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Sie stand auf, die Kerze brannte noch, ihr Schatten schwankte groß durch den Raum, er glitt über die Wände, und sie war klein und schwach dagegen in dem geringen Licht. So saß sie auf dem Bettrand und griff nach ihren Strümpfen und ihrer Bluse. Sonderbar und riesig griff der Schatten mit, wie ein lautloses Schicksal, das aus dem schwarzen Lauern draußen durch die Fenster hereingeschlichen war und nun grotesk, verzerrt und höhnisch kichernd alle Bewegungen mitmachte — gleich würde es seine Beute anfallen und sie hinausschleppen in das sausende Dunkel. Adolf sprang auf und riß die weißen Mullvorhänge vor die Fenster, als könne er das niedrige Zimmer dadurch absperren gegen die Nacht, die durch die schwarzen viereckigen Löcher mit gierigen Eulenaugen starrte.

Die Frau hatte die Strümpfe schon übergestreift und griff nach ihrem Leibchen. Da stand Adolf neben ihr.»Aber Marie — «Sie blickte auf und ließ die Hände sinken. Das Leibchen fiel zu Boden. Adolf sah den Jammer in ihren Augen, den Jammer der Kreatur, den Jammer eines geschlagenen Tieres, den ganzen trostlosen Jammer derer, die sich nicht wehren können. Er nahm die Frau um die Schulter. Wie weich und warm sie war, wie konnte man nur mit Steinen nach ihr werfen, hatten sie nicht beide guten Willen? Warum hetzte und jagte man sie so erbarmungslos? Er zog sie an sich, und sie gab nach, sie legte die Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Brust. So standen sie beide fröstelnd in ihren Nachthemden da und fühlten einander und wollten einer sich an der Wärme des anderen erlösen, sie hockten sich auf den Bettrand und sprachen wenig, und als der Schatten vor ihnen wieder über die Wand zitterte, weil der Kerzendocht sich schräg legte und die Flamme verlöschen wollte, zog Adolf die Frau mit einer zarten Bewegung wieder in das Bett, das hieß: wir bleiben zusammen, wir wollen es wieder versuchen — und er sagte:»Wir gehen fort von hier, Marie. «Das war der Ausweg.

«Ja, Adolf, laß uns Weggehen!«Sie warf sich an ihn heran und weinte jetzt erst laut heraus. Er hielt sie fest und wiederholte immer wieder:»Morgen suchen wir einen Käufer — morgen gleich —. «Und in einem Wirbel von Vorsätzen, Hoffnung, Wut und Trauer nahm er sie, die Verzweiflung wurde zu Glut, bis sie verstummte und das Weinen schwächer wurde wie bei einem Kinde, und endlich erstarb zu Erschöpfung und friedlichem Atem. Die Kerze war verlöscht, die Schatten waren fort, die Frau schlief, aber Adolf lag noch lange wach in seinem Bett und grübelte. Spät in der Nacht erwachte die Frau und fühlte, daß sie die Strümpfe noch trug, die sie angezogen hatte, als sie fort wollte. Sie streifte sie ab und strich darüber hin, bevor sie sie auf den Stuhl neben ihrem Bett legte.

Zwei Tage später verkaufte Adolf Bethke sein Haus und seine Werkstatt. Er fand kurze Zeit darauf eine Tauschwohnung in der Stadt. Die Möbel wurden aufgeladen. Der Hund mußte zurückgelassen werden. Am schwersten aber war der Abschied von seinem Garten. Es war doch nicht leicht, so fortzugehen, und Adolf wußte nicht, was daraus noch werden sollte. Die Frau jedoch war willig und still.

Das Haus in der Stadt ist feucht und lichtlos, die Treppengeländer sind schmutzig und beschlagen vom Waschküchengeruch, die Luft dumpf von Nachbarnhaß und ungelüfteten Zimmern. Arbeit ist wenig da, um so mehr Zeit zum Grübeln. Die beiden werden nicht froh. Es ist, als ob ihnen alles gefolgt sei. Adolf hockt in der Küche und begreift nicht, daß es nicht anders werden will. Wenn sie sich abends gegenübersitzen, wenn sie Zeitungen gelesen, das Essen vom Tisch geräumt haben, dann steht wieder der Hohlraum der Schwermut um das Haus, und ihm wird schwindlig vom Horchen und Nachdenken. Die Frau macht sich zu schaffen, sie putzt den Herd, und wenn er sagt:»Komm, Marie«, so legt sie Lappen und Schmirgel weg und kommt, und wenn er sie herunterzieht und flüstert, erbärmlich allein:»Wir kriegen es schon«, dann nickt sie, aber sie bleibt still, sie ist nicht lustig, wie er es möchte. Er weiß nicht, daß es ebenso sehr an ihm liegt wie an ihr, daß sie sich auseinandergelebt haben in den vier Jahren, als sie nicht zusammen waren, und daß der eine den anderen jetzt bedrückt. Er fährt sie an:»So sprich doch was. «Sie erschrickt; und willfährig sagt sie etwas, was soll sie denn schon sagen, was passiert schon hier in diesem Hause, in ihrer Küche — und wenn es zwischen zwei Menschen erst so ist, daß sie sprechen sollen, dann werden sie nie genug sprechen können, um es in Ordnung zu bringen. Sprechen ist gut, wenn Glück dahinter steht, wenn es leicht und lebendig fließt, aber was sollen so wetterwendische und mißzuverstehende Dinge wie Worte schon helfen, wenn man im Unglück ist. Sie machen es nur noch schlimmer.

Adolf folgt den Bewegungen der Frau mit den Augen, und er sieht dahinter eine andere, junge, fröhliche, die Frau seiner Erinnerung, die er nicht vergessen kann. Der Argwohn flackert auf, und gereizt wirft er hin:»Denkst wohl immer noch an den Kerl, was?«Und als sie ihn groß ansieht und er sein Unrecht merkt, wühlt er gerade deshalb weiter:»Muß doch so sein, warst doch früher anders! Warum bist du denn wiedergekommen? Hättest ja bei ihm bleiben können!«Jedes Wort tut ihm selbst weh, aber wer schwiege darum! Er redet weiter, bis die Frau am Gossenstein in der Ecke steht, wo das Licht nicht hinfällt, und wieder weint, wie ein Kind, das sich verlaufen hat.

Ach, Kinder sind wir alle, verlaufene, törichte Kinder, und immer steht die Nacht um unser Haus.

Er hält es nicht aus, er geht fort und läuft ziellos durch die Straßen, er steht vor den Schaufenstern, ohne etwas zu sehen, er läuft dahin, wo es hell ist. Elektrische Bahnen klingeln, Autos pfeifen vorüber, Menschen stoßen ihn an, und unter dem gelben Lichthof der Laternen stehen die Huren. Sie wiegen die stämmigen Hintern, sie lachen und haken sich ein, er fragt:»Bist du lustig?«, und dann geht er mit ihnen, froh, etwas anderes zu sehen und zu hören. Aber nachher steht er wieder herum, nach Hause will er nicht, und nach Hause möchte er doch, er rennt durch die Kneipen und säuft sich voll.

So finde ich ihn und höre ihm zu und betrachte ihn, wie er mit trüben Augen dasitzt und Worte hervorstößt und trinkt: Adolf Bethke, der umsichtigste, beste Soldat, der treueste Kamerad, der vielen geholfen und so manche gerettet hat. Schutz und Trost, Mutter und Bruder oft für mich draußen, wenn die Leuchtschirme flatterten, und die Nerven von Angriff und Tod zerrissen waren — Seite an Seite haben wir geschlafen in den nassen Stollen, und er hat mich zugedeckt, als ich krank war, alles konnte er, immer wußte er Rat — hier aber hängt er im Drahtverhau und zerreißt sich Hände und Gesicht, und seine Augen sind schon trübe geworden. —

«Mensch, Ernst«, sagt er mit trostloser Stimme,»wären wir doch draußen geblieben — da waren wir wenigstens zusammen. «Ich antworte nicht — ich sehe nur meinen Ärmel an, auf dem ein paar rötlich verwaschene Blutflecken sitzen. Es ist das Blut von Weil, der auf Kommando von Heel erschossen wurde. So weit sind wir jetzt. Es ist wieder Krieg; aber die Kameradschaft ist nicht mehr.

IV

Tjaden feiert Hochzeit mit der Pferdemetzgerei. Das Geschäft hat sich zu einer wahren Goldgrube entwickelt und Tjadens Neigung zu Mariechen ist in gleichem Maße gewachsen.

Morgens fährt das Brautpaar in einer schwarz lackierten, mit weißer Seide ausgeschlagenen Kutsche zur Trauung, vierspännig natürlich, wie es für ein Unternehmen, das von Pferden lebt, gehört. Willy und Kosole sind als Trauzeugen bestimmt. Willy hat sich zu diesem feierlichen Anlaß ein Paar weiße Handschuhe aus echter Baumwolle gekauft. Das hat viel Mühe gekostet. Karl mußte zunächst ein halbes Dutzend Bezugscheine besorgen, und dann ging zwei Tage lang das Suchen los — denn kein Geschäft hatte Willys Größe vorrätig. Doch es hat sich gelohnt. Die kalkweißen Säcke, die er schließlich erwischt hat, wirken überwältigend zu dem frisch gefärbten Cut. Tjaden ist im Frack, Mariechen im Brautkleid mit Schleppe und Myrtenkranz. Kurz vor der Abfahrt zum Standesamt gibt es noch einen Zwischenfall. Kosole kommt an, sieht Tjaden im Frack und kriegt einen Lachkrampf. Kaum ist er einigermaßen wieder zu sich gekommen und wirft erneut einen Blick zur Seite, wo Tjadens abstehende Ohren über dem hohen Kragen schimmern, da geht es abermals los. Es hilft nichts, er würde mitten in der Kirche losbrüllen und die ganze Trauung gefährden — deshalb muß ich im letzten Moment als Trauzeuge einspringen.