— Im Zamzam-Wasser wird nicht gebadet.
— Natürlich nicht, aber die Banyan, die glauben, manche Flüsse seien heilig, anstatt zu beten, nehmen sie ein Bad. Wir sind aber nicht in Indien, sagte ich zu Bwana Speke, und woran erkennen wir, ob dieses Wasser heilig ist? Es ist die Quelle des Nils, sagte er, wie soll das nicht heilig sein? Können wir einfach so entscheiden, welches Wasser heilig ist? fragte ich ihn. Was meinst du, wie solche Zeremonien überhaupt entstanden sind? gab er mir zur Antwort. Irgend jemand hat eines Tages etwas behauptet, etwas getan, andere haben es ihm geglaubt, nachgemacht, und heute erzittern wir in Ehrfurcht vor der Tradition.
— Er hat unseren Propheten, möge Gott ihn mit Frieden beschenken, beleidigt.
— Regen Sie sich nicht auf, Muhtaram Imam.
— Wie? Was sprichst du da. Dieser Frevler beleidigt …
— Es ist doch lange her.
— Vielleicht hat Baba Sidi seine Worte falsch wiedergegeben?
— Er hat den Propheten nicht beleidigt.
— Wie? Du selber hast doch seine Worte wiederholt.
— Soweit ich weiß, kannte er den Propheten gar nicht, ich meine, er hatte bestimmt von ihm gehört, er wußte ein wenig über al-Islam, aber dieses Wissen war ohne Wurzeln. Er wollte in diesem Augenblick einfach nur etwas Weihevolles tun, etwas, das großartig wirkte, etwas, das den starken Gefühlen entsprach, die seine Entdeckung in ihm geweckt hatten. Er wollte feiern, und er wußte nicht, wie wir gemeinsam feiern, wie wir den Augenblick ehren sollten.
— Mir ist unbegreiflich, was euch an diesen Geschichten erfreut, Abend um Abend, so sehr erfreut, ihr vernachlässigt eure Familien. Tote Reiher, abgeschnittene Haare und ein Ungläubiger, aus dem der Teufel spricht.
— Wir lernen von der Welt, Imam, was kann das schon schaden?
— Ich denke, der Imam verfährt nach der Weisheit: Der Mensch, der nichts weiß, bezweifelt nichts.
— Willst du auch unseren Imam beleidigen?
— Wollt ihr an allem Anstoß nehmen, was nicht aus euren eigenen Mündern stammt?
— Widmet euch lieber der Lektüre des Glorreichen Korans, dort findet ihr genügend Geschichten, und es sind ältere Geschichten, von ewigem Sinn. Ich werde nun Abschied nehmen, meine Brüder. Assalaamu Alaikum.
— Waleikum is-salaam, Muhtaram Imam.
— Waleikum is-salaam.
— Er ist nicht lange geblieben.
— Länger als Baba Sidi in der Moschee.
— Ihr beide, ihr werdet nicht zusammenfinden.
— Vielleicht in der nächsten Welt.
— Sagt mir, meine Brüder, ich habe mich immer gefragt, im Himmel, wird dort auch der Glorreiche Koran gelesen? Oder dient er nur als Wegweiser dorthin?
— Du hättest den Imam fragen müssen.
— Ich habe zu spät daran gedacht.
— Das ist auch besser so.
— Wie heißt eigentlich der zweite große See?
— Nyanza. So sagte uns der Mann, der das gegenüberliegende Ufer kannte. Bwana Speke war mit diesem Namen nicht zufrieden, er wollte einen anderen Namen. Er gab allen Orten, die er auf jener Reise erblickte, jener kurzen Reise ohne Bwana Burton, gleich einen Namen, so als verteile er Geschenke an Kinder aus armen Familien. Kaum hatte er sich für einen Namen entschieden, bat er mich, die Träger von dem neuen Namen in Kenntnis zu setzen. Ich reichte die Namen an sie weiter, und sie waren erstaunt über diesen Brauch, den sie sich nicht erklären konnten. Vielleicht kann er sich nur an das erinnern, was er selbst benannt hat, schlug einer von ihnen vor. Bevor Bwana Speke wußte, wie das andere Ufer des Sees, die andere Seite des Hügels, das andere Ende des Tals aussah, hatte er dem See, dem Hügel, dem Tal schon einen Namen gegeben. Während wir noch nach Luft rangen, denn der Aufstieg war steil, gab er dem Hügel, von dem aus wir zum ersten Mal den zweiten großen See erblickten, den Namen Somerset. Die kleine Bucht, die unter uns lag, nannte er Jordan, einer der Felsen, die sich ins Wasser streckten, hieß von nun an Burton Point und ein Busen des Sees Speke Channel. Eine Gruppe von Inseln erhielt den Namen Bengal Archipelago, und dem See selbst, diesem See, der so weit schien wie das Meer, gab er mit feierlicher Stimme, so als würde er das Wort vor der Versammlung der Ältesten ergreifen, den Namen Victoria. Die Wazungu nennen das Wasser immer noch Victoria, zumindest nannten sie es so auf meiner letzten Reise, und nun, da die Wazungu ihre Flagge über unserem Hafen gehißt haben, wer weiß, vielleicht wird dieser See noch lange Zeit nach einer ihrer Frauen benannt sein. Die meisten Wazungu sind stolz auf diesen Namen, weil sie denken, der See heiße zu Ehren ihrer Königin so, aber Bwana Speke hat mir anvertraut, später am Abend dieses Tages, es sei ein glücklicher Zufall, daß seine Mutter und die Königin seines Landes den gleichen Namen trugen, und so konnte er den See, den er entdeckt habe, seiner Mutter widmen, ohne befürchten zu müssen, einer unangemessenen Widmung beschuldigt zu werden. Aber Saheb, der See hat schon einen Namen, der See trägt den Namen Nyanza. Unfug, rief Bwana Speke aus, und ich konnte spüren, wie der Zorn in ihm aufkochte, wie kann er einen Namen haben, ich habe ihn erst heute entdeckt. Verstehst du nicht, Sidi, er existiert auf den Karten bislang noch nicht. Seine Worte verwirrten mich, ich dachte lange nach, und ich kam schließlich zu dem Schluß, es könne nicht schaden, wenn die Seen und die Berge und die Flüsse viele Namen haben, Namen aus verschiedenen Mündern, Namen für verschiedene Ohren, Namen, die von verschiedenen Merkmalen und von verschiedenen Hoffnungen sprechen. Doch ich hatte meine Rechnung ohne den Zolleintreiber gemacht, ich hatte zu nahe am Fluß gesät und die Gefahr des Hochwassers übersehen. Die Wazungu wollen für jedes Ding nur einen Namen gelten lassen, sie sind verstockt wie Esel, sie wollen nicht die vielen verschiedenen Namen akzeptieren, die ein Ort haben kann. Als wir zurückkehrten nach Kazeh, wo Bwana Burton auf uns wartete, und dort mit den Arabern über den See sprachen, bestand Bwana Speke darauf, von dem Victoria-See zu reden. Ich mußte den Arabern erklären, Bwana Speke sage zwar Victoria, meine aber Nyanza, worauf einer der Araber mich mit geschärfter Zunge fragte, wieso der Mzungu nicht das sage, was er meine, und ob er etwas vor ihnen verberge. Wie immer, wenn es schwierig wurde, mischte sich Bwana Burton ein und glättete die Wogen mit einem Arabisch, das aus seinem Mund floß wie zerronnene Butter. Manchmal aber, ich will es euch nicht verschweigen, bat mich Bwana Speke, ihm die einheimischen Namen zu nennen, die er in kleinen Buchstaben hinter den von ihm verliehenen Namen niederschrieb. Ich habe mich nach den geläufigen Namen erkundigt und ich habe sie ihm mitgeteilt, Nyanza für den großen See, Ukerewe für die Inseln in dem großen See, und so hätte er in seinem Buch sowohl die Namen seiner Eingebung als auch die Namen der Überlieferung eingetragen, wenn wir nicht zu einem Fest eingeladen worden wären, bei dem wir Bananenbier getrunken haben, so viel Bananenbier, mir klebte noch viele Tage später der Geschmack auf der Zunge und alles schmeckte nach Bananenbier, die Brühe, das Fleisch, die Süßkartoffeln. Ihr wißt, ich trinke nicht, aber es war das einzige, was uns erquicken konnte, wir wurden von den Männern des Dorfes eingeladen, sie hatten das Bier zu unseren Ehren gebraut, alle Träger tranken, und ich trank mit ihnen. Wir haben an diesem Abend ohne Zurückhaltung unsere Wunden geleckt, wir haben laut über die Reise und die Wazungu geschimpft, und ein anderer Gast des Dorfes erzählte eine Geschichte, von einem Mann, der an einem anderen Ufer dieses Sees lebte und der den See Lolwe nannte, und als wir fragten, was dieser Name bedeute, sagte er uns, es sei der Name eines Riesen, der so groß sei, er hinterlasse einen See, jedesmal, wenn er sich erleichtere, kleinere Seen, mittlere Seen, und eines Nachts ließ er so viel Wasser wie noch nie zuvor, und am nächsten Morgen starrten die Menschen auf einen See ohne Ufer.