— Wahrlich, kein Dolch ist so scharf wie die Zunge des Menschen.
— Nachdem er aber die Karte von Bwana Speke genauer angesehen und die Behauptungen von Bwana Speke angehört hatte, mußte Bwana Burton seine eigene Karte verändern, ihr wißt ja, die Größe des Tieres, das du erlegt hast, hängt von der Größe des Tieres ab, das dein Rivale erlegt haben will. Seine Karte mußte beweisen: Der erste große See ist die Quelle des Flusses, den sie Nil nennen. Eines Abends bin ich in sein Zimmer gegangen, in dem Haus, das er und Bwana Speke in Kazeh bewohnten, ich wollte ihn etwas fragen, und ich sah, wie er gerade zeichnete, er zeigte sich erfreut über meine Anwesenheit und fragte mich ein wenig über die Einzelheiten unserer kurzen Reise zum zweiten großen See aus. Und dann erklärte er mir ausführlich seine Karte, als bedürfe die Wahrheit meiner Zustimmung. Die Namen auf seiner Karte, die er mir vorlas, es waren Namen wie Changanyika und Nyanza, und er muß mein Erstaunen gesehen habe, als er mir erklärte, es gebe für ihn nichts Verrückteres, als fernen Orten im Inneren dieses Landes englische Namen einzubrennen. Auf der Karte konnte ich nicht nur diese zwei Seen erkennen, sondern auch Berge, und ich verstand nicht alles, was er mir erklärte, aber doch soviel, es seien Berge, die keiner von uns gesehen hatte, von denen er aber annahm, es gebe sie, weil seine Bücher davon sprachen, diese Berge, die er die Berge des Mondes nannte und die er so lange auf seiner Karte hin und her geschoben hat, bis sie der Behauptung von Bwana Speke im Wege standen, der zweite große See sei die Quelle.
— Ein Hintern kann nicht zugleich auf einem Pferd und auf einem Esel sitzen.
— Das ist wohl wahr, aber wenn zwei sich streiten, können beide recht haben.
— Baba Sidi, mein Kopf war schon immer ein Faulpelz, und jetzt bin ich zudem noch alt und dieser Abend auch, und ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst.
— Egal, es ist egal, Baba Burhan, es geht um zwei Wazungu, die große Berge hin und her schieben, so wie es ihnen gerade gelegen kam.
— Berge, die man nie gesehen hat, kann man leicht verschieben.
— Bwana Burton hat den einen oder anderen Fehler in Bwana Spekes Karten gefunden, er hat ihn auf diese Fehler hingewiesen, und daraufhin hat Bwana Speke seine Zeichnung verändert. Ich habe sie in seinem Zimmer gesehen, er hat den einen See verkleinert und den anderen See vergrößert und die Berge weiter nach Norden versetzt. Ich war verwirrt, weil ich nicht verstehen konnte, wieso die Wazungu, die sonst so gewissenhaft waren, so leichtfertig mit diesen Karten umgingen, für die sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Aber als ich mit dem Mganga über dieses seltsame Verhalten der Wazungu sprach, erzählte er mir die Geschichte von den Bergen, von den drei Brüdern, die auf Wunsch ihres Vaters, des Königs der Berge, auf Reisen gingen, und ich habe verstanden, was mir bis dahin verschlossen geblieben war, die Karten der Wazungu waren Märchenerzähler, und Bwana Speke und Bwana Burton wandelten ihre Märchen immer wieder etwas ab, wie es sich für gute Märchenerzähler gehört.
Das aufgeschlagene Notizbuch von Burton verzeichnet drei Monate und zehn Fieberanfälle, seitdem sie erneut von Kazeh aufgebrochen sind. An manchen Abenden ist er gelähmt, an anderen fast blind. Es ist nicht mehr möglich, das Lager trocken zu halten. Der Regen peitscht sie aus, seit Tagen schon. Als es zu regnen aufhört, wachsen der Zeit weiße Flügel, die sich in der Feuchtigkeit ausbreiten, bis die Zahl der Termiten jene der Sekunden übersteigt. Die Nächte werden immer kälter. Selbst seine Albträume leiden unter Schüttelfrost.
Speke liegt neben ihm und redet. Über die Qualen. Es erleichtert ihn, sie in Worte zu fassen und zwischen Husten und Stöhnen auszustoßen. Draußen plätschert Regen. Er war schon oft krank, aber dieser Zusammenbruch ist der bisher schlimmste. Es fing an mit einem Brennen, als würde ein glühendes Eisen auf seine rechte Brust gedrückt werden. Von dort aus breitete sich der Schmerz aus, erreichte das Herz mit scharfen Stichen, und die Milz, wo er verharrte, er griff den oberen Teil der Lunge an, er setzte sich in der Leber fest. Meine Leber! Meine Leber! Speke taucht wieder ab in einen Dämmerzustand.
Am nächsten Morgen erwacht er aus einem Albtraum, in dem er von einem Rudel Tiger und anderen Biestern, eingezäumt in ein Geschirr aus Eisenhacken, über den Boden geschleift wurde. Er richtet sich auf und hält sich die Seite. Ein allmächtiger Schmerz. Darf ich etwas ausprobieren? fragt Bombay, und auf Burtons Einverständnis hin hebt er den rechten Arm von Speke und weist diesen an, seinen linken Arm hinter den Kopf zu ziehen, damit der Druck der Lunge auf die Leber entlastet wird. Tatsächlich, der stechende Schmerz läßt nach. Burton blickt Bombay anerkennend an. Kaum scheint das Schlimmste überstanden zu sein, erleidet Speke einen Rückfall, eine Art epileptische Attacke. Und wieder zerren Ungeheuer Sehnen aus seinem Körper und kauen daran, als wären sie Rauchfleisch. Nach dem Anfall liegt er auf dem Feldbett, seine Glieder gepeinigt von Krämpfen, seine Gesichtsmuskeln angespannt, steif, die Augen gläsern. Er beginnt zu bellen, mit einer merkwürdigen, ungleichmäßigen Bewegung des Mundes und der Zunge. Er kann kaum atmen. Sein Verstand klart auf in der Überzeugung, er sei dem Tod nahe, und er bittet Burton um Papier und Stift, und mit zitternder Hand schreibt er einen wirren Abschiedsbrief an seine Mutter und seine Familie. Aber sein Herz kann nicht aufgeben. Die kleinen stechenden Eisen ziehen sich allmählich zurück. Stunden später murmelt er, Burton nimmt es im Halbschlaf wahr: Die Messer sind zurück in der Scheide.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Unser Leid kannte keine Grenzen, kaum verging der eine Schmerz, brach ein anderer aus, kaum war eine Last abgelegt, kam eine neue hinzu, und ich habe mich oft gefragt, wie halten wir es aus, wie halten es die Wazungu aus, die aus einem Land kamen, in dem alles anders war als bei uns, die Hitze, die Tiere und sogar die Krankheiten. Und erst spät auf der ersten Reise begriff ich, was ich von Anfang an hätte wissen sollen, die Wazungu fühlen sich ohne dieses Leiden nicht lebendig, erst knapp vor unserer Rückkehr wurde mir klar, sie sind von dem Leiden abhängig wie andere von Alkohol oder von Khat oder vom Ganja. So überraschte es mich nicht, die Wazungu wiederzusehen, keine zwei Monsune später, Hamid war noch nicht geboren. Bwana Speke war wieder in Sansibar, diesmal mit einem anderen Begleiter, auch das überraschte mich nicht, einem stillen Mann namens Bwana Grant, der ein langweiliger Ersatz war für Bwana Burton. Auch die anderen, Bwana Stanley und Bwana Cameron, sie kehrten immer wieder zurück, es zog sie zu ihren Leiden, alle, außer jenen, die nicht überlebten. Kaum war die Gesundheit wieder in ihre Körper eingekehrt, begannen sie die nächste Reise zu planen, und es war ihnen mitnichten daran gelegen, zu einer bequemeren oder einfacheren Reise aufzubrechen, oh nein, im Gegenteil, beim nächsten Mal suchten sie noch mehr Schmerzen auf, segelten sie noch näher am Tod, sie waren wie ein Fischer, der sich nicht damit zufriedengibt, das Riff überwunden zu haben, der es immer wieder versuchen muß, an Stellen, die nicht zu durchschiffen sind, Stellen, an denen das Boot am Riff zerschellen muß.
Bwana Burton, er war der Schlimmste, er wollte das Leiden nicht einmal unterbrechen, er wollte nicht abwarten, bis er in sein Land zurückgekehrt war, um erneut aufzubrechen. Wir hatten Zungomero erreicht, wir wußten, von hier aus ist es ein halber Monat bis zur Küste, wir sahen unsere Häuser und unsere Familien vor uns, zumindest jene, die Häuser und Familien hatten, sie waren nur noch einen letzten halben Monat Anstrengung entfernt, da sagte Bwana Burton, wir müßten noch den Weg nach Kilwa ausfindig machen. Welches Kilwa? fragte ich, denn ich traute mich als erster, ihm offen zu widersprechen. Die alte Stadt im Süden, antwortete er. Sprichst du, fragte ich ihn, oder spricht das Fieber aus dir? Wenn du kein Verlangen nach Rückkehr hast, dann bist du jedem anderen Menschen ein Rätsel, dann mußt du den Rest des Weges alleine beschreiten, denn wir alle haben nur noch ein Ziel. Ihr werdet tun, was ich euch befehle, rief er, mit einer Lautstärke, die bestimmen wollte, aber in einem Tonfall, der verzweifelt klang. Ich blickte um mich, blickte die Überlebenden an, und in diesem Augenblick waren wir uns alle einig, wir würden uns weigern, sofort, ohne weiteres Zwiegespräch, und so wandten sich die Träger ab, die Belutschen wandten sich ab, und auch Said bin Salim und Sidi Mubarak Bombay wandten sich ab von Bwana Burton, der alleine zurückblieb, ein Verrückter, der seinen Wahn keinem anderen Menschen mehr aufzwingen konnte.