uniformen und neue Mäntel; ihre Schuhe sind wasserdicht und passen genau; ihre Waffen sind gut und ihre Taschen voller Munition. Alle sind frisch und unverbraucht.

Gegen diese Leute sind wir die reine Räuberbande. Unsere Uniformen sind gebleicht vom Dreck der Jahre, vom Regen der Argonnen, vom Kalk der Champagne, vom Sumpfwasser in Flandern — die Mäntel zerfetzt von Splittern und Schrapnells, geflickt mit groben Stichen, steif von Lehm und manchmal von Blut —, die Stiefel zer- latscht, die Waffen ausgeleiert, die Munition fast zu Ende; alle sind wir gleich dreckig, gleich verwildert, gleich müde. Der Krieg ist wie eine Dampfwalze über uns hinweggegangen.

Immer mehr Truppen rücken heran. Der Platz ist jetzt voll von Neugierigen.

Wir stehen immer noch in der Ecke, um unsere Verwundeten gedrängt — nicht weil wir Angst haben, sondern weil wir zusammengehören. Die Amerikaner stoßen sich an und zeigen auf unsere alten, verbrauchten Sachen. Einer bietet Breyer ein Stück weißes Brot an, aber der nimmt es nicht, obschon in seinen Augen der Hunger steht.

Plötzlich deutet jemand mit einem unterdrückten Ausruf auf die Verbände unserer Verwundeten. Sie bestehen aus Krepp-Papier und sind mit Bindfäden umschnürt. Alle blicken hin — dann treten sie zurück und flüstern miteinander. Ihre freundlichen Gesichter werden mitleidig, weil sie sehen, daß wir nicht einmal mehr Mullbinden haben.

Der Mann, der uns vorhin gerufen hat, legt Bethke die Hand auf die Schulter.»Deutsche — gute Soldat — «sagt er,»brave Soldat. — «Die anderen nicken eifrig.

Wir antworten nicht, denn wir können jetzt nicht antworten. Die letzten Wochen haben uns mächtig mitgenommen. Wir mußten immer wieder ins Feuer und verloren unnütz Leute; aber wir haben nicht viel gefragt, sondern haben es getan, wie wir es all die Zeit getan haben, und zum Schluß hatte unsere Kompanie noch zweiunddreißig Mann von zweihundert. So sind wir herausgekommen, ohne weiter nachzudenken und ohne mehr zu fühlen, als daß wir richtig gemacht haben, was uns aufgetragen worden war.

Jetzt aber, unter den mitleidigen Augen der Amerikaner, begreifen wir, wie sinnlos das alles zuletzt noch gewesen ist. Der Anblick ihrer endlosen, reichlich ausgerüsteten Kolonnen zeigt uns, gegen welch eine hoffnungslose Übermacht an Menschen und Material wir standgehalten haben.

Wir beißen uns auf die Lippen und sehen uns an. Bethke zieht die Schulter unter der Hand des Amerikaners fort, Kosole starrt vor sich hin, Ludwig Breyer richtet sich auf — wir fassen unsere Gewehre fester, unsere Knochen straffen sich, die Augen werden härter und senken sich nicht, wir sehen wieder die Landschaft entlang, aus der wir kommen, unsere Gesichter werden verschlossen vor Bewegung, und heiß geht es noch einmal durch uns hin: alles, was wir getan, alles, was wir gelitten und alles, was wir zurückgelassen haben.

Wir wissen nicht, was mit uns ist; aber wenn jetzt ein scharfes Wort hineinflöge, so würde es uns zusammenreißen, ob wir wollten oder nicht, wir würden vorstürzen und losbrechen, wild und atemlos, verrückt und verloren, und kämpfen — trotz allem wieder kämpfen —.

Ein stämmiger Sergeant mit erhitztem Gesicht schiebt sich zu uns durch. Er übersprudelt Kosole, der ihm am nächsten steht, mit einem Schwall deutscher Worte. Ferdinand zuckt zusammen, so überrascht ihn das.

«Der spricht ja genau wie wir«, sagt er verwundert zu Bethke,»was sagst du nun?«

Der Mann spricht sogar besser und geläufiger als Kosole. Er erzählt, daß er vor dem Kriege in Dresden gewesen wäre und dort viele Freunde hätte.

«In Dresden?«fragt Kosole immer verblüffter,»da war ich ja auch zwei Jahre. —«

Der Sergeant lächelt, als wäre das eine Auszeichnung. Er nennt die Straße, in der er gewohnt hat.

«Keine fünf Minuten von mir«, erklärt Ferdinand jetzt aufgeregt,»daß wir uns da nicht gesehen haben! Kennen Sie vielleicht die Witwe Pohl, Ecke Johannisgasse? So eine Dicke mit schwarzen Haaren? Meine Wirtin.«

Der Sergeant kennt sie zwar nicht, dafür aber den Rechnungsrat Zander, auf den sich wiederum Kosole nicht besinnen kann. Aber beide erinnern sich an die Elbe und an das Schloß und strahlen sich deshalb an, als wären sie alte Freunde. Ferdinand haut dem Sergeanten auf den Oberarm:»Mensch, Mensch — quatscht deutsch wie ein Alter und ist in Dresden gewesen! Mann, wozu haben wir beide eigentlich Krieg geführt?«

Der Sergeant lacht und weiß es auch nicht. Er holt ein Päckchen Zigaretten heraus und hält es Kosole hin. Der greift eilig zu, denn für eine Zigarette würde jeder von uns gern ein Stück seiner Seele hingeben. Unsere eigenen sind nur aus Buchenlaub und Heu, und das ist noch die bessere Sorte. Valentin Laher behauptet, die gewöhnlichsten wären aus Seegras und getrocknetem Pferdemist — und Valentin ist Kenner.

Kosole bläst den Rauch voll Genuß von sich. Wir schnuppern gierig. Laher wird blaß. Seine Nasenflügel beben.»Gib mal einen Zug«, sagt er flehentlich zu Ferdinand. Aber ehe er die Zigarette nehmen kann, hält ihm ein anderer Amerikaner ein Paket Virginiatabak entgegen. Ungläubig sieht Valentin ihn an. Dann nimmt er es und riecht daran. Sein Gesicht verklärt sich. Zögernd gibt er den Tabak zurück. Doch der andere wehrt ab und deutet heftig auf die Kokarde an Lahers Krätzchen, das aus dem Brotbeutel hervorlugt.

Valentin versteht ihn nicht.»Er will den Tabak gegen die Kokarde tauschen«, erklärt der Sergeant aus Dresden. Das versteht Laher noch weniger. Diesen erstklassigen Tabak gegen eine blecherne Kokarde — der Mann muß übergeschnappt sein. Valentin würde das Päckchen nicht rausrücken, selbst wenn er dafür auf der Stelle Unteroffizier oder Leutnant werden könnte. Er bietet dem anderen gleich die ganze Mütze an und stopft sich mit zitternden Händen gierig die erste Pfeife.

Wir haben jetzt begriffen, was los ist: die Amerikaner wollen tauschen. Man merkt, daß sie noch nicht lange im Kriege sind; sie sammeln noch Andenken, Achselklappen, Kokarden, Koppelschlösser, Orden, Uniformknöpfe. Wir versorgen uns dagegen mit Seife, Zigaretten, Schokolade und Konserven. Für unsern Hund wollen sie uns sogar eine ganze Handvoll Geld obendrein geben — aber da können sie bieten, was sie wollen, Wolf bleibt bei uns. Dafür haben wir mit unseren Verwundeten Glück. Ein Amerikaner mit so viel Gold im Munde, daß die Schnauze wie eine Messingwerkstatt glänzt, will gerne Verbandsfetzen mit Blut daran haben, um zu Hause beweisen zu können, daß sie tatsächlich aus Papier gewesen sind. Er bietet erstklassigen Keks und vor allem einen Arm voll Verbandszeug dafür. Sorgfältig und sehr zufrieden verstaut er die Lappen in seiner Brieftasche, besonders die von Ludwig Breyer, denn das ist ja Leutnantsblut. Ludwig hat mit Bleistift Ort, Namen und Truppenteil darauf schreiben müssen, damit jeder in Amerika gleich sehen kann, daß die Sache kein Schwindel ist. Zuerst wollte er zwar nicht — aber Weil redete ihm zu, denn wir brauchen das gute Verbandzeug bitter nötig. Außerdem ist der Keks für ihn mit seiner Ruhr direkt eine Rettung.

Den besten Schlag jedoch macht Arthur Ledderhose. Er schleppt eine Kiste mit Orden heran, die er in einer verlassenen Schreibstube gefunden hat. Ein ebenso zerknitterter Amerikaner wie er, mit ebensolchem Zitronengesicht, will die ganze Kiste auf einmal erwerben. Aber Ledderhose sieht ihn nur mit einem langen überlegenen Blick