Dann führt er mich vor ein Büfett, das überladen ist mit allen möglichen Sachen. Er hat sie auf dem Jahrmarkt bei den Schießbuden gewonnen. Drei Schuß kosten da ein paar Groschen, und wer eine bestimmte Anzahl Ringe schießt, darf sich einen Gewinn aussuchen. Bruno war den ganzen Tag von den Buden nicht wegzukriegen. Er hat ganze Haufen Teddybären, Kristallschalen, Pokale, Bierkrüge, Kaffeekannen, Aschenbecher, Bälle und sogar zwei Korbsessel zusammengeschossen.
«Zuletzt ließen sie mich nirgendwo mehr ran«, lacht er vergnügt,»ich hätte die ganze Bude pleite geballert. Ja, gelernt ist gelernt!«— Ich gehe die dunkle Straße entlang. Aus den Haustüren fließen Licht und Spülwasser. Bruno wird wieder mit seinem Mädel spielen. Dann wird die Frau mit dem Abendessen kommen. Danach wird er zum Bier gehen. Sonntags macht er mit der Familie einen Ausflug. Er ist ein gemütlicher Mann, ein guter Vater, ein geachteter Bürger. Nichts dagegen zu sagen.
Und Albert? Und wir? —
Schon eine Stunde vor Beginn der Verhandlung gegen Albert stehen wir auf dem Korridor des Gerichtsgebäudes. Endlich werden die Zeugen aufgerufen. Wir gehen mit klopfendem Herzen hinein. Albert lehnt blaß in der Anklagebank und sieht vor sich hin. Wir wollen ihm mit den Augen zurufen: Mut, Albert! Wir lassen dich nicht im Stich! Aber er blickt nicht auf.
Nachdem unsere Namen verlesen worden sind, müssen wir den Saal wieder verlassen. Im Hinausgehen entdecken wir vorn in der ersten Reihe des Zuschauerraumes Tjaden und Valentin. Sie blinzeln uns zu.
Einer nach dem anderen werden die Zeugen eingelassen. Mit Willy dauert es besonders lange. Dann bin ich an der Reihe. Ein rascher Blick zu Valentin — ein unmerkliches Kopfschütteln. Albert hat sich also bisher geweigert, auszusagen. Das habe ich mir schon gedacht. Abwesend sitzt er neben seinem Verteidiger. Willy jedoch hat einen roten Kopf. Wachsam wie ein Schlächterhund beobachtet er den Staatsanwalt. Die beiden scheinen schon Krach gehabt zu haben.
Ich werde vereidigt. Dann beginnt der Vorsitzende zu fragen. Er will wissen, ob Albert schon darüber gesprochen habe, dem Bartscher eins auswischen zu wollen. Als ich mit Nein antworte, meint er, verschiedenen Zeugen sei aufgefallen, daß Albert merkwürdig ruhig und überlegt gewesen sei.
«Das ist er immer«, erwidere ich.
«Überlegt?«zuckt der Staatsanwalt dazwischen.
«Ruhig«, entgegne ich.
Der Vorsitzende beugt sich vor.»Auch in einer solchen Situation?«»Natürlich«, sage ich,»der ist schon bei ganz anderen Sachen ruhig geblieben.«
«Bei was für anderen Sachen?«fragt der Staatsanwalt und schnellt einen Finger vor.
«Im Trommelfeuer.«
Er nimmt den Finger wieder weg. Willy grunzt befriedigt. Der Staatsanwalt wirft ihm einen wütenden Blick zu.
«Er war also ruhig?«fragte der Vorsitzende nochmals.
«So ruhig wie jetzt«, antworte ich ärgerlich.»Sehen Sie denn nicht, daß er zwar ruhig dasteht, daß aber trotzdem alles in ihm kocht und tobt? Er war doch Soldat! Da hat er gelernt, in kritischen Lagen nicht herumzuspringen und die Arme verzweifelt zum Himmel zu werfen. Sonst hätte er nämlich keine mehr!«Der Verteidiger macht sich Notizen. Der Vorsitzende blickt mich einen Augenblick an.»Weshalb mußte er denn gleich schießen?«fragt er,»so furchtbar schlimm war es doch nicht, daß das Mädchen mal mit jemand anders im Cafe war.«
«Es war für ihn schlimmer als ein Schuß in den Magen«, sage ich.»Warum?«
«Weil das Mädchen das einzige war, was er hatte.«
«Er hat doch auch noch seine Mutter«, wirft der Staatsanwalt ein.
«Die kann er doch nicht heiraten«, erwidere ich.
«Weshalb mußte er denn unbedingt heiraten?«fragt der Vorsitzende,»ist er dazu nicht noch zu jung?«
«Er war ja auch nicht zu jung, um Soldat zu werden«, entgegne ich.»Und heiraten wollte er, weil er sich nach dem Kriege nicht wieder zurechtfand, weil er Angst vor sich selbst und seinen Erinnerungen bekam und einen Halt suchte. Das war ihm dieses Mädchen.«
Der Vorsitzende wendet sich zu Albert.»Angeklagter, wollen Sie nun nicht endlich antworten? Ist das richtig, was der Zeuge hier sagt?«Albert zaudert eine Weile. Willy und ich starren ihn an.»Ja«, sagt er dann widerwillig.
«Wollen Sic uns nun auch sagen, weshalb Sie den Revolver bei sich hatten?«
Albert schweigt.
«Den hat er doch immer bei sich«, sage ich.
«Immer?«fragt der Vorsitzende.
«Natürlich«, erwidere ich,»genau so wie sein Taschentuch und seine Uhr.«
Der Vorsitzende sieht mich erstaunt an.»Ein Revolver ist doch etwas anderes als ein Taschentuch.«
«Richtig«, sage ich,»das Taschentuch braucht er nicht so nötig. Das hat er manchmal auch nicht bei sich gehabt.«
«Und der Revolver? —«
«Der hat ihm ein paarmal das Leben gerettet. Den trägt er seit drei Jahren bei sich. Das ist seine Gewohnheit vom Felde her.«
«Aber jetzt braucht er ihn doch nicht mehr. Wir haben doch Frieden.«
Ich zucke die Achseln.»Daran haben wir noch nicht so gedacht. «Der Vorsitzende wendet sich wieder zu Albert.»Angeklagter, wollen Sie Ihr Gewissen nicht endlich entlasten? Bereuen Sie ihre Tat denn nicht?«
«Nein«, sagt Albert dumpf.
Es wird still. Die Geschworenen horchen auf. Der Staatsanwalt beugt sich vor. Willy macht ein Gesicht, als wolle er sich auf Albert stürzen. Ich sehe ihn verzweifelt an.
«Aber Sie haben doch einen Menschen getötet«, sagt der Vorsitzende eindringlich.
«Ich habe schon viele Menschen getötet«, antwortet Albert.
Der Staatsanwalt springt hoch. Der Geschworene neben der Tür hört auf, an seinen Nägeln zu kauen.»Was haben Sie getan?«fragt der Vorsitzende atemlos.
«Im Kriege«, werfe ich rasch ein.
«Das ist doch etwas ganz anderes«, erklärt der Staatsanwalt enttäuscht.
Da hebt Albert den Kopf.»Wieso ist das denn etwas anderes?«Der Staatsanwalt erhebt sich.»Wollen Sie etwa den Kampf fürs Vaterland mit Ihrer Tat hier vergleichen?«
«Nein«, erwidert Albert,»die Leute, die ich damals erschossen habe, haben mir nichts getan — «
«Unerhört«, sagt der Staatsanwalt angewidert und wendet sich zum Vorsitzenden,»ich muß doch sehr bitten. «
Doch der ist ruhiger.»Wohin kämen wir, wenn alle Soldaten so denken würden wie Sie!«sagt er.
«Das stimmt«, sage ich,»aber dafür sind wir ja nicht verantwortlich. Hätte man dem da — «, ich zeige auf Albert,»nicht beigebracht, auf Menschen zu schießen, dann hätte er es jetzt auch nicht getan. «Der Staatsanwalt ist puterrot.»Es geht aber wirklich nicht, daß Zeugen ungefragt selbständig..«
Der Vorsitzende beschwichtigt ihn.»Ich glaube, wir dürfen hier wohl einmal von der Regel abweichen.«
Ich werde einstweilen abgeschoben, und das Mädchen wird auf gerufen. Albert zuckt zusammen und preßt die Lippen aufeinander. Das Mädchen trägt ein schwarzes Seidenkleid und hat die Haare frisch onduliert. Selbstbewußt tritt sie vor. Man merkt, wie wichtig sie sich fühlt. Der Richter fragt nach ihren Beziehungen zu Albert und Bartscher. Sie schildert Albert als unverträglich, Bartscher dagegen als einen
liebenswürdigen Menschen. Sie hätte nie an eine Heirat mit Albert gedacht, im Gegenteil, sie sei mit Bartscher so gut wie verlobt gewesen.»Herr Troßke ist doch viel zu jung dazu«, meint sie und wiegt sich in den Hüften.
Der Schweiß läuft Albert von der Stirn, aber er rührt sich nicht. Willy knetet an seinen Händen herum. Wir können kaum an uns halten. Der Vorsitzende fragt nach ihrem Verhältnis zu Albert.