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aus zusammengekniffenen Augen an. Der Amerikaner hält den Blick ebenso unbeweglich und scheinbar harmlos aus. Beide gleichen sich auf einmal wie Brüder. Über Krieg und Tod trifft hier plötzlich etwas aufeinander, das alles überstanden hat: der Geschäftsgeist. Ledderhoses Gegner merkt bald, daß nichts für ihn zu machen ist, denn Arthur läßt sich nicht täuschen: sein Handel ist im einzelnen bedeutend vorteilhafter. Er tauscht, bis die Kiste leer ist. Neben ihm sammelt sich allmählich ein Haufen Sachen an, sogar Butter, Seide, Eier und Wäsche, so daß er zum Schluß dasteht wie ein Kolonialwarenladen auf O-Beinen.

Wir brechen auf. Die Amerikaner rufen und winken hinter uns her. Besonders der Sergeant ist unermüdlich. Auch Kosole ist bewegt, soweit das einem alten Soldaten möglich ist. Er grunzt ein paar Abschiedslaute und winkt; allerdings sieht das bei ihm immer noch so aus, als ob er drohe. Dann äußert er zu Bethke:»Ganz vernünftige Kerle, was?«

Adolf nickt. Schweigend gehen wir weiter. Ferdinand läßt den Kopf hängen. Er denkt. Das tut er nicht oft, aber wenn es ihn gepackt hat, dann ist er zähe und kaut lange daran herum. Ihm will der Sergeant aus Dresden nicht aus dem Kopf.

In den Dörfern starren die Leute hinter uns her. In einem Bahnwärterhaus stehen Blumen am Fenster. Eine Frau mit vollen Brüsten stillt ein Kind. Sie hat ein blaues Kleid an. Hunde bellen uns an. Wolf bellt zurück. Am Wege bespringt ein Hahn eine Henne. Wir rauchen gedankenlos.

Marschieren, marschieren. Die Zone der Feldlazarette. Die Zone der Proviantämter. 'Ein großer Park mit Platanen. Unter den Bäumen Tragbahren und Verwundete. Die Blätter fallen und decken sie zu mit Rot und Gold.

Ein Gaslazarett. Schwere Fälle, die nicht mehr transportiert werden können. Blaue, wächserne, grüne Gesichter, tote Augen, zerfressen von der Säure, röchelnde, würgende Sterbende. Alle wollen fort, denn sie fürchten sich vor der Gefangennahme. Als wenn es nicht gleich wäre, wo sie sterben.

Wir versuchen, sie zu trösten, indem wir ihnen sagen, bei den Amerikanern würden sie besser verpflegt werden. Aber sie hören nicht darauf. Sie rufen uns immer wieder zu, wir möchten sie mitnehmen. Das Rufen ist schrecklich. Die blassen Gesichter sehen so unwirklich aus in der klaren Luft hier draußen. Am schlimmsten aber ist es mit den Bärten. Sie stehen sonderbar für sich, hart, eigensinnig, wuchernd und wachsend um die Kinnbacken, ein schwarzer Pilzbelag, der sich nährt, je mehr sie verfallen.

Manche von den Schwerverletzten strecken ihre dünnen, grauen Arme aus wie Kinder.»Nehmt mich doch mit, Kameraden«, betteln sie,»nehmt mich doch mit, Kameraden.«

In ihren Augenhöhlen hocken schon tiefe, fremde Schatten, aus denen sich die Pupillen nur noch wie Ertrinkende hervorquälen. Andere sind still; sie folgen uns nur mit den Blicken, so weit sie können.

Allmählich wird das Rufen schwächer. Die Straßen gehen langsam vorbei. Wir schleppen viele Sachen, denn man muß doch etwas mitbringen nach Hause. Wolken hängen am Himmel. Nachmittags bricht die Sonne durch, und Birken, nur noch mit wenigen Blättern, spiegeln sich in den Regenlachen am Wege. Leichter, blauer Duft hängt in den Ästen.

Während ich marschiere, den Tornister auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, sehe ich am Rande der Straße, in den klaren Regenpfützen, das Bild der hellen, seidenen Bäume. Es ist in diesem zufälligen Spiegel stärker als in Wirklichkeit. Eingebettet in den braunen Boden liegt da ein Stück Himmel mit Bäumen, Tiefe und Klarheit, und ich erschauere plötzlich. Zum erstenmal seit langer Zeit fühle ich wieder, daß etwas schön ist, daß dieses hier einfach schön ist, schön und rein, dieses Bild in der Wasserlache vor mir — und in diesem Erschauern steigt mir das Herz hoch, alles fällt für einen Augenblick ab, und jetzt spüre ich es zum ersten Male: Frieden — sehe es: Frieden — empfinde es ganz: Frieden. Der Druck weicht, der nichts freigab bisher, ein Unbekanntes, Neues fliegt auf, Möwe, weiße Möwe, Frieden, zitternder Horizont, zitternde Erwartung, erster Blick, Ahnung, Hoffnung, Schwellendes, Kommendes: Frieden.

Ich schrecke auf und blicke mich um; dahinten liegen nun meine Kameraden auf den Tragbahren und rufen immer noch. Es ist Frieden, und sie müssen trotzdem sterben. Ich aber bebe vor Freude und schäme mich nicht. Sonderbar ist das. —

Vielleicht ist nur deshalb immer wieder Krieg, weil der eine nie ganz empfinden kann, was der andere leidet.

II

Nachmittags sitzen wir auf dem Hof einer Brauerei. Unser Kompanieführer, der Oberleutnant Heel, kommt aus dem Büro der Fabrik und ruft uns zusammen. Es ist ein Befehl da, daß aus der Mannschaft Vertrauensleute gewählt werden sollen. Wir sind erstaunt darüber. Bislang gab es so was nicht.

Da erscheint Max Weil auf dem Hof. Er schwenkt ein Zeitungsblatt und ruft:»In Berlin ist Revolution.«

Heel wendet sich um.»Unsinn«, sagt er scharf,»in Berlin sind Unruhen.«

Aber Weil ist noch nicht fertig.»Der Kaiser ist nach Holland geflohen.«

Das weckt uns auf. Weil muß verrückt sein. Heel wird knallrot und schreit:

«Verdammter Lügner!«

Weil übergibt ihm die Zeitung. Heel zerknüllt sie und starrt Weil wütend an. Er kann ihn nicht leiden, denn Weil ist Jude, ein ruhiger Mensch, der immer herumsitzt und Bücher liest. Heel aber ist ein Draufgänger.

«Alles Quatsch«, knurrt er und sieht Weil an, als wolle er ihn fressen. Max knöpft seinen Rock los und holt ein zweites Extrablatt heraus. Heel wirft einen Blick darauf, dann reißt er es in Fetzen und geht in sein Quartier. Weil setzt das Blatt wieder zusammen und liest uns die Nachrichten vor. Wir sitzen da wie besoffene Hühner. Das versteht keiner mehr.

«Es heißt, er wollte einen Bürgerkrieg vermeiden«, sagt Weil.»Blödsinn«, ruft Kosole,»wenn wir das nun auch gesagt hätten, damals. Verflucht, und dafür hat man hier ausgehalten.«

«Jupp, faß mich mal an, ob ich noch da bin«, sagt Bethke kopfschüttelnd. Jupp bestätigt es.»Dann muß es ja stimmen«, fährt Bethke fort,»aber trotzdem begreife ich nichts. Wenn einer von uns das gemacht hätte, wäre er an die Wand gestellt worden.«

«Ich darf jetzt nicht an Weßling und Schröder denken«, sagt Kosole und ballt die Fäuste,»sonst fliege ich auseinander. Küken Schröder, das Kind, platt gehauen hat er dagelegen, und der, für den er gefallen ist, reißt aus! — Kotzverflucht! — «Er knallt die Absätze gegen eine Biertonne.

Willy Homeyer macht eine wegwerfende Handbewegung.»Wollen lieber von was anderm reden«, schlägt er dann vor,»der Mann ist für mich endgültig erledigt.«

Weil erklärt, daß bei verschiedenen Regimentern Soldatenräte gebildet worden seien. Die Offiziere seien keine Vorgesetzten mehr. Vielen hätte man die Achselstücke heruntergerissen.

Er will auch bei uns einen Soldatenrat gründen. Aber er findet wenig Gegenliebe. Wir wollen nichts mehr gründen. Wir wollen nach Hause. Und dahin kommen wir auch so.

Schließlich werden drei Vertrauensleute gewählt: Adolf Bethke, Max Weil und Ludwig Breyer.

Weil verlangt von Ludwig, er solle seine Achselstücke abmachen.»Hier — «, sagt Ludwig müde und tippt an seine Stirn. Bethke schiebt Weil zurück.»Ludwig gehört doch zu uns«, sagt er kurz. Breyer ist als Kriegsfreiwilliger zur Kompanie gekommen und da Leutnant geworden. Er duzt sich nicht nur mit uns, mit Troßke, Homeyer, Bröger und mir — das ist selbstverständlich, denn wir sind seine Mitschüler von früher —, sondern auch mit seinen älteren Kameraden, wenn kein anderer Offizier in der Nähe ist. Das wird ihm hoch angerechnet.

«Aber Heel«, beharrt Weil.

Das ist eher zu verstehen. Weil ist oft von Heel schikaniert worden: kein Wunder, daß er jetzt seinen Triumph erleben will. Uns ist es schnuppe. Heel war zwar scharf, aber er ging ran wie Blücher und war immer vorneweg. Da unterscheidet der Soldat schon.