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«Was ist denn hier los?«fragt jemand hinter ihm. Bartscher ist vom Hof zurückgekehrt und wiegt sich in den Knien hin und her. Er bläst Albert den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht.»Bißchen nassauern, was? Marsch, abfahren!«

Albert steht einen Augenblick wie betäubt vor ihm. Mit ungeheurer Deutlichkeit springen ihm der gewölbte Bauch, das karierte Muster des braunen Anzugs, die goldene Uhrkette und das breite rote Gesicht des ändern ins Gehirn.

In diesem Moment blickt Willy von unserm Tisch aus zufällig auf, springt sofort hoch, wirft ein paar Leute um und rennt durchs Lokal. Doch es ist zu spät. Ehe er ankommt, hat Albert seinen Feldrevolver in der Hand und schießt. Wir laufen hin.

Bartscher hat versucht, sich mit einem Stuhl zu decken — doch er hat ihn nur bis zur Augenhöhe gekriegt. Alberts Schuß aber sitzt zwei Zentimeter darüber in der Stirn. Er hat kaum gezielt — er war immer schon der beste Schütze in der Kompanie, und mit seinem Feldrevolver weiß er seit Jahren Bescheid.

Bartscher kracht zu Boden. Die Füße zucken. Der Schuß war tödlich. Das Mädchen kreischt.»Raus!«schreit Willy und hält die anstürmenden Gäste in Schach. Wir reißen Albert, der bewegungslos dasteht und das Mädchen ansieht, durch den Hof, über die Straße, um die nächsten Ecken, auf einen dunklen Platz, wo zwei Möbelwagen stehen. Willy kommt nach.»Du mußt sofort verschwinden, diese Nacht noch!«sagt er keuchend.

Albert sieht ihn an, als erwache er jetzt erst. Dann macht er sich los.»Laß nur, Willy«, antwortet er schwerfällig,»ich weiß, was ich jetzt zu tun habe.«

«Bist du verrückt?«schnauzt Kosole.

Albert taumelt etwas. Wir halten ihn. Er wehrt uns wieder ab.»Nein, Ferdinand«, sagt er leise, als sei er sehr müde,»wer das eine macht, muß auch das andere tun.«

Er geht langsam der Straße zu.

Willy läuft ihm nach und redet auf ihn ein. Albert schüttelt nur den Kopf und geht zur Mühlenstraße. Willy folgt ihm.

«Man muß ihn mit Gewalt wegbringen«, ruft Kosole,»er bringt es fertig, zur Polizei zu laufen!«

«Ich glaube, es nützt nichts, Ferdinand«, sagt Karl verstört,»ich kenne Albert.«

«Aber der Mann wird doch davon nicht wieder lebendig«, schreit Ferdinand,»was nützt ihm das? Albert muß weg!«

Wir sitzen schweigend herum und warten auf Willy.

«Wie konnte er das nur machen?«fragt Kosole nach einer Weile.

«Er hat so an dem Mädchen gehangen«, sage ich.

Willy kommt allein zurück. Kosole springt auf.»Ist er weg?«

Willy wendet den Kopf ab.»Zur Polizei gegangen. Es war nichts zu machen. Fast hätte er auch noch auf mich geschossen, als ich ihn wegschleppen wollte.«

«Verflucht!«Kosole legt den Kopf auf die Wagendeichsel. Willy läßt sich ins Gras fallen. Karl und ich lehnen an den Wänden des Möbelwagens.

Kosole, Ferdinand Kosole schluchzt wie ein kleines Kind.

V

Ein Schuß ist gefallen, ein Stein hat sich gelöst, eine dunkle Hand hat zwischen uns gegriffen. Wir sind vor einem Schatten davongelaufen, aber wir sind im Kreise gelaufen, und der Schatten hat uns eingeholt.

Wir haben gelärmt und gesucht, wir haben uns verhärtet und hingegeben, wir haben uns geduckt und sind angesprungen, wir haben uns verirrt und sind weitergelaufen — aber immer spürten wir den Schatten im Genick und wollten ihm entrinnen. Wir haben geglaubt, er jage hinter uns her — und wir haben nicht gewußt, daß wir ihn mitgeschleppt haben, daß da, wo wir waren, schweigend auch er war

— daß er nicht hinter uns, sondern in uns war —, in uns selber.

Wir haben Häuser bauen wollen, wir hatten Sehnsucht nach Gärten und Terrassen, denn wir wollten das Meer sehen und den Wind fühlen — aber wir dachten nicht daran, daß Häuser ein Fundament brauchen. Wir waren wie die verlassenen Trichterfelder in Frankreich — sie sind ebenso still wie die Äcker ringsum, aber in ihnen sitzt noch die verschüttete Munition — und solange ist der Pflug gefährlich und gefährdet, bis sie ausgegraben und fortgeräumt ist.

Wir sind immer noch Soldaten, ohne es gewußt zu haben. Wäre Alberts Jugend friedlich und ohne Bruch gewesen, so hätte er vieles gehabt, das warm und vertraut mit ihm gewachsen und ihn gehalten und bewahrt hätte. So aber war alles zerbrochen, er hatte nichts mehr, als er wiederkam — seine ganze verdrängte Jugend, seine geknebelt gewesene Sehnsucht und sein Bedürfnis nach Heimat und Zärtlichkeit warf sich blind auf diesen einen Menschen, den er zu lieben glaubte. Uncl als alles zerbrach, wußte er nichts anderes, als zu schießen — denn sonst hatte er nichts gelernt. Wäre er kein Soldat gewesen, so hätte er viele andere Wege gehabt. So aber zitterte nicht einmal seine Hand — er war seit Jahren gewohnt, zu treffen.

In Albert, dem verträumten Jungen, in Albert, dem scheuen Liebenden, saß immer noch Albert, der Soldat.

Die zerknitterte, alte Frau begreift es nicht.»Wie konnte er das nur tun? Er war immer so ein stilles Kind!«Die Bänder ihres Altfrauenhutes zittern, das Taschentuch zittert, die schwarze Mantille zittert — die ganze Frau ist ein einziges bebendes Stück Leid.»Vielleicht ist es gekommen, weil er keinen Vater mehr hat. Er war erst vier Jahre, als sein Vater starb. Aber er war doch immer ein so stilles, gutes Kind — «

«Das ist er heute auch noch, Frau Troßke«, sage ich. Sie klammert sich daran und beginnt von Alberts Kindheit zu erzählen. Sie muß sprechen, sie hält es nicht mehr aus, die Nachbarn waren da, Bekannte, zwei Lehrer auch, alle verstehen es nicht —

«Die sollen nur ihren Schnabel halten«, sage ich,»die sind alle mit schuld.«

Sie blickt mich verständnislos an. Aber dann erzählt sie weiter davon, wie Albert laufen gelernt hat, daß er nie geschrien hat wie andere Kinder, daß er fast zu ruhig war für einen Jungen — und jetzt so etwas. Wie konnte er das nur tun?

Verwundert sehe ich sie an. Sie weiß nichts von Albert. Vielleicht würde es meiner Mutter genau so mit mir gehen. Mütter können wohl nur lieben, das ist ihr einziges Verständnis.

«Bedenken Sie, Frau Troßke«, sage ich behutsam,»Albert ist doch im Kriege gewesen.«

«Ja«, antwortet sie,»ja — ja —. «Sie faßt den Zusammenhang nicht.»Dieser Bartscher war wohl ein schlechter Mensch?«fragt sie dann leise.

«Er war ein Lump«, bestätige ich ohne weiteres, denn darauf soll es mir nicht ankommen.

Sie nickt unter Tränen.»Sonst konnte ich es mir auch nicht denken. Er hat nie einer Fliege etwas getan. Hans, der hat ihnen die Flügel ausgerissen, aber Albert nie. Was werden sie nun wohl mit ihm machen?«

«Viel kann ihm nicht passieren«, beruhige ich sie,»er war sehr aufgeregt, und das ist beinahe so wie Notwehr.«

«Gott sei Dank«, seufzt sie,»der Schneider über uns hat gesagt, er würde hingerichtet.«

«Der Schneider ist verrückt«, erwidere ich.

«Ja, er hat auch gesagt, Albert wäre ein Mörder. «Sie bricht in Tränen aus.»Und er ist nie und nimmer einer, nie und nimmer!«

«Diesen Schneider werde ich mir mal kaufen«, erkläre ich wütend.»Ich traue mich gar nicht mehr aus dem Hause«, schluchzt sie,»immer steht er da.«

«Ich bringe Sie hin, Mutter Troßke«, sage ich.

Wir kommen bei ihrem Haus an.»Da ist er wieder«, flüstert die alte Frau ängstlich und zeigt auf die Haustür. Ich mache mich steif. Wenn er jetzt einen Ton sagt, haue ich ihn zu Brei, und wenn ich zehn Jahre dafür in den Kasten komme. Aber er geht uns aus dem Wege, ebenso wie zwei Weiber, die bei ihm herumlungern.

In der Wohnung zeigt Alberts Mutter mir noch ein Jugendbild von Hans und ihm. Dabei beginnt sie von neuem zu weinen, doch sie hört wie beschämt gleich wieder auf. Alte Frauen sind darin wie Kinder; Tränen kommen ihnen rasch; aber sie versiegen auch rasch. Auf dem Korridor fragt sie mich:»Hat er wohl genug zu essen?«»Sicher wohl«, antworte ich,»Karl Bröger wird schon darauf aufpassen. Der kann genug bekommen.«