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«Ich habe noch etwas Pfannkuchen, den ißt er so gern. Ob ich ihm den wohl bringen darf?«

«Versuchen Sie es mal«, erwidere ich,»und wenn Sie es dürfen, dann sagen sie einfach zu ihm: Albert, ich weiß, du bist nicht schuld daran. Mehr nicht.«

Sie nickt.»Vielleicht habe ich mich nicht genug um ihn gekümmert. Aber Hans hat doch keine Füße — «

Ich tröste sie.»Der arme Junge«, sagt sie,»sitzt da nun ganz allein — «

Ich gebe ihr die Hand.»Mit dem Schneider werde ich jetzt mal reden. Der wird Sie nächstens in Ruhe lassen.«

Er steht noch vor der Haustür. Ein plattes, dummes Kleinbürgergesicht. Er glupscht mich hämisch an, das Maul schon parat, um hinter mir loszuklatschen. Ich fasse ihn am Rock.»Sic verfluchter Ziegenbock, wenn Sie noch ein einziges Wort zu der alten Frau da oben sagen, dann hacke ich Sie in Stücke, merken Sie sich das, Sie Zwirnfadenathlet, Sie Waschweib!«Ich schüttle ihn wie einen Sack Lumpen und stoße ihm das Kreuz gegen die Türklinke —»ich komme wieder, die Knochen breche ich dir, du lausiger Plättbrettscheißer, du verdammter Meck-Meck-Meck!«Damit haue ich ihm rechts und links eine gehörige Wucht herunter.

Ich bin schon weit weg, da kreischt er hinter mir her.»Das geht ans Gericht! Das kostet Sie mindestens hundert Mark. «Ich drehe mich um und gehe zurück. Er verschwindet.

Georg Rahe hockt schmutzig und übernächtigt in Ludwigs Zimmer. Er hat die Nachricht von Albert in der Zeitung gelesen und ist sofort hergekommen.»Wir müssen ihn herausholen«, sagt er. Ludwig blickt auf.

«Wenn wir ein halbes Dutzend vernünftiger Kerle und ein Automobil hätten«, fährt Rahe fort,»müßte es klappen. Die beste Zeit wäre, wenn er zum Gerichtssaal überführt wird. Wir springen dazwischen, machen einen Tumult, und zwei rennen mit Albert los zum Auto.«

Ludwig hat einen Augenblick aufgehorcht. Dann schüttelt er den Kopf.»Es geht nicht, Georg. Wir würden Albert nur schaden, wenn es mißlänge. So hat er wenigstens die Hoffnung, daß er noch einigermaßen davonkommt. Doch das wäre das wenigste — ich würde sofort dabei sein — aber Albert — wir würden Albert nicht mitkriegen. Er will nicht.«

«Dann müssen wir es auch bei ihm mit Gewalt machen«, erklärt Rahe nach einer Weile —»heraus muß er — und wenn ich dabei draufgehe — «

Ludwig erwidert nichts.

«Ich glaube auch, daß es nichts nützen wird, Georg«, sage ich —»selbst wenn wir ihn draußen hätten, würde er sofort wieder zurückgehen. Er hat ja fast auf Willy geschossen, als der ihn wegbringen wollte.«

Rahe stützt den Kopf in die Hände. Ludwig sieht grau und verfallen aus.»Ich glaube, wir sind alle verloren«, sagt er trostlos. Keiner antwortet. Tot hängen das Schweigen und die Sorge im Zimmer. —

Nachher sitze ich noch lange allein bei Ludwig. Er stützt den Kopf in die Hände.»Es ist alles umsonst, Ernst. Wir sind kaputt, aber die Welt geht weiter, als wenn der Krieg nicht dagewesen wäre. Es wird nicht lange mehr dauern, und unsere Nachfolger auf den Schulbänken werden mit gierigen Augen den Erzählungen aus dem Kriege lauschen und sich aus der Langeweile der Schule heraus wünschen, auch dabei gewesen zu sein. Jetzt schon laufen sie zu den Freikorps — und kaum siebzehnjährig begehen sie politische Morde. Ich bin so müde, Ernst — «

«Ludwig…«Ich setze mich neben ihn und lege den Arm um seine schmalen Schultern.

Er lächelt trostlos. Dann sagt er leise:»Damals, vor dem Kriege, hatte ich so eine Schülerliebe, Ernst. Vor ein paar Wochen habe ich das Mädchen wieder getroffen. Es schien mir noch schöner geworden zu sein. Das war so, als ob die Zeit von früher noch einmal in einem Menschen lebendig geworden wäre. Wir haben uns dann öfter gesehen — und plötzlich habe ich gespürt.. «er legt den Kopf auf die Tischplatte. Als er wieder aufsieht, sind seine Augen tot vor Qual —»das ist ja alles nichts mehr für mich, Ernst — ich bin ja krank. «Er steht auf und öffnet das Fenster. Draußen ist eine warme Nacht mit vielen Sternen.

Bedrückt starre ich vor mich hin. Ludwig sieht lange hinaus. Dann wendet er sich um:»Weißt du noch, wie wir mit einem Band Eichendorff nachts in den Wäldern umhergezogen sind?«

«Ja, Ludwig«, sage ich rasch, froh, daß er auf andere Gedanken gekommen ist,»es war im Spätsommer. Einmal haben wir einen Igel dabei gefangen.«

Sein Gesicht entspannt sich.»Und wir glaubten schon, es sei ein Abenteuer mit Postkutschen, Waldhörnern und Sternen —. Weißt du noch, wie wir ausreißen wollten nach Italien?«

«Ja, aber die Postkutsche kam nicht, die uns mitnehmen sollte. Und für die Eisenbahn hatten wir kein Geld.«

Ludwigs Gesicht wird klarer, es sieht fast geheimnisvoll aus, so heiter ist es.»Und dann haben wir Werther gelesen — «, sagt er.»Und Wein getrunken — «, erinnere ich ihn.

Er lächelt.»Und den» Grünen Heinrich «gelesen —. Weißt du noch, wie wir von Judith geflüstert haben?«

Ich nicke.»Du mochtest nachher aber Hölderlin lieber als alles andere — «

Ein sonderbarer Frieden ist über Ludwig gekommen. Er spricht leise und weich.»Was hatten wir damals für Pläne, und wie edel und gut wollten wir werden. Wir sind dann eigentlich recht arme Hunde geworden, Ernst — «

«Ja«, antworte ich nachdenklich,»wo ist das alles geblieben! —«

Wir lehnen nebeneinander am Fenster. Der Wind hängt in den Kirschbäumen. Eine Sternschnuppe fällt. Es schlägt zwölf Uhr.

«Wir wollen schlafen gehen. «Ludwig gibt mir die Hand.»Gute Nacht, Ernst — «

«Schlaf gut, Ludwig.«

Spät nachts trommelt jemand gegen meine Tür. Verstört fahre ich auf.»Wer ist da?«

«Ich, Karl! Mach auf!«

Ich springe aus dem Bett.

Er stürzt herein.»Ludwig — «

Ich reiße ihn heran.»Was ist mit Ludwig?«

«Tot — «

Das Zimmer dreht sich. Ich falle auf mein Bett zurück.»Arzt holen!«

Karl schlägt einen Stuhl auf den Boden, daß er splittert.»Tot, Ernst

— Pulsadern aufgeschnitten — «

Ich weiß nicht, wie ich meine Sachen angezogen habe. Ich weiß nicht, wie ich hingekommen bin. Plötzlich ist ein Zimmer da, grelles Licht, Blut, das unerträgliche Funkeln und Blitzen der Quarze und Kiesel, und davor, in einem Sessel, eine unendlich müde, schmale, zusammengefallene Gestalt, ein furchtbar blasses, spitzes Gesicht mit halb- geschlossenen, erloschenen Augen. —

Ich weiß nicht, was geschieht. Seine Mutter ist da, Karl ist da, Lärm ist da, einer redet auf mich ein, ich verstehe, hierbleiben, ich begreife, sie wollen jemand holen, ich nicke, ich kauere mich in das Sofa, Türen knarren, ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht sprechen, plötzlich bin ich allein mit Ludwig und sehe ihn an. —

Karl war der letzte, der bei ihm war. Er fand ihn still und fast froh. Als er gegangen war, ordnete Ludwig seine paar Sachen und schrieb eine Zeitlang. Dann rückte er einen Stuhl ans Fenster und stellte ein Becken mit warmem Wasser daneben auf den Tisch. Er verschloß die Tür, setzte sich in den Sessel und schnitt sich die Adern im Wasser auf. Der Schmerz war gering. Er sah das Blut fließen, ein Bild, an das er oft gedacht hatte: dieses verhaßte, vergiftete Blut ausströmen zu lassen aus dem Körper.

Sein Zimmer wurde sehr deutlich. Er sah jedes Buch, jeden Nagel, jeden Reflex der Steinsammlung, das Bunte, die Farben, er empfand: sein Zimmer. Es drängte sich heran, es ging in seinen Atem ein und verwuchs mit ihm. Dann wurde es wieder ferner. Undeutlich. Seine Jugend begann in Bildern. Eichendorff, die Wälder, das Heimweh. Versöhnt, ohne Schmerz. Hinter den Wäldern stieg Stacheldraht auf, die weißen Wölkchen der Schrapnells, der Einschlag schwerer Granaten. Doch sie erschreckten ihn nicht mehr. Sie waren gedämpft, fast wie Glocken. Die Glocken wurden stärker, aber die Wälder blieben. Sie läuteten in seinem Kopfe, so stark, als müßte er gleich zerspringen. Es wurde dabei auch dunkler. Dann wurde es schwächer, und der Abend stieg durch das Fenster, die Wolken schwammen heran, unter seine Füße. Er hätte gern in seinem Leben einmal Flamingos gesehen, jetzt wußte er: diese waren Flamingos, mit weiten rosagrauen Schwingen, viele, ein Keil — zogen nicht einmal Wildenten in einem Keil gegen den sehr roten Mond, rot wie Mohn in Flandern? — Die Landschaft weitete sich mehr und mehr, die Wälder sanken tiefer, silbern glänzten Flüsse herauf und Inseln, die rosagrauen Schwingen flogen immer höher, und immer heller wurde der Horizont — das Meer Doch plötzlich stemmte sich noch einmal heiß