— Einen Friedhof! Die Wahnsinnigen.
— Eine Handvoll von ihnen lag eng beieinander in den Gräben hinter dem Zitronengarten. Sie hatten keinen einzigen Menschen von ihrem Glauben überzeugen können. Alles, was sie erbaut hatten, war wieder zerfallen, und es gab in ganz Gondokoro keinen einzigen, der sich zum Kreuz bekannte, es gab aber unendlich viele, die dem Alkohol verfallen waren.
— Kein einziger Christ? Da seht ihr es, was das für ein schwacher Glaube ist.
— Vielleicht, vielleicht ist der Glaube der Männer mit dem Kreuz auf der Brust schwach, vielleicht aber waren die Menschen zufrieden mit dem Glauben ihrer Vorväter.
— Es müßte sie nur der wahre Glaube erreichen.
— Er hat sie erreicht, der wahre Glaube saß in den Herzen der Sklavenhändler, der Menschenfresser, er bediente sich desselben Windes wie sie, und er schwieg, während sie Leben raubten. Wie ein Vater, der die Missetaten seines Sohnes hinnimmt, weil es sein Sohn ist. Was ist eine Gerechtigkeit wert, die nicht auch, nein, die nicht zuerst in der eigenen Familie gilt? Unsere Brüder im Islam, sie waren schlimmer als der Teufel. Sie wüteten und wüteten, und wenn ein Dorf sich gegen ihren Angriff wehrte, wenn es gegen sie kämpfte und den Kampf verlor, denn sie hatten Flinten, die den Tod schneller verkündeten als jeder Speer, wenn das Land unruhig wurde und ihre Geschäfte in Gefahr gerieten, dann nahmen sie Gefangene, viele Gefangene, sie banden ihre Hände und ihre Füße fest, nicht, um sie zu verkaufen, sondern um sie über eine Klippe zu treiben, eine Klippe am Wasserfall, wo die Gefangenen in den Fluß stürzten, und es wäre schlimm genug gewesen, wenn diese Menschen erschlagen worden wären von den Felsen, wenn sie ertrunken wären, aber dieser Fluß war voller Krokodile, sie wurden zerfleischt, so wie sie im Wasser trieben, gebrochene Menschen, leichte Beute für die Krokodile, und die Kunde von ihrem Ende verbreitete sich so schnell über das ganze Land wie eine Heuschreckenplage. Und wenn die Sklavenhändler bei den Kämpfen jemanden töteten, dann schnitten sie ihm die Hände ab, um seine Armreifen aus Kupfer zu stehlen. Die Leichname warfen sie auf einen Haufen in sicherer Entfernung ihres Lagerplatzes, und am nächsten Morgen waren nur noch die Knochen der Toten übriggeblieben.
— Geier!
— Die Geier, das habe ich gehört, sie fangen mit den Augen an …
— Wollen wir das wissen?
— Dann picken sie an den inneren Seiten der Oberschenkel, dann an dem Fleisch unter den Armen und schließlich am Rest des Kadavers.
— Diejenigen, die so etwas tun, sind es Menschen?
— Ihr wißt, nur ein anderer kann dich Mensch nennen, und ich habe keinen getroffen, der sie Mensch genannt hätte. Aber wer sie nicht kannte, nicht aus eigener Erfahrung kannte, wer nichts über sie wußte und wer nicht nachdachte, der hätte sie Brüder im Islam genannt.
— Einer dieser Brüder hat einmal alle Männer eines Dorfes gefangengenommen, um an das Elfenbein zu gelangen, das die Männer vor ihm versteckt hatten. Die Ältesten und die Frauen gaben nach, sie kauften die Freiheit ihrer Männer zurück mit all den Stoßzähnen, die sie besaßen, doch einer der Männer war arm, seine Familie besaß kaum etwas, und so wurde für seine Freiheit nichts geboten. Der Sklavenhändler schnitt ihm die Nase ab, die Hände, die Zunge und die Teile seines Mannseins, er schnürte sie zu einer Kette zusammen, die er dem Mann um den Hals legte, und so schickte er ihn zurück in sein Dorf.
— Hast du das mit eigenen Augen gesehen, Baba Ishmail?
— Nein.
— Dann ist diese Geschichte vielleicht nicht wahr?
— Glaubst du, ich könnte so eine Geschichte erfinden? Ich habe den Mann mit eigenen Augen gesehen, und ich schwöre euch, seine Nase, seine Hände und seine Zunge waren nicht nachgewachsen.
— Ich werde euch sagen, was ich selbst erlebt habe, obwohl es schmerzt, darüber zu reden, und es schmerzt, davon zu hören, aber wenn ich es schon nicht vergessen kann, kann ich wenigstens davon erzählen. Wir lagerten neben den Sklavenhändlern, die Wazungu hatten keine Bedenken, die Nachbarschaft des Teufels aufzusuchen, und in der Nacht hörten wir einen Schuß, und am nächsten Morgen erfuhren wir, daß jemand ins Lager geschlichen war, der Vater eines der verschleppten Mädchen, er war gekommen, um sein Kind noch einmal zu sehen, und als die Wache ihn bemerkte, hatte die Tochter bereits ihre Arme um seinen Hals geschlungen, und beide weinten. Die Wache zerrte den Mann zum nächsten Baum, band ihn am Stamm fest und erschoß ihn. Am nächsten Morgen mußte ich Bwana Speke in das Lager der Sklavenhändler begleiten, er brauchte mich zum Übersetzen, er wollte einige Auskünfte einholen. Bevor wir die Menschen sahen, sahen wir den Besitz, der ihnen geraubt worden war, Töpfe, Trommeln, Körbe, Werkzeuge, Messer, Pfeifen, alles lag herum, als wüßten die Sklavenhändler nicht, was sie damit anstellen sollten. Der erste Mensch, den ich erblickte, war ein Mann, ein junger Mann, der seinen Arm hob, obwohl die Handfesseln sich in sein Fleisch gefressen hatten, immerzu seinen Arm hob, um den Druck des eisernen Halsbandes zu lockern, und er erinnerte mich an einen Vogel, der vergeblich versucht, seinen gebrochenen Flügel zu heben, immer wieder.
Er war einer von vielen, aber als ich ihn mir genauer angesehen habe, sah ich nicht einen unbekannten jungen Mann auf der Erde kauern, ich sah mich, am Ende meines ersten Lebens, ich sah in dem Gesicht dieses Mannes den Jungen, der in mir gestorben war, und die Narben an meinem Handgelenk und an meinem Hals begannen zu brennen. Ich wollte keinen weiteren Gefangenen ansehen, ich hielt meine Augen gesenkt, aber was für ein Narr war ich zu glauben, ich könnte entkommen, wenn ich mich blind stellte. Was ich auf dem Boden nicht sehen konnte, das drängte mir der elende Gestank auf, der durch meine Nase riß, die Ausdünstungen von Menschen, die nicht zum Wasser gehen konnten, die sich nicht hinter Termitenhügeln erleichtern durften. Die kein Essen erhielten, sondern selber in den Wäldern nach Essen wühlen mußten, die Aufgabe der gefangenen Frauen, die gerade in das eingepfählte Lager zurückgetrieben wurden, als wir dastanden und versuchten, nichts zu sehen und nichts zu riechen. Sie hatten Wurzeln ausgegraben und wilde Bananen gefunden, und was sie mitbrachten, wurde den anderen Menschen, die in dem ranzigen Dunst ihres Überlebens zusammengebunden waren, zugeworfen, ungeschält und ungekocht, roh, so wie die Frauen es aus der Erde gegraben und von den Büschen gepflückt hatten, und die Gefangenen stürzten sich auf das Essen, sie krochen über die Erde und kämpften um die rohen Wurzeln und die grünen Bananen, und sie schrien schrill, weil die Halsbänder und die Fußfesseln und Ketten am Handgelenk sich noch tiefer in ihr Fleisch gruben. Der Sklavenhändler, den wir aufsuchen wollten, er stand auf einmal neben uns, und nach den Begrüßungen, für die Bwana Speke meiner Hilfe nicht bedurfte, begann ein Gespräch, dem ich nicht gut folgen konnte, ich verstand Bwana Spekes Worte nicht, und ich sah dem Gesicht des Sklavenhändlers an, wie wenig er meine Worte verstand, sein Gesicht durchwanderte ein langes Tal der Verwunderung. Bwana Speke sprach lauter, seine Worte beschworen eine Überzeugung, von der mich ein großer Graben trennte, seine Beschwörungen waren Brunnen, die das Feld von anderen bewässerten. Siehst du diese Menschen, hörte ich mich zu dem Sklavenhändler sagen, sie müssen trinken, genauso wie du. Sie haben Durst, genauso wie du. Was verlierst du, wenn du ihnen einen Bottich hinstellst mit Wasser. Sein Gesicht verfinsterte sich. Du Gnom, schrie er, glaubst du, jemand hört auf dich, wenn du nicht für den Mzungu übersetzt? Du bist ein Nichts, und wenn du nicht das Maul hältst, werde ich dir ein besonders enges Band um den Hals legen und dich zu den anderen werfen. Sein Gesicht verformte sich wie Speckstein und erstarrte dann in Verachtung. Er blickte zu Bwana Speke, und er lächelte ein Lächeln, das abscheulich war, für das es nur eine Entgegnung gab, ich mußte die Zähne aus diesem Lächeln kratzen. Ich dachte nicht nach, der Dolch war in meiner Hand, und mein Arm erhob sich, ich hörte nichts, und ich nahm nichts wahr, Bwana Speke erzählte mir später, ich hätte geröhrt wie ein angeschossener Büffel, und die Verachtung auf dem Gesicht des Sklavenhändlers riß auf, als sei der Speckstein auf einen härteren Felsen gefallen. Er war wehrlos, so wehrlos wie jeder gegenüber dem Unerwarteten ist. Ich weiß nicht, ob ich ihn verletzt oder getötet hätte, und ich werde es nie erfahren, denn Bwana Speke packte meine Schultern von hinten, seine langen Arme schlangen sich um mich, und er säuselte mir ins Ohr, Shanti, Shanti, das Wort, mit dem die Banyan sich Frieden wünschen, und ich konnte es nicht ertragen und hätte meinen Dolch auch gegen ihn gerichtet, aber er war stark, erstaunlich stark, und meine Wut klatschte gegen seine Stärke, bis sie langsam verebbte. Und während er mich noch festhielt, geriet der Sklavenhändler in Bewegung, mit vielen Gesten bedeutete er Bwana Speke, er wolle mich zur Strafe auspeitschen, doch Bwana Speke schüttelte den Kopf und sagte das einzige Wort, das er in den Sprachen der Versklavung kannte, auf Arabisch und auf Kisuaheli, er sagte laut und langsam: Hapana, und dann rief er ein La! das durch die Luft schwirrte und all das, was geschehen war, von dem restlichen Tag abtrennte. Er zog mich mit sich, und ich sah beim Umdrehen noch einmal die gefesselten Menschen hinter den Pfählen, und mir fiel auf, sie kämpften nicht mehr um die Wurzeln, sie blickten mich alle still an, und ich konnte nicht erkennen, was ihre Blicke ausdrückten, ob sie meine Tat guthießen oder ob sie mich verachteten, ich wußte nur, es waren Blicke, die ich nie vergessen würde. Ich wünschte, keine Augen gehabt zu haben.