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Über das Leder der Schuhe steigt der Atem der Gräser, in die Woll- poren des Anzugs dringt der Hauch der Erde, durch mein Haar weht bewegter Himmeclass="underline" Wind — und das Blut klopft gegen die Haut, es hebt sich den Eindringenden entgegen, die Nervenspitzen richten sich auf und beben, schon fühle ich die Schmetterlingsfüße auf meiner Brust, und der Gang der Ameisen widerhallt in den konkaven Räumen meiner Adern — dann wird die Welle stärker, der letzte Widerstand zerschmilzt, und ich bin nur noch ein Hügel ohne Namen, Wiese, Erde. —

Die lautlosen Ströme der Erde kreisen herauf und hinab, und mein Blut kreist mit ihnen, es wird davongetragen und hat Anteil an allem. Durch das warme Dunkel der Erde fließt es mit den Stimmen der Kristalle und Quarze, es ist in dem geheimnisvollen Laut der Schwere, mit dem die Tropfen zwischen den Wurzeln niedersinken und sich zu den dünnen Rinnsalen sammeln, die ihren Weg zu den Quellen suchen. Es bricht mit ihnen wieder aus dem Boden hervor, es ist in Bächen und Flüssen, im Glanz der Ufer, in der Weite des Meeres und im feuchtsilbernen Dunst, den die Sonne wieder heraufzieht zu den Wolken — es kreist und kreist, es nimmt immer mehr von mir mit und spült es in die Erde und die unterirdischen Ströme, langsam und ohne Schmerzen verschwindet der Körper, er ist fort, nur noch Stoffe und Hüllen sind da, er ist Sickern unterirdischer Quellen geworden, Gespräch der Gräser, wehender Wind, rauschendes Laub, schweigend tönender Himmel. Die Wiese kommt näher, Blumen wachsen hindurch, Blüten schwanken darüber, ich bin versunken, vergessen, verströmt unter Mohn und gelben Sumpfdotterblumen, über denen Schmetterlinge und Libellen schweben. — Leiseste Bewegung — sanftestes Erzittern. — Ist es das letzte Schwanken vor dem Ende? Sind es die Mohnblüten und die Gräser? Ist es das Rieseln zwischen den Wurzeln der Bäume?

Aber die Bewegung verstärkt sich. Sie wird regelmäßiger, sie geht in Atem und Pulse über, Welle auf Welle kommt wieder und spült sich zurück — zurück aus Flüssen, Bäumen, Laub und Erde. — Das Kreisen beginnt erneut, aber es nimmt nicht fort, es bringt heran und bleibt, es wird Schauer. Empfindung, Fühlen, Hände, Körper — die Hüllen sind nicht mehr leer — lose, leicht und beschwingt spült die Erde meinen Körper wieder an — ich öffne die Augen.

Wo bin ich? Wo war ich? Habe ich geschlafen? Immer noch ist die rätselhafte Verbundenheit da, ich lausche und wage nicht, mich zu bewegen. Aber sie bleibt, und immer stärker wird das Glück und die Leichtigkeit, das Schwebende, Strahlende, ich liege auf der Wiese, die Schmetterlinge sind fort und ferner, der Sauerampfer wiegt sich, und das Sonnenkäferchen hat seine Spitze erreicht, die Marienfäden hängen auf meinen Kleidern, das Schwingende bleibt, es steigt mir in die Brust, in die Augen, ich bewege meine Hände, welches Glück! Ich hebe meine Knie, ich setze mich auf, mein Gesicht ist feucht — und dann erst fühle ich, daß ich weine, fassungslos weine, als wäre vieles vorbei. —

Eine Zeitlang ruhe ich mich aus. Dann stehe ich auf und nehme die Richtung zum Friedhof. Bisher bin ich noch nicht dagewesen. Seit Ludwigs Tod habe ich heute zum erstenmal allein ausgehen dürfen. Eine alte Frau kommt mit mir, um mir Ludwigs Grab zu zeigen. Es liegt hinter einer Buchenhecke und ist mit Immergrün bepflanzt. Die Erde ist noch locker und bildet einen Hügel, an dem einige verwelkte Kränze lehnen. Die Goldschrift der Schleifen ist verblichen, man kann sie nicht mehr lesen.

Ich habe mich etwas gefürchtet, hierher zu gehen. Aber diese Stille ist ohne Schrecken. Der Wind weht über die Gräber, golden steht der Septemberhimmel hinter den Kreuzen, und im Laub der Platanenallee singt eine Amsel.

Ach, Ludwig, zum ersten Male habe ich heute etwas wie Heimat und Frieden gespürt, und du bist nicht mehr dabei. Noch wage ich es nicht zu glauben, noch halte ich es für Schwäche und Müdigkeit — aber vielleicht wird es einmal zur Hingabe, vielleicht müssen wir nur warten und schweigen, und es kommt dann von selbst zu uns, vielleicht ist das einzige, was uns nicht verlassen hat, wirklich nur unser Körper und die Erde, und vielleicht brauchen wir nichts anderes zu tun, als zu horchen und ihnen zu folgen.

Ach, Ludwig, da haben wir nun gesucht und gesucht, wir sind irre gegangen und gestürzt, wir haben Ziele gewollt und sind über uns selbst gestolpert, wir haben es nicht gefunden und du bist zusammengebroclien — und jetzt soll es ein Windhauch über Gräsern, ein Amselruf im Abend sein, der uns anrührt und uns schon heimführt? Kann denn eine Wolke am Horizont, ein Baum im Sommer mehr Gewalt haben als noch so vieles Wollen?

Ich weiß es nicht, Ludwig. Ich kann es noch nicht glauben, denn ich hatte schon keine Hoffnung mehr. Aber wir wissen ja auch nicht, was Hingabe ist und kennen nicht ihre Kraft. Wir kennen nur die Gewalt.

Wenn es aber ein Weg wäre, Ludwig — was soll er mir schon — ohne dich —

Der Abend steigt langsam hinter den Bäumen empor. Er bringt die Unruhe und die Trauer wieder mit. Ich starre auf das Grab. Schritte knirschen auf dem Kies. Ich blicke auf. Es ist Georg Rahe. Er sieht mich besorgt an und redet mir zu, nach Hause zu gehen.

«Ich habe dich lange nicht gesehen, Georg«, sage ich,»wo warst du?«

Er macht eine unbestimmte Geste.»Ich habe eine Anzahl Berufe versucht — «

«Bist du denn kein Soldat mehr?«frage ich.

«Nein«, antwortet er hart.

Zwei Frauen in Traucrkleidern kommen den Weg zwischen den Platanen entlang. Sie tragen kleine, grüne Wasserkannen in den Händen und beginnen, die Blumen eines alten Grabes zu begießen. Süß weht der Duft von Goldlack und Reseden herüber.

Rahe sieht auf.»Ich glaubte, einen Rest Kameradschaft da zu finden, Ernst. Aber es war nur noch ein verwildertes Zusammengehörigkeitsgefühl, eine gespenstische Karikatur des Krieges. Leute, die glaubten, wenn sie ein paar Dutzend Gewehre versteckten, könnten sie das Vaterland retten — brotlose Offiziere, die nichts anderes mit sich anzufangen wußten, als bei allen Unruhen dabei zu sein; ewige Landsknechte, die jede Verbindung verloren hatten und geradezu Angst davor hatten, wieder ins bürgerliche Leben zurückzumüssen — die letzten, härtesten Schlacken des Krieges. Dazwischen ein paar Idealisten und ein Haufen neugieriger, abenteuersüchtiger junger Burschen. Das alles verhetzt, verbittert, verzweifelt und mißbraucht gegeneinander. Ja, und dann…«

Er schweigt eine Weile und starrt vor sich hin. Ich betrachte von der Seite sein Gesicht. Es ist nervös und zerrissen, und die Augen liegen in tiefen Schatten. Dann gibt er sich einen Ruck.»Warum soll ich es dir nicht sagen, Ernst. — Ich habe lange genug darauf herumgekaut. Eines Tages hatten wir ein Gefecht. Es hieß, gegen Kommunisten.

Aber als ich die Toten dann sah, Arbeiter, einige noch in ihren alten Frontröcken und ihren Militärstiefeln, frühere Kameraden, da riß etwas in mir. Ich habe mal mit meinem Flugzeug eine halbe Kompanie Engländer weggeknallt — es hat mir nichts gemacht, Krieg war Krieg. Aber diese toten Kameraden in Deutschland — erschossen von früheren Kameraden — aus, Ernst!«

Ich muß an Weil und Eleel denken und nicke.

Über uns beginnt ein Buchfink zu schlagen. Die Sonne wird abendlich und goldener. Rahe zerbeißt eine Zigarette.»Ja, und dann — dann fehlten etwas später plötzlich bei uns zwei Leute. Angeblich sollen sie den Plan gehabt haben, ein Waffenlager zu verraten. Kameraden hatten sie ohne Untersuchung nachts im Walde mit Kolben erschlagen. Feme nannte man das. Einen der Toten habe ich als Unteroffizier im Felde gehabt. Eine Seele von Kerl. Da habe ich alles hingeschmissen. «Er sieht sich um.»Das ist daraus geworden, Ernst.