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Ein paar Minuten später gehe ich hinaus, um die nächste Ecke zu suchen — aber dort steht schon ein schwitzender Unteroffizier mit einem Mädchen. Ich trudele in den Garten und will gerade beginnen, da kracht es mächtig hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Jupp mit der Dicken auf den Boden kollern. Sie sind mit einem Gartentisch zusammengebrochen. Die Dicke prustet los, als sie mich erblickt, und streckt mir die Zunge heraus. Jupp faucht. Ich verschwinde eilig hinter den Büschen und trete dabei jemand auf die Hand — eine verdammte Nacht —.»Kannst du Ochse nicht sehen?«brüllt ein Baß.

«Kann ich wissen, daß du Mondkalb da liegst?«gebe ich ärgerlich zurück und finde endlich eine ruhige Ecke.

Kühler Wind, gut nach dem Qualm drinnen, dunkle Häusergiebel, Lauben, Stille und das friedliche Plätschern, während ich pinkele. Albert kommt und stellt sich neben mich. Der Mond scheint. Wir pissen lauter Silber.

«Mensch, Ernst, was?«sagt Albert.

Ich nicke. Wir sehen noch eine Weile in den Mond.»Daß der Mist vorbei ist, Albert, was?«

«Verflucht ja, Ernst. — «

Es knarrt und knackt hinter uns. Mädchen juchzen hoch und jäh unterdrückt aus den Büschen. Die Nacht ist wie ein Gewitter, fiebrig geladen von ausbrechendem Leben, das sich wild und hastig aneinander entzündet.

Im Garten stöhnt jemand. Ein Kichern antwortet. Schatten klettern vom Heuboden herunter. Zwei stehen auf einer Leiter. Der Mann preßt seinen Kopf wie ein Rasender in die Röcke des Mädchens und stammelt etwas. Sie lacht mit einer rauhen Stimme, die uns wie eine Bürste über die Nerven kratzt. Schauer rieseln mir den Rücken herunter. Wie nahe ist das beieinander, gestern und heute. Tod und Leben.

Tjaden kommt aus dem dunklen Garten. Er ist schweißüberströmt, und sein Gesicht leuchtet.»Kinder, jetzt weiß man doch wieder, daß man lebt«, sagt er und knöpft seinen Rock zu.

Wir gehen um das Haus herum und stoßen auf Willy Homeyer. Er hat auf einem Acker aus Kraut ein großes Feuer gemacht und ein paar Hände voll erbeuteter Kartoffeln hineingeworfen. Jetzt sitzt er friedlich und träumerisch allein davor und wartet darauf, daß die Kartoffeln braten. Neben sich hat er ein paar amerikanische Büch- senkoteletts liegen. Der Ilund hockt aufmerksam an seiner Seite.

Das flackernde Feuer wirft kupferne Reflexe in sein rotes Haar. Von den Wiesen unten zieht Nebel herauf. Die Sterne funkeln. Wir setzen uns zu ihm und holen die Kartoffeln aus dem Feuer. Die Schalen sind schwarzgebrannt, aber das Innere ist goldgelb und duftet. Wir packen die Koteletts mit beiden Fäusten und sägen auf ihnen herum wie auf Mundharmonikas. Dazu trinken wir Schnaps aus unsern Aluminiumbechern.

Wie die Kartoffeln schmecken! Dreht sich die Welt? Wo sind wir? Sitzen wir nicht wieder als Jungens bei Torloxten auf dem Acker und haben den ganzen Tag in der starkriechenden Erde Kartoffeln ausgewühlt, rotbackige Mädchen in blauen, verwaschenen Röcken mit Körben hinter uns? Kartoffelfeuer der Jugend! Weiße Schwaden zogen über das Feld, die Feuer knisterten, sonst war es still, die Kartoffel war die letzte Frucht, abgeerntet war alles schon — nur noch die Erde, die klare Luft, der bittere, weiße, geliebte Rauch, der letzte Herbst. Bitterer Rauch, bitterer Geruch des Herbstes, Kartoffelfeuer der Jugend — die Schwaden wehen, wehen und verwehen, Gesichter der Kameraden, wir sind unterwegs, der Krieg ist zu Ende, alles zerschmilzt wunderlich —, die Kartoffelfeuer kommen wieder und der Herbst und das Leben.

«Mensch, Willy, Willy. —«

«Sache, was?«fragt er aufschauend, die Hände voll Fleisch und Kartoffeln. —

Ach, Schafskopf, ich meinte ja ganz was anderes.

Das Feuer ist ausgebrannt. Willy wischt sich die Hände an der Hose ab und klappt sein Messer zu. Ein paar Hunde bellen im Dorf. Sonst ist es still. Keine Granate mehr. Kein Rasseln von Munitionskolonnen. Nicht einmal mehr das vorsichtige Knirschen der Sanitätsautos. Eine Nacht, in der viel weniger Menschen sterben, als jemals in den letzten vier Jahren.

Wir gehen wieder in die Kneipe. Aber dort ist nicht viel mehr los. Valentin hat seinen Rock ausgezogen und ein paar Handstände gemacht. Die Mädchen klatschen, doch Valentin ist nicht erfreut. Verdrossen sagt er zu Kosole:»Ich war einmal ein guter Artist, Ferdinand. Aber das hier reicht nicht mal mehr für den Jahrmarkt. Alles raus aus den Knochen. Und Valentinis Reckakt, das war eine Nummer früher! Jetzt habe ich Rheumatismus. —«

«Ach, sei froh, daß du deine Knochen überhaupt noch hast«, ruft Kosole und haut mit der Hand auf den Tisch.»Musik! Willy!«Homeyer setzt bereitwillig mit Pauke und Schellenbaum ein. Es wird wieder lebendiger. Ich frage Jupp, wie es mit der Dicken war. Er weist mit abfälliger Geste weit von sich.»Nanu«, sage ich verblüfft,»das geht ja schnell bei dir.«

Er zieht eine Grimasse.»Ich denke, sie liebt mich, verstehst du? Jawohl, Geld hat das Luder nachher von mir verlangt. Und dabei habe ich mir noch das Knie an dem Satansgartentisch gestoßen, daß ich kaum gehen kann.«

Ludwig Breyer sitzt still und blaß am Tisch. Er sollte eigentlich längst schlafen, aber er will nicht. Sein Arm heilt gut, und die Ruhr läßt auch etwas nach. Doch er bleibt in sich gekehrt.

«Ludwig«, sagt Tjaden mit schwerer Stimme,»du solltest auch mal in den Garten gehen — das ist gut für alles. —«

Ludwig schüttelt den Kopf und wird plötzlich sehr blaß. Ich setze mich neben ihn.»Freust du dich denn gar nicht auf zu Hause?«frage ich.

Er steht auf und geht weg. Ich verstehe ihn nicht mehr. Nachher finde ich ihn, wie er ganz allein draußen steht. Ich frage ihn nicht weiter. Wir gehen schweigend zurück.

In der Tür stoßen wir auf Ledderhose, der gerade mit der Dicken verschwinden will. Jupp grinst:»Der wird sich wundern.«

«Nein, sie«, sagt Willy,»oder glaubst du, daß Arthur auch nur einen Pfennig rausrückt?«

Wein fließt über den Tisch, die Lampe blakt, und die Mädchenröcke fliegen. Eine warme Müdigkeit weht hinter meiner Stirn, alles hat weiche Ränder, wie Leuchtkugeln manchmal im Nebel; langsam sinkt der Kopf auf die Tischplatte. — Die Nacht braust weich und wunderbar, wie ein Schnellzug, in die Heimat: Bald sind wir zu Hause.

III

Wir stehen zum letzten Male angetreten auf dem Kasernenhof. Ein Teil der Kompanie wohnt in der Umgebung. Er wird entlassen. Der Rest muß sich allein weiter durchschlagen. Der Eisenbahnverkehr ist so unregelmäßig, daß wir nicht mehr geschlossen transportiert werden können. Wir müssen uns trennen.

Der weite, graue Hof ist viel zu groß für uns. Ein fahler Novemberwind, der nach Aufbruch und Sterben riecht, fegt darüber hin. Wir stehen zwischen Kantine und Wache, mehr Platz brauchen wir nicht. Die große, leere Fläche um uns herum weckt trostlose Erinnerungen. Da stehen unsichtbar, viele Reihen tief, die Toten.

Heel geht die Kompanie entlang. Aber mit ihm geht lautlos der gespenstische Zug seiner Vorgänger. Als nächster, noch blutend aus dem Halse, mit abgerissenem Kinn und traurigen Augen, Bertinck, eineinhalb Jahre Kompanieführer, Lehrer, verheiratet, vier Kinder — neben ihm mit schwarzgrünem Gesicht Möller, neunzehn Jahre alt, gasvergiftet, drei Tage, nachdem er die Kompanie übernahm — als nächster Redecker, Forstassessor, zwei Wochen später durch einen Volltreffer in die Erde gestampft — dann schon blasser, ferner, Büttner, Hauptmann, beim Angriff gefallen durch M. G.-Schuß ins Herz

— und wie Schatten dahinter, fast schon ohne Namen, soweit zurück, die ändern — sieben Kompanieführer in zwei Jahren. Und mehr als fünfhundert Mann. Zweiunddreißig stehen auf dem Kasernenhof.

Heel versucht, ein paar Worte zum Abschied zu sagen. Aber es wird nichts; er muß aufhören. Keine Worte der Welt könnten sich behaupten gegen diesen einsamen, leeren Kasernenhof mit den wenigen Reihen der Übriggebliebenen, die stumm und frierend in ihren Mänteln und ihren Stiefeln dastehen und an ihre Kameraden denken.