— Ja, den ersten großen See.
— Gut, Baba Yusuf, ich werde den Sumpf des Malagarasi überspringen, ich werde bei dem letzten Anstieg halten, bei dem Bwana Spekes Maulesel starb, er legte sich hin, als seien seine Kräfte mit einem letzten Schnaufen endgültig verbraucht. Bwana Speke war verwirrt, er lag auf dem Boden, seitwärts, seine Hände krallten sich in die Erde, er sagte nichts, ich dachte, er wollte nicht auf sich aufmerksam machen, auf seine unwürdige Lage, ich hob ihn hoch, ich mußte ihn stützen, gemeinsam erklommen wir den steilen Hügel, den letzten, wie ich heute weiß, aber damals schien er nur eine weitere Prüfung unter vielen zu sein. Er hielt sich mit einem schmerzhaften Griff an meinem Ellenbogen fest, und er flehte mich an, ihm alles zu beschreiben, was ich sehen konnte, die einzelnen dornigen Büsche, die aufgeschäumten Wolken, Steine wie Kürbisse, es gab nicht viel, was ich hätte beschreiben können, aber er war gierig und ungeduldig, kaum schöpfte ich etwas Schweigen, drängte er mich schon, weiter zu beschreiben, und ich mußte ihm schwören, ihm keine einzige Veränderung der Landschaft vorzuenthalten. Wir erreichten den Gipfel, wir holten Atem, ich sah etwas Ungewöhnliches, etwas, das mich erregte, eine metallische Fläche schimmerte in der Sonne. Bwana Speke erahnte auch etwas, er sah wenig, aber Licht und Dunkel drangen irgendwie durch seine verquollenen Augen, und er fragte mich erregt: Dieser Lichtstreifen, Sidi, siehst du auch diesen Lichtstreifen? Was ist das? Und ich nahm mir Zeit mit meiner Antwort, ich kostete die Freude aus. Ich denke, Bwana, sagte ich bedächtig, ich denke, das ist das Wasser. Und als ich das sagte, merkte ich, wie um mich herum gejubelt wurde, ich sah, wie Said bin Salim ekstatisch auf Bwana Burton einredete, der auf den Schultern des kräftigsten Trägers saß und seinen Kopf in die Ferne streckte, und der Jemadar Mallik grinste wie ein Spieler, der gerade seinen gesamten Einsatz verdoppelt hat, und die Belutschen beglückwünschten sich und die anderen mit tiefen, feierlichen Verbeugungen. Und Bwana Speke, er spürte die Euphorie, und er ließ sich von ihr anstecken, aber er mußte doch auch ein wenig klagen, klagen über den Nebel vor seinen Augen. Bald konnten wir den See viel klarer erkennen, er lag unter uns wie ein riesiger blauer Fisch, er aalte sich in der Sonne. Wir waren verzaubert, wir vergaßen alle Mühen, alle Gefahren, die Ungewißheit der Rückkehr, oh ja, wir vergaßen alles, was schrecklich gewesen war, und zum ersten und letzten Mal, meine Brüder, nahmen wir alle an ein und demselben Glück teil.
Es ist der 13. Februar, ein historischer Tag für die Entdeckung der Welt, zum ersten Mal erblicken zivilisierte Augen einen See, der schöner nicht sein könnte, obwohl der Schein zuerst sprichwörtlich getrogen hatte, der See war ihnen als ein glitzernder Strich erschienen, ein leuchtender Hohn, ein armseliger Preis für ihre Mühen, eine erschlagende Enttäuschung, aber nur wenige Schritte später, als die Wasseroberfläche nicht mehr die Sonne reflektiert und ein weiterer Ausblick sich öffnet, erhalten sie einen ersten Eindruck von der wahren Größe des Sees, dessen Schimmern weit in die Ferne reicht. Dieses gesegnete Wasser — Euphorie bricht in ihm aus wie ein lange hinausgezögerter Orgasmus —, so von Bergen umgeben, als liege es im Schoß der Götter, der hellgelbe Sand und das smaragdgrüne Wasser. Die Sonne streichelt sein Gesicht, die leichte Brise, die er plötzlich spürt, kräuselt Flocken auf den sanften Wellen, einige Kanus ziehen über das Wasser, deren Bewegungen ein verheißungsvolles Murmeln verursachen, das lauter wird, je weiter sie den steilen Pfad hinabsteigen. Die Trage ist unbequem, und einige Male rutschen die Träger aus, so daß er sich an die seitlichen Streben klammern muß, doch bei diesem Anblick kann ihn nichts beunruhigen. Unter ihnen liegen der Malagarasi-Fluß, der sich rötlich in den See ergießt, und ein Dorf, das sich so glückselig an eine sanft gerundete Bucht schmiegt, wenn Parks und Obstgärten hinzukämen, Moscheen und Paläste, es wäre schöner als der zauberhafteste Küstenort Italiens. Melancholie? Monotonie? Weggeblasen, hier und jetzt werden alle Öden entlohnt, in diesem Augenblick spürt er eine Befriedigung, so umfassend, er hätte doppelt so viele Schmerzen, Sorgen und Nöte auf sich genommen für diesen Preis, und er hätte es nicht bedauert.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Meine Brüder, es ist wahr, ich habe mit Stolz von meinen Reisen erzählt, und meine Frau hat recht, manchmal habe ich dem Stolz nach dem Mund geredet, deswegen muß ich euch jetzt gestehen, jetzt, da wir den Höhepunkt der ersten Reise erreicht haben, wieso ich mich für jede meiner Reisen auch geschämt habe, ich muß euch gestehen, wieso ich jede meiner Reisen auch bereut habe. Weil ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, was kein Mensch sehen sollte, weil ich den Anfang von Sklaverei gesehen habe, weil ich gezwungen war, meinen ersten Tod immer wieder zu durchleben, und jedesmal dachte ich, schlimmer kann es nicht werden, schlimmer als hier in Ujiji, dem Ziel unserer Reise, so dachte ich damals. Aber ihr wißt ja, wenn der Mensch ihm Zeit läßt, führt das Leben etwas noch Schlimmeres heran, und so geriet ich auf der zweiten Reise an einen Ort, der noch grausiger war als Ujiji. Jedesmal, wenn ich eine Karawane von Sklaven sah, ob in Zungomero, in Kifukuru, in Kazeh, in Ujiji oder in Gondokoro, starb ich erneut meinen ersten Tod. Und ihr könnt mir glauben, der wiederholte Tod ist kein angenehmerer Tod. Die Wazungu, die ich begleitet habe, sie nannten sich Entdeckungsreisende, aber die wahren Entdecker des Festlandes waren die Sklavenhändler. Überall, wo wir hinkamen, waren sie schon gewesen. Wenn die Dörfer nicht niedergebrannt waren, waren sie verwaist, und wenn die Sklavenhändler ihre Beute nicht über das Land trieben, füllten sie Boote mit ihren Opfern, so voll, eine Hälfte mußte geopfert werden, das war der Hongo, den sie dem Tod entrichteten. Die Sklavenhändler am ersten großen See, sie waren die gemeinsten der Gemeinen, sie waren Menschenfresser, und zu meiner Scham traf ich sie wieder an beiden großen Flüssen, an dem Fluß, den sie Nil nennen, und an dem Fluß, den sie Kongo nennen. Von Ujiji aus wurden die Sklaven durch das ganze Land getrieben, bis nach Bagamoyo, und am Nil wurden sie den Fluß entlang nach Norden verschifft, an einen Ort namens Khartum, den ich mit eigenen Augen sehen sollte, auf meiner zweiten Reise, und von dort aus weiter an einen Ort namens Kairo, den ich auch sehen sollte, und von dort aus in alle Teile der Welt. Diese Menschenfresser, diese Händler der Todes, sie kamen an, wenn der Wind günstig wehte, wenn er ihre vielen Boote von Norden nach Süden trieb, dieser verfluchte Wind, der ihnen zur Seite stand, der sie vereinte mit Jägern, die sie in Banden zurückgelassen hatten, die in Lagern am Ufer des Nils lebten, und in den Monaten, in denen der Wind ihnen nicht zur Seite stand, zogen diese Banden aus und jagten, sie sammelten ihre Beute in ihren eingepfählten Lagern am Ufer des großen Flusses, sie hielten ihre Beute dort gefangen und warteten darauf, sie nach Norden zu verschiffen. Wenn sie keine Menschen finden konnten, wenn die Bewohner der Dörfer sich versteckten, wenn die Vorsteher nicht bereit waren, ihnen Gefangene oder in Ungnade Gefallene zu verkaufen, trieben sie alles Vieh zusammen, und sie erpreßten die Ältesten der Dörfer, ihnen Sklaven zu geben für dieses Vieh oder zu verhungern. Die Ältesten waren gezwungen, zum Angriff auf benachbarte Dörfer aufzurufen. So plünderten diese Banden, und wenn der Wind seine verfluchte Hilfe gewährte, waren die eingepfählten Lager an dem Ort namens Gondokoro voller Menschen, die ihren ersten Tod schon erlitten hatten. Wenn es einen Ort gab auf dieser Erde, der mir Angst einjagte, Angst, die mich tagsüber quälte und nachts plagte, so war es dieser Ort, dieser Ort namens Gondokoro, ein Ort, der weder Barmherzigkeit noch Erbarmen kannte. Die einzigen Frauen in Gondokoro waren kranke Frauen, die ihren Körper verkauften, abgenutzte Schwämme, die die Lust der Männer aufsaugten. Es gab keine Kinder in Gondokoro, die nicht zusammengepfercht und eingesperrt waren. Gondokoro war für alle ein Ort des Todes. Für die Bewohner des Landes und für die Fremden, für die Moslems und für die Christen. Selbst die Zitronenbäume in Gondokoro waren gestorben. Sie standen in zwei Reihen, sie waren angelegt worden von Männern mit dem Kreuz auf der Brust aus dem Land der Deutschen, sie hatten ein Haus für ihren Gott gebaut, sie hatten Gärten für ihr Wohlergehen gepflanzt, und sie hatten einen Friedhof angelegt …