— War es ein häßlicher Laut, der aus dem Rachen kommt?
— Nein, eigentlich klang es schön.
— Hörst du, klang es etwa so: Bismillah-hir-rahman-nir-rahim?
— Nein, das war es nicht.
— Oder so: Laa-illaha-ilallah?
— Jaja. So klang es. Sie kennen es? Bestimmt war es das.
— Mein Gott!
— Habe ich etwas Falsches gesagt, Padre?
— Was habe ich bloß getan!
— Was ist denn, Padre?
— Er war Mohammedaner, er war ein verdammter Mohammedaner.
Die Abendsonne strich die Dachziegel glatt, als er den Gang auf sich nahm, den er unbedingt hatte vermeiden wollen. Er suchte den Bischof auf, seinen Beichtvater. Er schilderte ihm die Zweifel, die sich in ihm ausgebreitet hatten wie Pilzkulturen. Die überhandgenommen hatten seit dem Gespräch mit der Dienstmagd. Er hatte sich gefürchtet vor diesem Gespräch, er hatte sich nicht zugetraut, offen auszusprechen, was ihn bedrückte. Doch die Vorwürfe, die er sich ausgemalt hatte, sie hätten ihn nicht annähernd so tief verunsichert wie die völlig ruhige Reaktion des Bischofs. Er lächelte mit jener Souveränität, die einem zufällt, wenn man in einem Palazzo lebt. Wenn man in so eine Position hineingeboren wird. Der Priester hingegen hatte hart studieren müssen, er hatte die Stiege der Bildung erklommen, und trotzdem, er war hereingelegt worden von einem, der über mehr Macht verfügte, mehr Selbstsicherheit. Ich sehe, ich hätte Sie einweihen sollen, sagte der Bischof nonchalant. Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, daß ich Signore Burton die Beichte einmal abgenommen habe.
— Sie selbst?
— Seine Gemahlin hat ihn gedrängt, zur Beichte zu gehen. Über Jahre hinweg, wie ich vermute. Sie hat auf ihn eingeredet. Sie hat ihn angefleht. Es wird dein Herz erleichtern, hat sie ihn beschworen. Das einzige, was ihm das Herz leichter machen würde, hat er geantwortet, sei die Nachricht, daß er nicht bald sterben müsse. Gewitzte Kreatur, dieser Signore Burton.
— Wieso haben Sie ihm die Beichte abgenommen?
— Er war der britische Konsul in unserer Stadt, und seine Frau ist eine treue Tochter der Kirche. Außerdem, unter uns gesprochen, ich nehme gerne Menschen, die selten beichten, das Sündenbekenntnis ab. Tatsächlich erwies sie sich als interessant.
— Interessant?
— Er hat zunächst behauptet, er habe nichts zu beichten.
— Wie überheblich.
— Obwohl er mehr als ein Jahrzehnt Offizier war, obwohl er auf allen Kontinenten in größte Gefahr geraten sei, habe er nie einen Menschen umgebracht. Sie wissen gar nicht, wie hoch mir das anzurechnen ist, sagte er. Ich bedrängte ihn ein wenig, worauf er eine kleine Sünde gestand, eine petite bêtise, wie er sich ausdrückte. Zwar habe er niemanden getötet, aber einmal habe er das Gerücht in die Welt gesetzt, einen Araber umgebracht zu haben, weil dieser beobachtet habe, wie er im Stehen pinkelte. Das sei allerdings miserabel erfunden, er müsse sich nachträglich selber rügen, versuchen Sie in diesen Gewändern aufrecht stehend zu pinkeln, sagte er, das sei völlig unmöglich. Ich habe ihm erklärt, das könne nicht wirklich als Sünde durchgehen, es müsse etwas Schwerwiegenderes in seinem reichhaltigen Leben geben. Nein, behauptete er. Nichts, was ihm einfallen würde.
— Haben Sie ihn gefragt, ob er stets ein guter Christ war?
— Oh ja, er reagierte heftig. Das wollen Sie nicht wissen, Hochwürden, rief er aus, glauben Sie mir, das wollen Sie weit umgehen. Er habe noch etwas anzubieten, eine wirklich große Schande, sagte er nach einer Weile, als er merkte, daß ich mich nicht so leicht zufriedengeben würde, er schäme sich heute noch dafür, eine Jugendsünde, im Sindh, es sei nicht wichtig, wo das liege, Gott wüßte es, er sei einmal dort gewesen und schnell wieder weitergezogen. Da unterbrach ich ihn, das ging doch zu weit. Pardon, sagte er, diese Beichtangelegenheit macht mich nervös, Sie merken es, ich erkenne mich selber kaum wieder.
— Ich weiß, wo dieser Sindh liegt, er hat lange dort gelebt. Unter Mohammedanern.
— Im Sindh, sagte er, hätten irgendwelche Amateure ohne Kenntnis und Verstand nach archäologischen Schätzen gegraben. Archäologie, das Wort existierte damals noch nicht, eine bedeutende Wissenschaft, er sei der letzte, der das bestreite, aber damals habe er sich einen Spaß erlaubt, er habe einen billigen roten Tonkrug, im Atheneum-Stil, bemalt mit etruskischen Figuren, zerhauen und die Scherben dort verbuddelt, wo die eifrigen Sucher gerade ihre Ausgrabung vornahmen, und sie hätten die Scherben natürlich gefunden, die Aufregung unter ihnen sei groß gewesen, sie hätten sich mit dem Fund gebrüstet und behauptet, die Geschichte der Etrusker und vielleicht sogar die Geschichte des alten Rom müßten neu geschrieben werden. Das habe sich als etwas voreilig erwiesen. Er wisse nicht, ob sein Freund Walter Scott sie aufgeklärt habe, oder ob ihnen von alleine Bedenken gekommen seien, nachdem sie keine anderen Funde gemacht hätten, aber eines Tages hätten sie ihre Sachen zusammengepackt und seien verschwunden. Er schäme sich heute noch dafür. Eine erstaunliche Beichte, finden Sie nicht auch?
— Eine verjährte Lüge. Und das war alles?
— Nein, ich habe schon noch mehr aus ihm herausgeholt. Er hat gestanden, er sei an dem Tag, an dem er von der Königin Victoria zum Ritter geschlagen wurde, zu einem Drucker in ein verruchtes Viertel südlich der Themse geeilt, er habe den Empfang frühzeitig verlassen, um die Neuauflage eines Buches namens Kamasutra vorzubereiten. Ich war auch von dieser angeblichen Sünde wenig beeindruckt, bis er mir erklärte, was in diesem Buch steht. Ich kann es nicht wiederholen, es genügt zu sagen, es ist sündhaft durch und durch. Und er hat es nicht nur verlegt, er hat es auch übersetzt. Und dann hat er mir von fleischlichen Gelüsten in Afrika berichtet, denen er nachgegeben habe, mit drei Frauen, ein wahres Sodom, ich mußte ihn unterbrechen, ich hatte genug gehört. Ich habe ihm das te absolvo erteilt und ihn schnell hinauskomplimentiert. Es hatte so harmlos angefangen, und dann auf einmal …
— Wenn er in seinem Leben so viel gelogen hat, woher wissen wir, wo er in Fragen des Glaubens stand?
— Sie machen sich unnötig Sorgen. Er war Katholik. Basta.
— Woher wissen wir das?
— Er hat zu mir gesagt: Wenn schon Christ, dann wolle er am liebsten Katholik sein.
— Was für ein Glaubensbekenntnis.
— Seien wir Realisten. Wer glaubt schon aus freien Stücken.
— Ja, aber die Unfreiheit sollte von Gott bestimmt sein.
— Ach, da fällt mir ein, er hat noch etwas gesagt, Sie werden sehen, er hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor: Er sei Katholik, weil es in Triest leider keine Elchasiten gebe. Sehnsucht nach den Elchasiten, haben Sie so etwas schon einmal gehört?
— Was bedeutet das? Was bedeutet das für mich?
— Sie sollten die Angelegenheit hinter sich lassen.
— Hat er Gott wenigstens gesucht?
— Durchaus, und wie die meisten Menschen selten gefunden. Er hatte einen ungewöhnlichen Standpunkt in dieser Frage. Kein Mensch wird Gott wirklich begegnen, erklärte er mir einmal bei einem festlichen Dinner. Denn was würde geschehen? Seine Persönlichkeit würde sich auflösen, er würde in Gott aufgehen. Kein Ich mehr, keine Zukunft mehr, er würde ins Ewige übertreten. Wer würde schon ein Mensch bleiben wollen, wenn er in Gott sein könnte. Bemerkenswerte Logik, nicht wahr?
— Was folgte für ihn daraus?
— Daß wir suchen wollen, natürlich, aber auf gar keinen Fall finden. Genau das habe er ein Leben lang getan, sagte er. Er habe überall gesucht, die meisten Menschen hingegen, die würden immer wieder in denselben Topf blicken. Dann schaute er mir forsch in die Augen. Etwas verschmitzt, muß ich sagen.
— Sie halten daran fest, er war Katholik?
— Sagen wir es so, er war ein Katholik ehrenhalber.