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«Ganz harmlos«, sagt sie,»wir waren nur bekannt miteinander.«»War der Angeklagte damals aufgeregt?«

«Natürlich«, antwortet sie eifrig. Das scheint ihr zu schmeicheln.»Wie kam denn das?«

«Na, so — «, sie lächelt und dreht sich ein bißchen,»er war ja sehr verliebt in mich.«

Willy stöhnt dumpf auf. Der Staatsanwalt fixiert ihn durch seinen Kneifer.

«Toppsau!«hallt es plötzlich durch den Saal.

Alles fährt auf.»Wer hat da gerufen?«fragt der Vorsitzende. Tjaden erhebt sich stolz.

Er wird zu fünfzig Mark Ordnungsstrafe verurteilt.

«Billig«, sagt er und zieht seine Brieftasche,»soll ich gleich zahlen?«

Darauf bekommt er weitere fünfzig Mark Strafe zudiktiert und wird aus dem Saal gewiesen.

Das Mädchen ist zusehends bescheidener geworden.

«Was war denn zwischen Ihnen und Bartscher vorgefallen an dem Abend?«forscht der Vorsitzende weiter.

«Nichts«, erwidert sie unsicher,»wir saßen nur so zusammen.«

Der Richter wendet sich an Albert.»Haben Sie etwas dazu zu bemerken?«

Ich durchbohre ihn mit Blicken. Aber er sagt leise:»Nein.«

«Die Angaben stimmen also?«

Albert lächelt bitter, er ist grau im Gesicht. Das Mädchen sieht standen Christus an, der über dem Vorsitzenden an der Wand hängt.»Es ist möglich, daß sie stimmen«, sagt Albert,»ich höre sie heute zum erstenmal. Dann habe ich mich geirrt.«

Das Mädchen atmet auf. Aber zu früh. Denn Willy fährt hoch.»Lüge!«ruft er,»sie lügt hundsgemein. Herumgehurt hat sie mit dem Kerl, sie war ja noch halbnackt, als sie herauskam!«Tumult. Der Staatsanwalt zetert. Der Vorsitzende erteilt Willy einen Rüffel. Aber der ist nicht mehr zu halten, so verzweifelt Albert ihn auch ansieht.»Und wenn du vor mir niederkniest, es muß heraus«, ruft er ihm zu,

«herumgehurt hat sie, und als er vor ihr stand, hat sie ihm erzählt, Bartscher hätte sie betrunken gemacht, da ist er wild geworden und hat geschossen!«

Der Verteidiger hackt zu, das Mädchen kreischt verwirrt:»Hat er auch — hat er auch!«Der Staatsanwalt fuchtelt mit den Armen.»Die Würde des Gerichts erfordert…«

Willy wendet sich wie ein Stier gegen ihn.»Setzen Sie sich nur ja nicht so aufs hohe Roß, Sie Paragraphenschlange, oder meinen Sie, vor Ihrem Affentalar da hielten wir die Schnauze? Versuchen Sie doch mal, uns rauszuschmeißen! Was wissen Sie denn überhaupt von uns? Der Junge da war sanft und still, fragen Sie seine Mutter nur! Aber er schießt heute, wie er früher mit Kieseln geworfen hätte. Reue! Reue! Wie kann er denn Reue haben, wenn er jetzt einmal jemand erledigt, der ihm alles in Fetzen geschlagen hat? Der einzige Fehler, den er gemacht hat, ist, daß er auf den Falschen geschossen hat. Das Weib hätte er erledigen müssen! Meint ihr denn, man könne vier Jahre Töten mit dem läppischen Wort Frieden aus dem Gehirn wischen wie mit einem nassen Schwamm? Wir wissen selbst, daß wir nicht nach Herzenslust unsere Privatfeinde abknallen dürfen, aber wenn uns mal die Wut packt und alles durcheinandergeht, und es über uns gerät, dann bedenkt auch, wo das herkommt!«

Ein wildes Durcheinander ist entstanden. Vergeblich bemüht sich der Vorsitzende, Ruhe zu schaffen.

Wir stehen dicht gedrängt, Willy sieht fürchterlich aus, Kosole hat die Fäuste geballt, sie haben im Moment kein Mittel gegen uns, wir sind zu gefährlich. Der eine Schupo wagt sich nicht an uns ran. Ich springe vor die Bank, wo die Geschworenen sitzen.»Es geht um unsern Kameraden!«rufe ich,»verurteilt ihn nicht! Er wollte auch nicht so gleichgültig gegen Leben und Tod werden, wir wollten es alle nicht, aber wir haben alle Maßstäbe draußen verloren, und niemand hat uns geholfen! Patriotismus, Pflicht, Heimat, das haben wir uns doch selbst immer wieder gesagt, um es auszuhalten und zu rechtfertigen! Aber es waren nur Begriffe, es gab zuviel Blut draußen, das schwemmte sie weg!«

Willy steht plötzlich neben mir.»Vor einem Jahr noch lag der da«— er zeigt auf Albert —»zwei Kameraden allein in einem Maschinengewehrnest, es war nur das eine noch da im ganzen Abschnitt, und ein Angriff kam, aber die drei waren ganz ruhig, sie zielten und warteten und schossen nicht zu früh, sie visierten genau auf Bauchhöhe, und als die Kolonnen vor ihnen schon meinten, alles sei frei, und stürmten, da erst schossen sie, und immer wieder, und erst viel später kriegten sie Verstärkung. Der Angriff wurde abgeschlagen. Nachher konnten wir die holen, die das M. G. abgeknallt hatte, es waren allein siebenundzwanzig tadellose Bauchschüsse, einer ebenso exakt wie der andere, nämlich sämtlich tödlich, von den anderen Sachen, Beinschüssen, Hodenschüssen, Magenschüssen, Lungenschüssen, Kopfschüssen ganz zu schweigen. Der da«— er zeigt wieder auf Albert —»hatte allein mit seinen beiden Kameraden für ein ganzes Lazarett gesorgt, allerdings kamen die meisten Bauchschüsse gar nicht erst mehr hin. Dafür bekam er dann das E. K.I und eine Belobigung vom Obersten. Könnt Ihr nun verstehen, weshalb dieser Mann gar nicht vor eure Paragraphen und eure Zivilgerichte gehört? Ihr habt ihn gar nicht zu richten! Er ist Soldat, er gehört zu uns, und wir sprechen ihn frei!«

Jetzt aber kommt der Staatsanwalt endlich zu Wort.»Diese verhängnisvolle Verwilderung — «, keucht er und schreit dem Schupo zu, Willy festzunehmen.

Erneuter Radau. Willy hält alles in Schach. Ich gehe wieder los.»Verwilderung? Durch wen denn? Durch euch! Ihr alle gehört vor unser Gericht! Ihr habt das mit eurem Krieg aus uns gemacht! Sperrt uns doch gleich mit ein, das ist das beste! Was habt ihr denn für uns getan, als wir wiedergekommen sind? Nichts! Nichts! Ihr habt euch um die Siege gestritten, ihr habt Kriegerdenkmäler eingeweiht, ihr habt von Heldentum geredet und euch gedrückt vor der Verantwortung! Ihr hättet uns helfen müssen! Aber ihr habt uns allein gelassen in der schwersten Zeit, als wir uns zurückfinden mußten! Von allen Kanzeln hättet ihr es predigen müssen, immer wieder hättet ihr es uns sagen müssen: >Wir haben alle furchtbar geirrt! Wir wollen gemeinsam zurückfinden! Habt Mut! Für euch ist es am schwersten, weil ihr nichts hinterlassen habt, das euch wieder aufnehmen könnte! Habt Geduld!< Ihr hättet uns das Leben wieder zeigen müssen! Ihr hättet uns wieder leben lehren müssen! Aber ihr habt uns im Stich gelassen! Ihr habt uns vor die Hunde gehen lassen! Ihr hättet uns lehren müssen, wieder an Güte, Ordnung, Aufbau und Liebe zu glauben! Statt dessen habt ihr wieder angefangen, zu fälschen und zu hetzen und eure Paragraphen in Gang zu bringen. Einer von uns ist schon kaputt daran gegangen! Da steht der zweite!«

Wir sind außer uns. Alle Wut, alle Erbitterung, alle Enttäuschung kocht aus uns heraus. Ein wildes Durcheinander herrscht im Saale. Es dauert lange, bis einigermaßen Ruhe eintritt. Wir bekommen sämtlich einen Tag Haft wegen ungebührlichen Benehmens vor Gerieht und müssen sofort raus. Wir könnten uns auch jetzt noch mit Leichtigkeit gegen den Schupo durchschlagen; aber wir wollen es nicht. Wir wollen mit Albert ins Gefängnis. Dicht gehen wir an ihm vorbei, um ihm zu zeigen, daß wir alle mit ihm sind. —

Später hören wir, daß er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und die Strafe wortlos angenommen hat.

III

Georg Rahe ist es gelungen, sich den Paß eines Ausländers zu besorgen und damit über die Grenze zu kommen. Ein Gedanke hat sich in ihm festgesetzt: er will seiner Vergangenheit noch einmal Auge in Auge gegenüberstehen. Er fährt durch die Städte und Dörfer, er steht auf großen und kleinen Bahnhöfen herum, und abends ist er endlich da, wohin er will.

Ohne sich aufzuhalten, wandert er durch die Straßen, zur Stadt hinaus, den Höhen zu. Heimkehrende Arbeiter kommen ihm entgegen. Kinder spielen in den Lichtpfützen der Laternen. Ein paar Autos schnaufen vorüber. Dann wird es still.