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Die ganze Pferdemetzgerei ist festlich geschmückt. Am Eingang stehen Blumen und junge Birken, und sogar der Schlächterraum hat eine Girlande aus Tannenreisern, auf denen Willy unter großem Beifall ein Schild» Herzlich Willkommen «anbringt.

Selbstverständlich gib es kein Stück Pferdefleisch bei Tisch; bestes Schweinefleisch dampft in den Schüsseln und ein riesiger Kalbsbraten steht aufgeschnitten vor uns.

Nach dem Kalbsbraten zieht Tjaden seinen Frack aus und legt den Kragen ab. Das ermöglicht Kosole, besser einzuhauen, denn bislang durfte er nicht zur Seite blicken, ohne sich der Gefahr eines Erstik- kungsanfalles auszusetzen. Wir folgen Tjadens Beispiel und es wird gemütlich.

Nachmittags verliest der Schwiegervater ein Dokument, das Tjaden zum Mitbesitzer der Schlächterei macht. Wir gratulieren ihm, und Willy trägt behutsam mit seinen weißen Handschuhen unser Hochzeitsgeschenk herein: ein Messingtablett mit einer Garnitur von zwölf geschliffenen Kristallschnapsgläsern. Dazu drei Flaschen Kognak aus Karls Beständen.

Abends kommt Ludwig einen Augenblick. Auf Tjadens dringende Bitte ist er in Uniform erschienen, denn Tjaden will seinen Leuten zeigen, daß er einen richtigen Leutnant zum Freunde hat. Aber er geht bald wieder. Wir ändern bleiben, bis nur noch Knochen und leere Flaschen auf dem Tische stehen.

Als wir endlich auf die Straße kommen, ist es Mitternacht. Albert macht den Vorschlag, noch ins Cafe Gräger zu gehen.

«Da ist ja längst alles zu«, sagt Willy.

«Wir können hintenrum reinkommen«, beharrt Albert,»Karl weiß Bescheid.«

Wir haben alle keine rechte Lust mehr. Doch Albert drängt so lange, bis wir endlich nachgeben. Ich bin verwundert darüber, denn sonst ist er immer der erste, der nach Hause will.

Obwohl bei Gräger vorn alles dunkel und still ist, geraten wir in einen mächtigen Betrieb, als wir hintenherum über den Hof hineinkommen. Gräger ist das Lokal der Schieber; da geht es fast jeden Tag bis morgens durch.

Ein Teil des Raumes besteht aus kleinen Kojen mit roten Samtvorhängen. Das ist die Weinabteilung. Die meisten Vorhänge sind zugezogen. Quietschen und Lachen ertönt dahinter hervor. Willy grinst von einem Ohr bis zum ändern.»Grägers Privatpuff.«

Wir nehmen weiter vorn Platz. Das Cafe ist voll besetzt. Rechts sind die Tische der Huren. Wo Geschäfte gedeihen, blüht die Lebensfreude. Deshalb sind zwölf Weiber hier nicht einmal zuviel. Allerdings haben sie Konkurrenz. Karl zeigt uns Frau Nickel, einen üppigen, schwarzen Feger. Ihr Mann ist nur ein kleiner Gelegenheitsschieber, der ohne sie verhungert wäre. Sie hilft ihm deshalb, indem sie mit seinen Geschäftspartnern gewöhnlich vorher ein Stunde allein in ihrer Wohnung verhandelt. An allen Tischen herrscht erregtes Hin und Her. Getuschel, Geflüster, Gezischei und Radau. Leute mit englischen Anzügen und neuen Hüten werden von anderen mit Joppen, ohne Kragen, in die Ecke gezogen, geheimnisvoll werden Päckchen und Proben aus den Taschen geholt, geprüft, zurückgewiesen, wieder angeboten, Notizbücher erscheinen, Bleistifte sind in Bewegung, ab und zu stürzt jemand zum Telefon oder nach draußen, und die Luft schwirrt nur so von Waggons, Kilos, Butter, Heringen, Speck, Ampullen, Dollars, Gulden, Aktiennamen und Zahlen. Dicht neben uns wird besonders eifrig über einen Waggon Kohle debattiert. Aber Karl macht nur eine abweisende Geste.»Das sind alles Luftgeschäfte. Der eine hat mal irgendwo etwas gehört, ein zweiter vermittelt weiter, ein dritter interessiert einen vierten, sie rennen herum und tun sich wichtig, aber es steckt fast nie etwas dahinter. Das sind nur Mitläufer, die gern eine Provision schnappen möchten. Die echten Schieberfürsten machen ihre Geschäfte höchstens mit ein bis zwei Mittelspersonen, die sie kennen. Da drüben der Dicke hat gestern zwei Waggons Eier in Polen gekauft. Die laufen jetzt angeblich nach Holland, werden unterwegs anders deklariert und kommen dann als frische holländische Trinkeier zum dreifachen Preis wieder zurück. Das da vorn sind Kokainhändler; sie verdienen natürlich kolossal. Links sitzt Diederichs; der handelt nur mit Speck. Auch sehr gut.«

«Wegen diesen Schweinen müssen wir nun Kohldampf schieben«, knurrt Willy.

«Das müßtest du ohne sie auch«, erwidert Karl.»Vorige Woche wurden noch zehn Faß Butter von Staats wegen verkauft, weil sie völlig verdorben waren durch das lange Stehen. Mit dem Getreide ist das ebenso. Bartscher hat neulich noch ein paar Fuder für ein paar Pfennige kaufen können, weil sie dem Staat in einem baufälligen Schuppen ganz verregnet und verpilzt waren.«

«Wie heißt der?«fragt Albert.

«Bartscher. Julius Bartscher.«

«Ist der öfter hier?«—

«Ich glaube wohl«, sagt Karl,»willst du mit ihm Geschäfte machen?«—

Albert schüttelt den Kopf.»Hat er Geld?«

«Wie Heu«, erwidert Karl mit einem gewissen Respekt.

«Seht mal, da kommt Arthur!«ruft Willy lachend.

Der kanariengelbe Gummimantel taucht in der Hintertür auf. Ein paar Leute stehen auf und stürzen auf ihn los. Ledderhose schiebt sie beiseite, grüßt gönnerhaft diesen und jenen und geht zwischen den Tischen weiter wie ein General. Erstaunt sehe ich, welch einen harten, unangenehmen Ausdruck sein Gesicht gekriegt hat, einen Ausdruck, der bleibt, auch wenn er lächelt.

Er begrüßt uns ziemlich von oben herab.»Setz dich, Arthur«, schmunzelt Willy. Ledderhose zögert, aber er kann der Versuchung nicht widerstehen, uns hier in seinem Reich mal zu zeigen, was für ein Kerl er geworden ist.

«Nur für einen Augenblick«, sagt er und nimmt den Stuhl von Albert, der gerade durchs Lokal streift, als suche er jemand. Ich will hinter ihm herlaufen, lasse es aber, weil ich glaube, daß er nur mal in den Hof muß. Ledderhose läßt Schnaps anfahren und beginnt, über zehntausend Militärstiefel und zwanzig Waggons Altmaterial mit einem Manne zu verhandeln, dessen Finger nur so blitzen von Diamanten. Ab und zu vergewissert Arthur sich durch einen Blick, ob wir auch zuhören.

Albert aber geht die Kojen entlang. Jemand hat ihm etwas erzählt, das er nicht glauben kann, und das ihm trotzdem den ganzen Tag wie ein Brett im Kopf sitzt. Als er durch den Spalt der vorletzten Koje späht, hat er das Gefühl, als ob ein riesiges Beil auf ihn heruntersause. Er taumelt eine Sekunde, dann reißt er den Vorhang beiseite.

Sektgläser stehen auf dem Tisch, ein Bukett Rosen liegt daneben, das Tischtuch ist verschoben und hängt halb auf dem Boden. Hinter dem Tisch kauert eine blonde Person in einem Sessel. Das Kleid ist heruntergestreift, das Haar zerzaust, die Brüste sind noch frei. Das Mädchen hat Albert den Rücken zugewandt, es summt einen Schlager und kämmt sich vor einem kleinen Spiegel.»Lucie«, sagt Albert heiser. Sie fährt herum und starrt ihn an wie ein Gespenst. Krampfhaft versucht sie zu lächeln, aber das Zucken ihres Gesichtes erstirbt, als sie sieht, wie Alberts Blick auf ihren nackten Brüsten haftet. Es gibt nichts mehr zu lügen. Angstvoll drückt sie sich hinter den Sessel.»Albert — ich habe keine Schuld — «, stammelt sie,»er — er ist es gewesen — «, und plötzlich plappert sie ganz schnelclass="underline" »Er hat mich betrunken gemacht, Albert, ich habe es gar nicht gewollt, er hat mir immer mehr gegeben, ich habe von nichts mehr gewußt, ich schwöre es dir…«