Was für ein Selbstbewußtsein, Burton war irritiert, während er langsam Buchstaben niederschrieb, die sich wie Wirbel ausgestorbener Fische wanden. Dieser Mann war der erste Einheimische, der ihm gegenüber nicht duckmäuserisch auftrat. Im Gegenteil, das Verhalten dieses Lehrers, der gerade den einsamen Abdruck seines Wissens auf dem Blatt begutachtete, wirkte nahezu herrisch, so wie er mit der Zunge zuzelte. Dreimal. Ohne zu erkennen zu geben, ob er lobte oder tadelte. Er ergriff die Feder von Burton — sollte er nicht um Erlaubnis fragen? — und schrieb eine Zeile auf das Blatt. Können Sie das entschlüsseln? Burton verneinte. Des Gujarati nicht mächtig, konstatierte Upanitsche, als trage er Bausteine einer Diagnose zusammen. Was wollen Sie lernen? Es war an der Zeit, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Alles, sagte Burton. In diesem Leben? In diesem Jahr! Einige Sprachen zuerst, Hindustani, Gujarati, Marathi, ich will mich für die Prüfung in Bombay anmelden, das ist nützlich für die Karriere. Eile, sagte Upanitsche abschätzig, wir müssen sie überwinden. Das ist das erste, was wir zu begreifen haben. Wir sollten uns einigen, sagte Burton, auf Unterrichtszeiten und auf die Bezahlung.
Ich werde eine Woche lang Ihren Hunger prüfen, bestimmte Upanitsche, täglich am Nachmittag, bis es für Sie an der Zeit ist, zu Abend zu essen. Nach dieser Woche werden wir weitersehen. Und was Geld betrifft, ich kann es nicht von Ihnen annehmen. Weil ich ein Mletscha bin? Upanitsche lachte laut auf. Ich sehe, Sie haben es sich schon auf einigen Gemeinplätzen bequem gemacht. Ich habe viel Umgang mit Angrezi gehabt, für mich sind Sie weder ein Aussätziger noch ein Unberührbarer, Sie können beruhigt sein. Nein, es ist eine alte Tradition, wir Brahmanen verkaufen unser Wissen nicht auf dem Marktplatz. Allerdings — unterschätzen Sie nie den Einfallsreichtum der Brahmanen —, wir akzeptieren Geschenke. Zu Guru Purnima, an dem Tag, an dem jeder seinen Lehrer ehrt, erhalten wir Süßigkeiten, Sesambällchen, in denen sich eine bescheidene Münze oder ein kostbares Schmuckstück versteckt. Wir öffnen die Bällchen, wenn wir alleine sind, mit den Fingern, wie eine reife Guave-Frucht. Sie erkennen die Vorzüge dieses Brauchs. Die Schüler fühlen sich zu nichts verpflichtet, sie brauchen sich nicht schämen, wenn sie Mangel leiden und wenig abzugeben haben. Und wir Gurus schenken einige dieser Laddus weiter, an unsere eigenen Lehrer, an unsere Väter, wenn sie noch am Leben sein sollten. So wird die Frage, wer welches Geschenk erhält, einer höheren Macht überlassen. Sie würden sagen, dem Zufall. Upanitsche redete wie ein Schauspieler mit übertriebener Phrasierung, der eine zu große Distanz zwischen den Hebungen und den Senkungen setzt. Zudem untermalte er seine Rede mit energischen und entschiedenen Gesten. Es war nicht vorstellbar, daß ihn etwas verunsichern könnte. Das entmaterialisierte Geschenk, unterbrach ihn Burton, ein höchst interessantes Konzept. Sie haben verstanden, gut, bei uns werden Geschenke nicht begutachtet, sobald wir sie erhalten haben, wir vermeiden peinliche Situationen, Geschenke sollen nicht vor aller Augen um die Gunst des Beschenkten buhlen. Darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden? Kaum hatte er die rhetorische Frage ausgesprochen, richtete sich Upanitsche schon auf. Burton begleitete ihn zur Tür. Ich freue mich auf die Lektionen, Upanitsche Saheb. Nun, da wir uns einig geworden sind, können Sie mich Guru-ji nennen. Und übrigens, ich habe es Ihnen verschwiegen, bei uns hat sich der Shishia der Autorität des Gurus bedingungslos zu unterwerfen. Dem Guru gebührt shushrusha und shraddha, Gehorsam und blinder Glaube. Früher gingen die Schüler mit einem Holzscheit zu ihrem Lehrer, als Symbol für ihre Bereitschaft, im Feuer des Wissens zu verbrennen. Eigene Wege können sie beschreiten, wenn sie den Lehrpfad des Lehrers zu Ende gegangen sind.
Ein Amanuensis wartete im Schatten des Vordachs auf ihn, ein Junge, der ein Bündel trug, mit dem Schreibzeug des Meisters, wie Burton vermutete, und der sich beeilte, einen Sonnenschirm über seinen Herrn zu halten. Sie werden jetzt Ihre erste Lektion in Gujarati erhalten, sagte Upanitsche. Wir verabschieden uns, im Alltag, mit einem ao-jo, das bedeutet soviel wie: komm-geh. Ich gehe, damit ich wiederkommen kann. Verstehen Sie? Also, Mister Burton, bis morgen, ao-jo. Ao-jo, Guruji, sagte Burton, und im Augengrund seines neuen Lehrers erkannte er den Samen einer möglichen Freundschaft.
9.
NAUKARAM
II Aum Vidyaavaaridhaye namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
— Eins verstehe ich nicht. Dein Herr, er war Offizier, und doch scheint er seine Tage nach eigener Lust und Laune gefüllt zu haben?
— Er mußte einige Male nach Mhow reiten. Das war seine einzige Aufgabe, neben den Übungen mit den Sepoy natürlich. Jeden Morgen, außer am Sonntag, da gab es ein gemeinsames Gebet der Firengi. Aber Burton Saheb nahm daran nicht teil, er hatte wenig übrig für den Glauben seiner Leute. Es verwunderte mich. Er war mehr interessiert an Aarti, an dem Freitagsgebet, an Shivaaratri und an Urs. Es war merkwürdig. Ich habe ihn gefragt, später, als ich Fragen stellen durfte, die ein Diener seinem Herren üblicherweise nicht stellt, wieso er dem fremden Gebet näherstand als dem eigenen. Er sagte mir, die eigenen Bräuche seien für ihn nur Aberglaube, Hokuspokus …
— Was war das?
— Leere Sprüche, yantru-mantru-jalajala-tantru. Magie …
— Maya.
— Ja, wenn Sie so wollen. Die fremden Traditionen hingegen seien faszinierend, weil er sie noch nicht durchschaut habe.
— Hat er so lange gebraucht, unseren Aberglauben zu durchschauen? Du hättest ihn zu mir bringen sollen. Die Mantras sind Steine, die sich unsere Brahmanen aus dem Mund ziehen, und wir erstarren in Ehrfurcht, als würden sie uns etwas Wertvolles überreichen. Ist dir aufgefallen, die Zauberer schwenken bei ihren Kniffen oft Fackeln, um uns abzulenken, genauso wie es die Priester während des Aarti tun. Gleiche Handhabung. Gleiche Illusion.
— Ich bin nicht ein so großer Mann wie Sie, ich kann mich nicht darüber lustig machen.
— Meine Worte waren ernst.
— Oim aim klim hrim slim.
— Willst du mich beleidigen!
— Nein, nicht zu dem Preis, den Sie verlangen. Ich kann mir keine Beleidigung leisten. Ich will weitererzählen, wir sollten nicht über uns reden.
— Vor allem solltest du nicht vergessen, wem du Respekt schuldest.
— Sein Regiment hatte eine einzige Aufgabe. Solange wir in Baroda waren, wurde es nur einmal im Jahr eingesetzt. Als Schutz, nein, eher als Ehrung, für den Maharaja, zu Ganesh Tschathurti. Die dreihundert Sepoy und die Offiziere, sie marschierten zum Palast, in ganzer Montur, mit den Musikern, die Teil des Regimentes waren. Sie begleiteten die Prozession zum Vishvaamitra-Fluß. Sie spielten so laut sie konnten, damit alle sie hörten über den Klang der Glocken und der Becken und der Muscheln hinweg. Und als der Maharaja über die Brücke schritt, salutierten sie mit Schüssen. Die Schüsse waren die lauteste Ehrung des Festtages, alle waren äußerst zufrieden.
— Gut, genug, ich war dabei, ich weiß, wie die Firengi ihre Macht demonstrieren. Er hatte also Zeit, er war neugierig, und du hast einen Lehrer für ihn aufgetrieben. Einen geeigneten Lehrer, wie es sich anhört, einen Lehrer von großer Gelehrsamkeit.
— Der beste Lehrer in Baroda. Durch seine Anleitung lernte Burton Saheb unsere Sprachen schnell. Er reiste ein Jahr später nach Bombay, und er glänzte in den Prüfungen, in Hindi und Gujarati. Danach verdiente er auch etwas mehr Geld.
— Das hat er dir gesagt? Das mit dem Geld. Er muß dir wirklich vertraut haben.
— Ansonsten änderte sich wenig. Er übersetzte manchmal beim Gericht. So wie ich ihn kenne, bin ich mir nicht sicher, wie genau er übersetzt hat. Er saß den größten Teil des Tages zu Hause, wie gehabt. Er hatte keine andere Aufgabe, als zu lernen. Er war fleißig, er hat geschuftet wie ein Ochse in einer Ölmühle. Im nächsten Jahr wiederholte sich alles, er ließ sich in Bombay erneut prüfen, dieses Mal in Marathi und Sanskrit. Er hat erneut bestanden, mit Auszeichnung, und er kehrte wiederum nach Baroda zurück, um an seinem Schreibtisch zu sitzen und von mir umsorgt zu werden. Irgendwann werden ihm die Sprachen ausgehen, dachte ich. Er war ein junger Mann. Doch dann, im dritten Jahr, mußten wir Baroda verlassen. Unerwartet. Das war für mich ein schwerer Schlag. Offensichtlich haben seine Herren bemerkt, wie wenig er zu tun hatte. Burton Saheb wurde versetzt, es hätte nicht schlimmer kommen können. Nach Sindh, in die Wüste, ans andere Ende der Thar-Wüste.