— Ich will heute nicht reden. Ich werde gehen.
— Ohne mein Einverständnis …
— Ao-jo. Wir sehen uns morgen.
— Du bist ein Narr. Ich bin der einzige, der dir helfen kann, deine Dummheit zu verkleiden. Hörst du, du Narr.
12.
MIT DER MONDSICHEL AUF DER STIRN
Auf einmal war sie da. Er war nicht auf sie vorbereitet. Das allererste, was er von ihr sah, war die Bucht ihres nackten Rückens. Die Mündung ihres Nackens. Über dem Saum des Saris eine Dupatta in Chamois. Der Sari war blau, wie tiefes Wasser. Sie saß im Garten, auf einem Hocker, der — wenn er sich nicht täuschte — aus der Küche stammte. Er sah ihren Hinterkopf, ihr Nacken wurde senkrecht geteilt von dem Seil ihrer geflochtenen Haare, versetzt mit roten Seidenfäden. Eine dünne Kette hing golden über einem ihrer Halswirbel wie ein angehängter Gedanke. Sie bewegte sich nicht, und er, am Fenster stehend, beobachtete sie still. Natürlich, Naukaram würde sie nicht ins Haus lassen — wer immer sie war, eine Schwester vielleicht, oder seine Geliebte, nein, das war äußerst unwahrscheinlich —, bevor er ihn nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Die Spitzen ihrer Haare berührten das Gras. Um dieses Haar, schwarz wie glänzende Kohle, wenn es so unbewegt hinabhing, beneidete er die Einheimischen. Blonde Haare waren eine Verirrung der Natur, Ausdruck eines unüberlegten Drangs zur Abwechslung. Ihre Bluse war heller im Blau, wie Meerwasser in Strandnähe. Wo der Ärmel der Bluse endete, zeichnete sich die leichte Andeutung eines Muskels ab. Vielleicht täuschte er sich, vielleicht waren ihr die Ärmel zu eng. An ihrem Handgelenk hingen einige Silberreife. Es klopfte an der Tür. Er löste sich vom Fenster und nahm an seinem Schreibtisch Platz, bevor er Naukaram hereinbat. Saheb, ich möchte Ihnen jemanden vorstellen, verzeihen Sie die Störung, einen Gast. In welcher Angelegenheit, Naukaram? Ein Kennenlernen, Saheb, keine Angelegenheit, Sie werden es nicht bereuen, glauben Sie mir.
An ihrem Gesicht fiel ihm zuerst das Bindi auf der Stirn auf, ein den Farbtönen ihrer Kleidung angepaßter Punkt, ein konzentriertes Blau. Ihr Gesicht war dunkel, und es war schmal. Naukaram stellte sie vor, auf Englisch, er pries sie an, als wollte er sie verkaufen. Die Situation war unangenehm und aufregend zugleich. Einmal rutschte ihre Unterlippe unter die Vorderzähne und sofort wieder heraus, so schnell, er war sich nicht sicher, ob er es wirklich gesehen hatte. Er stellte ihr einige höfliche Fragen, und erst einige Antworten später richtete sie ihren Kopf auf. Ihr Blick war weniger unterwürfig als ihre Körperhaltung, ihre Augen schwarz in weiß, wie Onyxstein, eingefaßt im Kajal. Nur einen Makel hatte ihr vollendetes Gesicht: Weit oben auf der Stirn, nahe dem Haaransatz, krümmte sich eine kleine Narbe wie ein Neumond. Er verstand nicht, was Naukaram sagte, er hörte nicht mehr zu, er nickte einmal mit dem Kopf, als sie sich abwandte und Naukaram nach draußen folgte. Sie ließ ein Lächeln zurück, so klein wie die umgeknickte Ecke einer Seite in einem Buch. Naukaram kehrte umgehend zurück.
— Naukaram, was sollte das?
— Ich war der Ansicht, Sie begehrten die Gesellschaft einer Frau.
— Und du hast angenommen, ich sei nicht in der Lage, mich selber darum zu kümmern?
— Sie sind vielbeschäftigt, wieso sollten Sie sich auch noch diese Aufgabe aufbürden.
— Soso.
— Gefällt Sie Ihnen nicht?
— Sie ist bezaubernd. Und außerdem hast du recht, wie sollte ich eine Frau finden.
— Vielleicht, wenn Sie ausprobieren wollen, für einige Tage, ob ihre Gesellschaft Ihnen Freude bereitet?
— Ich bin solche Arrangements nicht gewohnt.
— Sie müssen sich um nichts kümmern, Saheb. Ich werde alles übernehmen, was Ihnen peinlich vorkommen könnte. Sie müssen nur genießen.
Aber es war mehr an dieser Frau als nur das verläßliche Versprechen von Genuß.
13.
NAUKARAM
II Aum Bhaalchandraaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
— Sie sollten über Kundalini Bescheid wissen, ich habe nachgedacht. Es ist nichts, was ich verstecken muß.
— Siehst du mich schreiben? Nein! Ich werde nur zuhören.
— Ich habe sie in einer Maikhanna gefunden. Ich habe sie dort gesehen, sie hat bedient. Sie hat mir meinen Becher gebracht, Milch mit Bhang, meine Vorliebe. Ich habe nie Daaru getrunken, ich hasse Alkohol. Sie wissen es vielleicht nicht, die Frauen dort sind sehr ansehnlich, und sie können tanzen. Wenn ein Gast ihnen gefällt und wenn der Gast etwas Geld auf den Tisch legt, tanzen sie vor ihm, für ihn. Ich habe sie beobachtet. Ich dachte, es wäre wunderbar, wenn sie für mich tanzen könnte. Ich konnte es mir leisten, also kehrte ich zurück, ich legte Geld auf den Tisch. Und sie tanzte. Nur für mich. Als sie mir in die Augen blickte, gab sie mir den Eindruck, ganz nahe bei mir zu sein, und gleichzeitig, sie nie berühren zu können. Sie war wie der Pipalbaum in der Dorfmitte …
– Übertreibst du nicht ein wenig?
— Vielleicht. Es ist nicht von Bedeutung, woran sie mich erinnerte. Wichtig ist nur, als sie mit dem Tanz aufhörte, hatte sich ein Gedanke in meinem Kopf eingenistet. Sie war eine Frau, ich konnte sie mir neben Burton Saheb vorstellen, sie würde seinen Durst nach dem Ungewöhnlichen stillen. Mein Herr brauchte eine Begleiterin. Er tat nichts nebenbei, wie hätte er seine Lust mit gelegentlichen Ausflügen stillen sollen.
— Er saß also nicht nur am Schreibtisch.
— Ich habe mit ihr gesprochen. Ich habe mir viel Mühe gemacht, das Richtige zu sagen. Ich wollte sie nicht beleidigen. Sie sollte wissen, mein Angebot erfolgte aus Achtung. Sie war sofort einverstanden. Ich muß Ihnen sagen, es hat mich überrascht. Dann habe ich mich um alles Weitere gekümmert.
— Um die Bezahlung, vermute ich.
— Nicht nur das. Solche Beziehungen sind immer auf Zeit. Ich hatte mich umgehört. Ich mußte meinen Herrn schützen. Ich mußte ihn vor allem bewahren, was schiefgehen konnte. Ich setzte ein Dokument auf, sie unterschrieb es.
— Wie?
— Wie was?
— Wie hast du es aufgesetzt? Du kannst nicht schreiben, wenn ich dich daran erinnern darf.
— Sie sollten sich die Antwort denken können. Ich bin zu einem Lahiya gegangen.
— Er war einverstanden, so eine Vereinbarung zu Papier zu bringen?
— Wieso nicht. Es war gang und gäbe.
— Wahrlich, wir müssen unser Land reinigen. Diese Mletscha tragen einen Schmutz in unser Land, der uns verdirbt.
— Nun übertreiben Sie.
— Du hast keine Ahnung, du warst ihnen ausgesetzt, du warst ihr Zögling, wer weiß, vielleicht bist du jetzt wie einer von ihnen.
— Weil ich sie kenne, bin ich einer von ihnen? Das ist lächerlich. Wie steht es mit Burton Saheb? Er hat sich uns ausgesetzt. Er konnte, wenn er sich so anzog, wie ich angezogen war, als einer von uns durchgehen. Ist er jetzt einer von uns?
— Da ist ein Unterschied zwischen Sichfremdwerden und Maskerade. Und zwar ein großer.
— Ich weiß übrigens, Kurtisanen gab es bei uns schon immer, das steht sogar in den Puranas.
— Wer hat dir das gesagt?
— Egal.
— Wer?
— Burton Saheb.
— Burton Saheb! Du vertraust, wenn es um unsere eigene Überlieferung geht, dem Wort eines Mletscha? Seit wann sind die Fremden Garanten unseres Wissens? Kurtisanen in den Puranas, ha, was für ekelhafte Lügen werden sie noch erfinden.
— Sind Sie sicher, daß es nicht stimmt?
— Lassen wir dieses Thema. Was hat denn diese Frau dir, oder euch, schriftlich zugesichert?
— Sie versprach, keine Kinder zu bekommen.
— Sie versprach es?
— Sie wußte, wie sie es anstellen sollte.
— Laß mich raten. Mit Kashunüssen? Wollte sie eine Papaya verzehren, jedesmal, wenn sie vermutete, sie könnte schwanger sein?