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Es hat aufgehört zu regnen, endlich; die Erde ist noch schwer von dem tagelangen Niederschlag. Er hört ein Trommeln — oder täuscht er sich? — , ein unbekanntes Trommeln, das noch bedrohlicher klingt als das Platzen der Tropfenpatronen. Ein Gezischel zudem, und noch bevor er aus dem Zelt stürzen kann, braust es heran, ein Geräusch, das ihn um so mehr beunruhigt, da er es nicht deuten kann. Draußen, in einer von unverständlichen Lauten erleuchteten Finsternis, wird ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, augenblicklich, noch bevor er sich umsehen kann. Die Erde bewegt sich, in seinem Hörschatten fällt der Hang in sich zusammen. Burton stürzt, er liegt auf der Seite, mit wehen Rippen, das rechte Bein hochgestreckt, einverleibt von einem allgegenwärtigen Rutschen, er tritt aus, er sucht nach Halt, sein Bein ist eine nutzlose Pumpe, ein stumpfer Anker, und er rutscht weiter, in den Fängen einer ungeheuren Macht. Ein Gedanke drückt sich auf: Das Lager, das gesamte Lager wird weggeschwemmt. Wir werden im Schlamm begraben. Er schreit: Jack, schreit er, Jack. Etwas Schweres schlägt ihn nieder, der Schmerz sitzt auf Höhe seiner rechten Niere, er rollt, sein Gesicht wird in den Boden gedrückt, sein Schrei füllt sich mit Schlamm, der in seinem Mund brodelt, als würden Maden entschlüpfen. Er versucht sich mit den Armen abzustoßen, aber sie versinken in einem tiefen Teig, er wird nach unten gezogen, weiter, er wird untergehen, er wird lebendig begraben werden, verdammt, das ist ungerecht. Sein Kopf schlägt gegen einen Stein, er wird erneut umgeworfen, gewälzt, gemahlen, auf dem schlammigen Acker seines Gesichts spürt er auf einmal Luft, er atmet ein, durch die Nase dringt ein Hauch, morastschwer, er traut sich zu husten, und dann schreit er wieder: Jack, schreit er, einige Male, und dann schreit er: Bombay. In der Wirbelschleuder von Geräuschen hört er keinen einzigen menschlichen Laut, nicht einmal ein Grunzen. Wo sind die anderen? Das ist sein letzter Gedanke, bevor er ins Wasser fällt, als hätte der Hang ihn weggeschüttet, er fällt in eine andere Kälte, und er weiß nicht, wo oben ist und wo unten, aber umgeben von Wasser beruhigt er sich ein wenig. Auch das Wasser bewegt sich, es bewegt sich mit ähnlicher Entschlossenheit, aber mit weniger Hysterie. Er fühlt sich sicherer im Wasser, er streckt seine Glieder aus, seine schweren Glieder. Er hat keine Angst mehr. Ich kann nicht ertrinken, denkt er, als sei jede weitere Bedrohung nichtig, sobald die Gefahr, vom Schlamm lebendig begraben zu werden, vergangen ist. Gelegentlich sind sich die Fluten einig, ein Chor im Crescendo, er kann seinen Kopf ein wenig heben, und er kann um sich blicken, in eine tintige Vergeblichkeit hinein, doch manchmal zerren verschiedene Stimmen an ihm, saugen um die Beute, er ballt sich zusammen, er wartet darauf, gegen einen Felsen geschleudert zu werden. Oder an Land. Er bekommt etwas zu fassen, etwas Langes, Faseriges, er hält es fest, das Wasser schnellt an ihm vorüber. Die Wurzel — die Liane? — in seinen Händen fühlt sich an wie der ausgerenkte Arm eines Klammeraffen. Er hält sie eine lange Weile fest, nur fest, mit dem Rücken zum davoneilenden Wasser. Dann ruckt er an ihr, ein erstes, vorsichtiges Mal. Der Widerstand bekräftigt seine Versuche. Griff um Griff zieht er sich aus dem Wasser, bis er etwas Festeres unter seinen Füßen spürt, aber er traut sich nicht aufzutreten, die Wurzel loszulassen, aus Sorge zu versinken. Es scheint ihm, als würde es heller werden, um ein Iota nur. Er kann Büsche erkennen, verqueres Geäst, das Ufer, dem er sich entgegenzieht, er ist nur noch einen ausgestreckten Arm von diesem Ufer entfernt, da schnappt etwas und er wird zurückgestoßen, Wasser dringt in seinen Mund, in seine Nase. Mit der Linken klammert er sich an die Wurzel, und er schüttelt seinen Kopf, um sich vom Wasser zu befreien, und er bellt wie ein asthmatischer Hund, bis das Wasser ausgestoßen ist und seine Brust sich anfühlt wie geschmirgelt. Er glaubt wegzutreiben, bis er merkt, daß er zurückgehalten wird. Die Wurzel hat sich nicht losgelöst von dem entrissenen Ufer. Wieder zieht er sich an ihr heraus, und dieses Mal erfährt er keine Überraschung, er erkennt die Umrisse eines Baumstammes, den er gierig umarmt. Als er ihn losläßt, kann er nur noch zu Boden gleiten und mit tiefen Atemzügen die Auszeit verorten. Er liegt bewegungslos da, gedankenlos. Bis der Instinkt sich meldet: Du mußt etwas tun. Aufgerichtet sieht er ein Wunder. Die Wehrreihen der Wolken ziehen sich zurück, und ein Leuchten breitet sich aus über Fluß und Ufer, die vergessene Gegenwart eines fülligen Mondes. Er steht auf, er hält sich am Baumstamm fest und prüft den Boden auf seine Festigkeit. Er tritt so nahe an das Wasser, wie ein sicherer Stand es erlaubt. Er späht über die Fluten, er traut sich, das Ufer abzusuchen. Unweit seines Landeplatzes sieht er eine Sandbank. Und über ihr, zwischen zwei Bäumen verfangen, glänzt der Rücken eines Segeltuches. Er befreit es von den kleinen, gekrümmten Dornen des Geästs und rollt es auf. Der Mond hat inzwischen alle Barrikaden zur Seite gestoßen. Die Landschaft, die sich ihm offenbart, ist nur entfernt mit der Umgebung ihres nächtlichen Lagers verwandt. Der Fluß ist enger, die Vegetation entlang des Ufers dichter. Das Wasser strömt schnell, gleichmäßig. Die Hetze des Erdrutsches ist verflossen. Auf dem Wasser treibt ein Esel, den Hals aus dem Wasser gestreckt, wie ein verfluchter Schwan. Bald darauf wird eine Kiste vorbeigeschwemmt, dicht gefolgt von weiteren Gegenständen, von denen nur eine Ecke oder eine Kante aus dem Wasser ragt, so daß er nicht ausmachen kann, um was es sich handelt. Soll die Expedition so enden: daß er schlammverkrustet ansehen muß, wie die Fragmente einer beharrlich aufrechterhaltenen Ordnung an ihm vorbeigespült werden, einzeln, wie zum wohldosierten Hohn? Was monatelang zusammengestellt worden ist, in einem Rutsch auseinandergerissen und zu Treibgut verdammt? Was sich in irgendeiner Böschung verfangen wird, wenn der Fluß nach dem kurzen Ruhm der Regenzeit verendet und auf dem ausgetrockneten Flußbett die Gegenstände einzeln herumliegen, über Meilen verteilt. Nicht einmal zur Warnung taugten sie, denn wer sollte sie verstehen, derart verstreut? Er wird aufgeschreckt durch den Anblick einer Gestalt, die an einem dahintreibenden Ast hängt. Burton eilt zu dem Baumstamm, neben den er die lange Wurzel gelegt hat, er hebt sie auf und stürzt sich ins Wasser. Mit einigen Armschlägen erreicht er den Ast. Mit der Linken umfaßt er die Gestalt von hinten, legt seinen Arm um ihre Taille, mit der Rechten reißt er an der Wurzel, doch er hat nicht bedacht, daß er beide Hände brauchen wird, um sich ans Ufer zurückzuziehen. Er wickelt die Wurzel um sich und um die Gestalt, er verknotet das Ende zu einer Schlaufe, die sie beide festschnürt. Sie hängen an einem Seil. Langsam, im Rhythmus seiner schwindenden Energie, zieht er das Seil ein, bis sie den Baumstamm erreichen. Er hievt die Gestalt ans Ufer und legt sie auf das Segeltuch. Er streicht die verschmierten Haare zur Seite und blickt in das Gesicht des ohnmächtigen Speke. Am Leben. Fiebrig, halb ertrunken. Ein bleiches Antlitz, wo seine blonden Haare nicht wuchern. Burton kann nichts weiter tun, als das Segeltuch über ihn zu legen, seine Glieder zu massieren. Mit den Füßen von Speke in seinem Schoß fällt er wenig später in einen Halbschlaf, die letzte Forderung seiner völligen Erschöpfung.

Die Sonne platzt herein. Sie wird alles wieder in Ordnung bringen, die Sonne ist nicht nachtragend. Bedächtig breitet sie ihre warmen Tücher über die fiebrigen Spuren der Nacht, so zuversichtlich, als sei sie an ihrem eigenen Verschwinden unbeteiligt gewesen. Burton hockt am Rande des Wassers und blickt auf eine Fratze, die zurückstarrt wie der Geist eines Ertrunkenen. Die Haut hängt von den Knochen, die Augen dringen tollwütig aus ihren Höhlen, die Lippen ziehen sich von den Zähnen zurück, braun wie vergessene Tümpel. Speke murmelt etwas. Die Augen weit offen. Wie geht es dir, Jack? fragt Burton und knetet sanft Spekes rechte Schulter. Überall Tote, murmelt Speke, mach sie weggehen, die Toten. Was für Tote denn, Jack? Somalis, tote Somalis, sind nicht alle tot, einige sterben noch, ihre Arme erhoben, ihre Hände ausgestreckt, sie wollen ein letztes Mal etwas berühren, irgend etwas, ihre Arme fallen, wenn sie sterben, mach sie weggehen, mach sie bitte weggehen. Trink ein wenig, Jack. Keiner schreit, es ist unerträglich, keiner schreit, verfluchte Somalis, wie kann es so still sein beim Sterben. Ich werde dich aufrichten, Jack, ich werde das hier ausziehen, verstehst du, es ist naß, wir müssen es ausziehen. Alles ist zerstört, alle Zelte, zerstört, die Ausrüstung liegt herum, überall herum, kein Kamerad in Sicht, sie haben mich alle verlassen, sie sind davongerannt, aber ich kann nicht rennen, ich habe keine Beine, ich kann nur kriechen. So ist’s gut, das wird dir guttun, Jack, das wird dich wärmen. Ich werde sterben, die Somalis kommen, Somalis mit erhobenen Armen, ich werde sterben, ich sehe, wie das Blut aus mir fließt, ich sehe die Speere, ich sehe, wie sie in mich dringen, ich habe so viel Blut, wer hätte das gedacht, ich habe so viel Blut, ich habe es nicht gewußt, so unendlich viel Blut. Ich werde dich jetzt reiben, Jack, damit du warm wirst, hörst du, wir müssen dich warm kriegen. Umsonst, das Blut. Umsonst. Vorwürfe, vom anderen, nur Vorwürfe, nichts als Vorwürfe. Der andere, immer besser, ein Gott immer. So, das reicht, wir ziehen dir jetzt meine Jacke an, sie ist fast schon trocken. Ein Dieb ist er, der andere, ein Dieb. Gar nicht besser. Mein Tagebuch, mein Tagebuch, in Stücke geschnitten, Schlachtvieh, als Anhang, für sein Buch, für seinen Ruhm, mein Blut, all das Blut, für seinen Ruhm, der andere, meine Sammlung, weggegeben, er darf das, ein Gott ist er, meine Sammlung an ein Museum, ein Kannibale ist er, jawohl, ein Kannibale. Beruhige dich, Jack, beruhige dich, du bist unter Freunden, was phantasierst du da, wer ist dieser andere? Er heißt nicht Mensch. Er hat nur Schimpfnamen. Auf seinem Grab, verflucht, soll stehen: Dick. Nichts sonst, auf dem Grab, nur Dick.